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Deutschland Sittengemälde

„Im Ausland wird der Deutsche gern zur Wildsau“

Was ist typisch deutsch? Mit dieser Frage hat sich der Publizist Marcus S. Kleiner eingehend befasst. Er beschreibt, wie träge Camper, kulturlose Geselligkeit, üble Urlaubsmanieren und Schrebergärten das Bild der Bundesbürger prägen.
Reiseredakteurin
Alkohol enthemmt – das gehört für manche Deutsche, wie hier auf Mallorca, zum Urlaub einfach dazu Alkohol enthemmt – das gehört für manche Deutsche, wie hier auf Mallorca, zum Urlaub einfach dazu
Alkohol enthemmt – das gehört für manche Deutsche, wie hier auf Mallorca, zum Urlaub einfach dazu
Quelle: pa/blickwinkel/T. Llabres
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Es ist ein ambivalentes Deutschland-Bild, das Marcus S. Kleiner in seinem Buch „Deutschland 151. Porträt eines bekannten Landes in 151 Momentaufnahmen“ zeichnet. Die Deutschen seien zwar „immer entschieden, können sich häufig aber nur schwer entscheiden. Sie lieben die Eindeutigkeit, leben aber mehrdeutig“, sagt Kleiner.

Das gelte in allen Lebensbereichen – auch im Urlaub. Über diesen Aspekt sprachen wir mit Kleiner. Der Autor und Kommunikationswissenschaftler lehrt an der SRH Berlin University of Applied Sciences und reist selbst „am liebsten an Orte mit intensiver Atmosphäre“.

WELT: Sie porträtieren Deutschland in 151 Texten, die nach dem Alphabet geordnet sind – von A, wie Angrillen, Atomkraft und Autobahn bis Z, wie Zensur und Zuckertüte. Doch Weihnachten sucht man unter W vergeblich, warum?

Marcus S. Kleiner: Sie haben recht, ich hätte auch Weihnachten auswählen können, um Deutschland zu charakterisieren. Aber warum dann nicht auch über andere Feste, die in Deutschland wichtig sind, schreiben, so wie das jüdische Lichterfest Chanukka oder das islamische Opferfest?

Typisch deutsch wäre es, diese Feste im Buch zugunsten von Weihnachten auszusparen und so Deutschland weiterhin interkulturell ignorant zu betrachten. Das wollte ich nicht und habe keines der drei Feste im Buch aufgenommen.

WELT: Und warum fehlt auch das Thema Feiern in Ihrer Aufzählung?

Kleiner: Es gibt unterschiedliche deutsche Feierkulturen, etwa mit Blick auf regionale Volksfeste, allerdings kein besonders typisches deutsches Feiern, das unser Feierverhalten auszeichnet und uns zum Beispiel von einem – so auch nichtexistierenden – britischen Feierverhalten unterscheidet.

Im Buch wird das Thema Feste und Feiern indirekt angesprochen im Zusammenhang mit Karneval, Kirmes, Berghain oder Oktoberfest. Und hierbei interessiert mich dann wiederum, wie politisch das Feiern in Deutschland sein kann, wenn Sie auf das Berghain blicken, oder wie volkstümlich beim Oktoberfest. Unter dem Buchstaben F stehen dafür Begriffe wie Fleiß und Folgsamkeit.

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WELT: Ich schlage jetzt mal das Kapitel Folgsamkeit auf und lese hier: „In Deutschland befolgen wir fast immer die uns auferlegten Pflichten. Im Ausland wird der Deutsche gern zur Wildsau.“ Denken Sie dabei ans Feiern am Ballermann auf Mallorca?

Kleiner: Auch in Deutschland wird die Wildsau rausgelassen, allerdings feiern viele Deutsche im Ausland enthemmter, frei nach dem Motto: Was im Urlaub passiert, bleibt im Urlaub.

WELT: Dass sich Deutsche oft ambivalent verhalten, streichen Sie gleich zu Anfang Ihres Buches heraus. Sie widmen der Ambivalenz, also dem gleichzeitigen Erleben widersprüchlicher Emotionen, sogar ein eigenes Kapitel und begründen darin, warum Sie „weder Deutschland noch die Deutschen auf einen eindeutigen nationalen oder charakterlichen Wesenskern reduzieren“.

Und was ist mit Camping? Immerhin zehn Millionen Deutsche sind als Camper unterwegs oder haben eine Parzelle auf einem der über 3000 Campingplätze – reicht das nicht für eine eindeutige charakterliche Zuschreibung?

Kleiner: Mir geht es nicht darum, die Ambivalenz und Ambiguität (Mehrdeutigkeit, Anm. d. Red.) in jedem einzelnen Kapitel herauszuarbeiten, vielmehr möchte ich sie durch die Gesamtheit der 151 Begriffe als deutsche Grundeigenschaften kenntlich machen.

Nehmen wir beispielsweise die in meinem Buch auch vorkommenden Begriffe Urlaubswelt und Camping; beide stehen für Deutschland, obwohl sie Gegensätzliches ausdrücken. Denn deutsches Camping hat mit der eigentlichen Idee vom Reisen, die Welt kennenzulernen und den eigenen Horizont zu erweitern, wenig zu tun.

Die deutsche Campingliebe zeigt vielmehr, dass die Deutschen überall dort, wohin sie reisen, eine ständige Vertretung der eigenen Behaglichkeit und Lebensvorstellung suchen. Also bei jeder Reise ein Stück Deutschland suchen und mitnehmen.

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WELT: Wollen Sie damit sagen, dass Deutsche anders campen als etwa Niederländer oder Franzosen?

Kleiner: Ich bin kein Camper. Insofern kann ich Ihnen nicht empirisch belastbar sagen, ob sich die von mir kritisch beschriebene deutsche Camping-Kultur und -mentalität auch bei Niederländerinnen und Niederländern oder Französinnen und Franzosen wiederfindet. Allerdings ist das Reiseverhalten immer zugleich kulturell bestimmt und individuell bedingt.

Meine These an dieser Stelle ist: Je mehr Länder man bereist, desto mehr verliert man den Wunsch, seine Heimat, wenn man diesen Begriff überhaupt für sinnvoll hält, überall mitzunehmen.

WELT: So tiefsinnig, wie Sie die Deutschen und das Land analysieren – ist Ihr Buch damit nicht auch eine Art Gebrauchsanweisung für Deutschland-Reisende?

Kleiner: Mein Buch ist sowohl für die Deutschland-Reisenden als auch für die Deutschen geschrieben. Allerdings besonders für uns Deutsche.

WELT: Schrebergarten und Reeperbahn, Burgen, Bayreuth und Waldromantik – vieles, was für Deutschland steht, sprechen Sie an, vieles werden Leser aber auch vermissen. Wie sind Sie bei der Themensetzung vorgegangen?

Kleiner: Ich habe mich einerseits auf Themen fokussiert, die mit Blick auf Deutschland und die Deutschen erwartbar sind. Andererseits wählte ich Begriffe, die für mich eine große kulturelle und politische Bedeutung haben, wie Kanak Sprak, Gendern, Energiewende, Earth Speakr, Hip-Hop, Wohlstandsmüll, Woke und Kulturnation.

WELT: Bleiben wir mal bei der Kulturnation, ein Begriff, der die Verbundenheit einer Menschengruppe auf Basis ihrer Sprache, ihres Glaubens, ihrer Tradition meint. Daran dachte man offenbar auch im Schwarzwald, als man sich für die neue Imagekampagne „Wundersamer Schwarzwald“ entschied. Spricht Sie das Motto an?

Kleiner: Überhaupt nicht, das erinnert mich an den alten Schlager „Wunder gibt es immer wieder“ von Katja Ebstein aus dem Jahr 1970. Die Reisewerbung für Deutschland zeichnet häufig ein nostalgisch verklärtes und traditionalistisches Deutschlandbild, das es übrigens in den beworbenen Formen so zumeist niemals gegeben hat.

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Mir fehlen hierbei häufig Kreativität und vor allem Realismus. Nicht die Tradition, sondern die Gegenwart sollten dabei im Vordergrund stehen. Vor allem sollte die Deutschlandreisewerbung nicht den Fehler machen, Deutschland mythisch zu verklären.

Der Blick in die Gegenwart wird immer durch den nostalgischen und vor allem verzerrten Blick in die Vergangenheit verstellt. Und dieser Blick plädiert für Einschluss und Ausschluss zugleich, ist keine Einladung an die Welt, Deutschland zu bereisen und die Deutschen kennenzulernen.

WELT: Welche Region würden Sie ausländischen Freunden zum Kennenlernen deutscher Kultur und Lebensart denn empfehlen?

Kleiner: Berlin als interkulturelle Metropole, das Ruhrgebiet als Herz der Republik und als Region der Veränderung. Bayern als Beispiel für die Traditionspflege und deutsche Volkstümlichkeit. Und Mecklenburg-Vorpommern als Naturraum und als Beispiel für das Zusammenwachsen Deutschlands nach der Wiedervereinigung 1990.

WELT: Es ist wohl unvermeidbar, dass ein Buch über Deutschland Klischees wie Blond, Lederhose und Sauerkraut aufgreift. Gestolpert bin ich jedoch über den Begriff Grobschlächtigkeit. Wie kamen Sie denn auf diese Zuschreibung?

Kleiner: Bei vielen Reisen rund um die Welt bin ich häufig mit der Einschätzung von uns Deutschen als grob und ungehobelt konfrontiert worden. Italienerinnen und Italiener werden hingegen häufig für ihre Eleganz, Französinnen und Franzosen für ihren Charme und Spanierinnen und Spanier für ihr Temperament gelobt, um hier nur drei Beispiele zu nennen.

Eleganz, Charme und Feinsinnigkeit sind hingegen Eigenschaften, die den Deutschen nur selten zugeschrieben werden. Vielmehr empfindet man uns oft, wie etwa die Engländer, als zu direkt. Unseren Humor als zotig, unsere Erscheinung als hemdsärmelig, unser Auftreten als zu forsch und fordernd.

Die Sprache klingt für viele sehr hart. Das Zusammensitzen bei Bier und Wurstplatte ist ein Ausdruck unserer kulturlosen Geselligkeit. Lässt man das alles auf sich wirken, erscheinen die Deutschen als nur bedingt gesellschaftsfähig.

WELT: Auch anderen Nationen eilt ein schlechter Ruf voraus, die chinesische Regierung beispielsweise hat eine Art Reisebibel für ihre Bürger verfasst und mahnt darin, Chinesen sollten im Ausland nicht auf die Straßen spucken. Was würden Sie deutschen Reisenden ins Stammbuch schreiben?

Kleiner: Gute Manieren sind nur selten deutsche Reisetugenden. Bescheidenheit und Respekt vor anderen Kulturen sind nicht so oft im Reisegepäck. Auch das Bewusstsein für nachhaltiges Reisen ist nur bei wenigen deutschen Reisenden ausgeprägt, Hauptsache man kommt selbst gut durch.

Ebenso bleibt das Bildungsinteresse häufig auf der Strecke, weil deutsche Reisende allzu oft das Eigene im Fremden suchen, wie zum Beispiel die deutsche Küche oder die deutschen Komfortstandards. Sie sehen, um durch das Reisen Bildungserlebnisse zu erhalten und Erfahrungen zu machen, bedarf es zur Reisevorbereitung erstmal der Bereitschaft, sich auf das Andere einzulassen und es in sich reinzulassen, um mit offeneren Augen durch die Welt zu reisen und dabei nicht immer zu denken: ,Wo wir sind, ist vorne.‘

Marcus S. Kleiner wurde auf Reisen häufig mit der Einschätzung konfrontiert, Deutsche seien grob und ungehobelt
Marcus S. Kleiner wurde auf Reisen häufig mit der Einschätzung konfrontiert, Deutsche seien grob und ungehobelt

Marcus S. Kleiner „Deutschland 151. Porträt eines bekannten Landes in 151 Momentaufnahmen“, Conbook Verlag, 320 Seiten, 24,95 Euro.

Dieser Artikel wurde erstmals im Dezember 2021 publiziert.

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