Unter dem endlosen Himmel ziehen sich die Straßen schnurgerade scheinbar ins Unendliche. Wolken türmen sich auf zu dramatischen Gebilden, spiegeln sich im Wasser. Hier im Flevopolder ist das Land noch platter als sonst in den Niederlanden, der Himmel noch weiter, das Licht noch klarer. Und dann auf einmal sind da direkt an der Autobahn fünf Elefanten.
Gigantische Kolosse, von grauem Beton umhüllt, so rund, so liebenswert – fast wie Kuscheltiere. Nun ja, es bleiben Kolosse, sieben Meter hoch und elf Meter lang, 40 Tonnen schwer. Und doch. Die „Elefanten von Almere“ des Bildhauers Tom Claassen zaubern bei jedem, der auf der Autobahn A6 vorbeifährt, ein Lächeln hervor. Für viele sind die Elefanten ein Wahrzeichen von Almere: stark, liebenswert und immer gut für eine Überraschung.
Almere mit seinen rund 220.000 Einwohnern ist die jüngste Stadt der Niederlande, kaum 50 Jahre alt. Das Land, auf dem Almere steht, wurde dem Wasser abgerungen und so ist Almere auch ein Symbol für den Kampf gegen die Naturgewalten. Zugleich ist sie eine grüne Stadt – umgeben von Naturparks sowie dem Markermeer, dem Ijmeer und dem Gooimeer.
Seit dem 14. April und noch bis zum 9. Oktober ist Almere Kulisse der Floriade Expo 2022. Die internationale Gartenbauausstellung findet alle zehn Jahre an einem anderen Ort statt, in diesem Jahr lautet ihr Thema: „Growing Green Cities“, wachsende grüne Städte.
Die Floriade ist mehr als eine bunte Schau von Gärten aus aller Welt. Es ist eine Ideenmesse für alle Sinne, die Fragen nach der Zukunft aufwirft: Wie können unsere Städte angesichts des Klimawandels lebenswerter, grüner, nachhaltiger werden?
In der Ferne die Skyline von Amsterdam
Dafür gibt es kaum einen besseren Schauplatz als Almere. Es ist eine grüne Stadt, aber ebenso eine blaue Stadt. Alles hier ist von Wasser umgeben und fast überall bläst ein kräftiger Seewind. Er wirbelt die Haare durcheinander, lässt einen strampeln auf dem „fiets“ – dem Fahrrad – und pustet frische Gedanken in den Kopf.
Almere liegt ganz in der südwestlichen Ecke des Flevopolders. In der Ferne sieht man die Skyline von Amsterdam. Die Stadt selbst ist durchzogen von Kanälen und ein Paradies für Wassersportler.
Nur wenige Minuten Fußweg vom Bahnhof entfernt liegt mitten in der City der See Weerwater. Auf breiten Holz-Pontons räkeln sich Studenten in der Sonne, entspannen Angestellte in der Mittagspause am neuen City-Strand. Gleich daneben liegt das Theater „Kunstlinie“, das auf dem Wasser zu schwimmen scheint. Wasser und Wolken spiegeln sich in der gläsernen Fassade des Gebäudes.
Subtiler Hinweis auf den Meeresspiegel
„Wir sind hier fünf Meter unter dem Meeresspiegel“, sagt Paul Meekel. Er führt Besucher durch die Stadt, zeigt ihnen das Spektakuläre, aber auch das Unscheinbare. Wie eine gezackte Linie in einer Fassade. „Sie gibt die Höhe des Meeresspiegels an.“ So werden Menschen sehr subtil daran erinnert, dass dieser Wohnort alles andere als selbstverständlich ist.
Spätestens nun wird es Besuchern aus dem Ausland blümerant. Und was ist, wenn die Fluten kommen? Wenn das Wasser steigt als Folge des Klimawandels? Der Stadtführer lacht, er kennt diese Fragen. Keiner habe Angst, sagt er. „Nein, wir sind es gewohnt, wir leben mit dem Wasser.“ Und schließlich gebe es ja Kanäle, Pumpen, Mühlen. „Die sorgen dafür, dass wir trockene Füße behalten.“
Für Niederländer ist das nichts Neues, etwa 40 Prozent ihres Landes liegen unterm Meeresspiegel. Doch in Almere ist alles noch eine Nummer schärfer. Hier war bis 1968 Wasser.
Als die trockengelegte Südsee Schokland freigab
Einst lag hier die Zuiderzee, die Südsee, eine Ausstülpung der Nordsee. Jahrhundertelang waren Dörfer und Inseln Spielball von heftigen Stürmen und Überflutungen. Die Fluten reichten bis vor die Tore von Amsterdam. Anfang des 20. Jahrhunderts beschloss man, die Zuiderzee trockenzulegen. Ein Teil wurde das heutige Ijsselmeer. Ein anderer Teil wurde trockengelegt, eingepoldert.
Das neue Land gab auch längst versunkene Geschichte wieder preis. Nach der Trockenlegung tauchte die Insel Schokland wieder auf. Sie war 1859 nach heftigen Sturmfluten aufgegeben worden. Die Fischer und ihre Familien mussten ihre Häuser verlassen. Heute ist Schokland Weltkulturerbe der Unesco.
Einige Häuser wurden restauriert. Im Museum wird die Geschichte der Insel eindrücklich erzählt. Der Weg rund um Schokland führt auch zur Ruine der alten Kirche. Heute ein friedlicher Platz, umgeben von hohen Bäumen, damals waren es wüste Wellen. Schokland ist ein fast mystischer Ort, nur knapp 60 Kilometer im Norden von Almere gelegen.
Almere wurde zur Spielwiese für Architekten
Zurück in die junge Stadt. Hier ist nichts älter als 50 Jahre. Wobei, fast nichts. „Ich bin älter als die Stadt“, sagt Paul Meekel. Der Stadtführer ist 62 Jahre alt. Als er aus Amsterdam wegzog, hielten ihn seine Freunde für verrückt, erinnert er sich. Doch er hat es nie bereut. „Die Ruhe, Natur, viel Platz.“ Und das alles nur eine knappe halbe Stunde von Amsterdam entfernt.
Meekel führt Neugierige durch seine Stadt: Touristen, aber auch Städteplaner und Architekturfans aus aller Welt. Denn Almere ist architektonisch ausgesprochen interessant. Die Stadt wurde auf dem Reißbrett entworfen und zur Spielwiese für Spitzenarchitekten.
Der niederländische Stararchitekt Rem Koolhaas entwarf das Zentrum. Drei Stockwerke hat es. Unten liegen Parkplätze, Straßen, getrennte Spuren für Busse und Fahrräder.
Aus dieser Unterwelt führen breite Rolltreppen nach oben zur Shoppingmall, dem Strand und den atemberaubenden Wohntürmen wie „The Wave“ mit seiner wellenförmigen Fassade oder „Smaragd“, der wie ein Edelstein in der Sonne funkelt. Im Zentrum findet sich das knallrote Kinepolis mit Filmsälen, die unter der Decke zu schweben scheinen.
Ganz oben, auf den grün bewachsenen, leicht hügligen Dächern der Läden, stehen Reihenhäuschen mit idyllischen Gärten – fast wähnt man sich im Teletubby-Land.
Das Zentrum ist fast autofrei. Müllcontainer werden unterirdisch geleert. Viertel wurden nach Bedürfnissen der Bürger gebaut: „Duin“ (Düne) zum Beispiel ist eine künstlich gebaute Dünenlandschaft inklusive Yachthafen und Strandboulevard. Im Öko-Viertel „Oosterwold“ leben die Menschen nachhaltig und bauen ihre eigene Nahrung an.
Die neue Stadt für die Floriade wird bleiben
Und Almere wächst. Vom City-Strand aus sieht man bereits die Konturen des neuesten Viertels – ein verlockender grüner Dschungel namens „Hortus“, übersetzt der Garten. Doch bevor hier die neuen Bewohner das Viertel beziehen, werden noch die rund zwei Millionen Besucher der Floriade Expo erwartet. Das Gelände erreicht man mit Auto, Bus, Fahrrad oder mit dem Boot ab dem City-Strand.
„Diese Floriade ist anders als alle anderen zuvor“, sagt Niek Roozen, der Landschaftsarchitekt der Expo. Zum ersten Mal ist dies nicht nur eine Messe, die nach einem halben Jahr wieder abgerissen wird. „Wir bauen eine neue Stadt.“ Die gesamte Infrastruktur bleibe, sagt Roozen. Diese ist nachhaltig und an den Klimawandel angepasst. Der Architekt zeigt etwa auf die breiten Gehwege, die so angelegt sind, dass das Regenwasser schnell ablaufen kann.
Die grüne Basis ist das Arboretum, eine Pflanzen-Bibliothek voller Gerüche und Farben. „Alle Bäume und Pflanzen stammen von einheimischen Züchtern“, sagt Roozen. Sie wurden ausgewählt, weil sie die Luftqualität verbessern, die Temperatur senken, zur Biodiversität beitragen oder Nahrungsquellen sind.
Das gesamte 60 Hektar große Gelände wurde in Quadrate eingeteilt und alphabetisch nach den botanischen Namen der Pflanzen bepflanzt. Das T ist natürlich für die Tulpe reserviert, das versteht sich von selbst. So entstand eine Patchworkdecke aus Gärten, durchzogen von Kanälen mit Brücken aus recycelten Materialien. „Hier will man doch später wohnen, oder?“, fragt Landschaftsarchitekt Roozen.
Neue Wälder wurden angelegt. Im Nahrungswald etwa findet man nur essbare Pflanzen. Ganz besonders ist der Wald auf dem Wasser. Recycelte Bojen wurden mit Bäumen bepflanzt, die lässig auf dem Wasser dümpeln. Auch Podien und Bühnen für das Kulturprogramm schwimmen.
Eine Reise durch die Gärten der Welt
Gut 30 Länder errichteten einen eigenen Pavillon, in dem sie ihre Ideen für die grüne Stadt der Zukunft vorstellen. Die Expo ist wie eine Reise durch die Gärten der Welt.
Die Niederlande zeigen, wie man nachhaltig und klimaschonend mit biologischen Produkten bauen kann. China lädt zu einem Rundgang durch einen wachsenden Bambusgarten ein. Indien nimmt die Besucher mit auf eine spirituelle Reise. Katar demonstriert mit Gebäuden, die an Zuckerhüte erinnern, wie man durch traditionelle Formen und moderne Techniken Wüsten ergrünen lässt.
Der deutsche Garten heißt Biotopia. Schon von Weitem sieht man die besondere Konstruktion des Pavillons aus hölzernen Kuben. Das zweistöckige Gebäude ist aber auch Teil des Gartens. Durch seine bepflanzten Fassaden ist es ein lebendiges Ökosystem, das sich ständig verändern wird. Ein Biotop, das mithilfe der Besucher zu einer utopischen Welt wächst.
„Eine märchenhafte Utopie“, sagt Tetyana Osevych, die Projektmanagerin. Oben auf dem Dach wachsen Obst und Gemüse. Dort kann man auch essen. Im Hof mit insektenfreundlichen Pflanzen wohnt ein Bienenvolk. Besucherinnen und Besucher können mit einem smarten Armband durch Pavillon und Garten streunen und spielerisch mitbauen an der Stadt der Zukunft. „Die grüne Zukunft zu gestalten, macht schließlich auch Spaß“, sagt Osevych.
Wie verwunschene Inseln in der See
Hunderte von Ausstellern aus aller Welt zeigen in gläsernen Gewächshäusern moderne Techniken für den Gartenbau und Ideen für den Klimaschutz zu Hause. Spannende neue Materialien werden präsentiert – zum Beispiel aus Paprikastängeln gebaute Flugzeugstühle oder aus Pilzen hergestelltes Leder.
Oder wie wäre es mit einem Haus, gebaut aus Plastikabfall? Experten zeigen, wie man seinen Balkon zur Klima-Oase gestalten und Fassaden begrünen kann als natürliche Klimaanlage in heißen Sommermonaten.
Ob man alles in nur einem Tag sehen kann? Wohl kaum. Zum Glück muss man nicht alles erlaufen: Eine 850 Meter lange Seilbahn führt von einem zum anderen Ende der Floriade.
Aus den Gondeln heraus hat man einen fantastischen Blick auf das Gelände, das wie große verwunschene Inseln auf dem Weerwater-See von Almere zu treiben scheint. Auf der anderen Seite ragt die moderne Skyline der Stadt in den Himmel, unten blüht und wuchert die Natur. „Alles gedeiht hier besonders gut“, sagt Landschaftsarchitekt Roozen. „Der Meeresboden ist eben extrem fruchtbar.“
Tipps und Informationen:
Anreise: Almere ist von Amsterdam und Utrecht aus sehr gut mit dem Zug zu erreichen. Auch vom Flughafen Schiphol fahren in hohem Takt Züge nach Almere – die Bahnfahrt dauert rund 25 Minuten. Die Autobahn A6 führt an Almere vorbei. Das Zentrum der Stadt ist autofrei, aber es gibt ausreichend Parkplätze.
Flevoland: Durch Flevoland reist man am besten mit dem Auto, um alle Naturparks, die Strände und auch Schokland zu erreichen.
Floriade Expo: Die internationale Gartenbauausstellung läuft vom 14. April bis zum 9. Oktober und ist täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Das Gelände ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln hervorragend erreichbar. Im Zentrum von Almere fahren Shuttlebusse ab. Oder man nimmt das Boot über den See Weerwater (4,50 Euro hin und zurück). Informationen unter: floriade.com/de
Klima und Reisezeit: Flevoland kann man das ganze Jahr über besuchen. Die Winter sind meist mild. Für Wassersportler ist der Sommer am besten. Im Frühling lohnt sich ein Trip zur Tulpenblüte, die farbenfrohen Felder sind atemberaubend.
Unterkunft: In Almere gibt es auch für Floriade-Besucher viele einfache Unterkünfte im Bed & Breakfast ab 60 Euro/Nacht. Hotelzimmer in Almere kosten in der Hochsaison etwa 100 bis 150 Euro, in Luxushotels mehr als 200 Euro die Nacht. Gerade am Ijsselmeer gibt es auch viele Ferienparks mit Bungalows, Hotels, Ferienwohnungen und Zeltplätzen.
Der besondere Tipp: Viele Wander- und Radtouren führen durch den fantastischen Nationalpark Neues Land (Nationaal Park Nieuw Land), der größte künstlich angelegte Naturpark der Welt mit einer Fläche von insgesamt 29.000 Hektar. Hier findet man ein Vogelparadies, neu angelegte Inseln im Markermeer und Moorgebiete. Dort kann man Herden von wilden Konikpferden und Heckrindern begegnen. Informationen unter: nationaalparknieuwland.nl
Auskunft: visitalmere.com; holland.com
So kann man mit Brückentagen möglichst viel Urlaub herausholen
Auch wenn 2022 wieder viele Feiertage auf ein Wochenende fallen, kann man trotzdem seine Urlaubstage so legen, dass man dafür möglichst viele freie Tage am Stück hat. Mit diesen Tipps können Sie die Brückentage möglichst effizient nutzen.
Quelle: WELT/ Viktoria Schulte