Die hessischen CDU-Delegierten hatten ihren Landesparteichef, Ministerpräsident Boris Rhein, längst mit fast sozialistischer Zustimmung im Amt bestätigt, auch war schon ausführlich und in höchsten Tönen Eigenlob verteilt worden. Genussvoll hatten diverse Redner auf die Bundesregierung geschimpft und über den früheren Koalitionspartner Grüne hergezogen. Der jüngste Parteitag der Hessen-CDU in Wetzlar hätte also fröhlich und ungetrübt enden können – wäre da nicht ein Antrag der Jungen Union (JU) dazwischen gegrätscht, der im Nachgang für gewaltigen Ärger über das Land hinaus sorgt.
Denn der Parteinachwuchs forderte die Landesregierung und die hessische CDU-Landesgruppe im Bundestag auf, sich für das Ende des 49-Euro-Tickets starkzumachen. Die nötigen Aufwendungen von bis zu vier Milliarden Euro wären sinnvoller in der Infrastruktur investiert, so das Argument. Überraschend hob dafür eine Mehrheit der Delegierten den Daumen, obwohl die Antragskommission zur Ablehnung geraten hatte – und Hessens schwarz-rote Landesregierung hat ihren ersten, dicken Konflikt.
Denn der Vize-Ministerpräsident und Stellvertreter von Boris Rhein heißt Kaweh Mansoori, ist SPD-Verkehrsminister und ein ausdrücklicher Freund des Deutschlandtickets. Er halte selbstverständlich an dessen Fortbestand fest, kommentierte Mansoori den Parteitagsbeschluss verschnupft. Die Verkehrsbetriebe und Kunden bräuchten Verlässlichkeit statt dauernder Debatten.
Mit ihrem Antrag hat die CDU Hessen die Büchse der Pandora geöffnet. Bisher fordert noch keine Landesregierung ein komplettes Aus für das Ticket. Doch mit dem hessischen Vorstoß wird immer fraglicher, ob das so bleiben wird. Zwar kommt der JU-Antrag wohl auch der Wiesbadener CDU-Spitze nicht wirklich gelegen, denn eilig wurde der Hinweis verbreitet, ein solcher Beschluss müsse keineswegs reale Folgen haben. Es handele sich vielmehr nur um den Versuch, das eigene Profil gegenüber dem Koalitionspartner zu schärfen.
Hessens CDU-Generalsekretärin Maria Bischof sagte ausweichend, über die Zukunft des 49-Euro-Tickets entscheide „ausschließlich die bundespolitische Ebene“. Doch davon abgesehen, dass es die Parteibasis durchaus irritieren dürfte, wenn ein klarer Handlungsauftrag einfach ignoriert wird: Die Debatte um den Fortbestand des Deutschlandtickets wird künftig sicherlich mit noch größerer Schärfe geführt als bisher. Das zeigen auch die Reaktionen auf den Hessen-Beschluss.
Die FDP, die im Bund den Verkehrsminister stellt, schimpfte über den „unnötigen“ Vorstoß, der eine „sinnvolle Errungenschaft“ infrage stelle. Gewerkschaften, Kirchen, Sozial- und Umweltverbände rügten die CDU heftig. Die Wirtschaft dagegen jubelt über die deutliche Ansage: „Die Subventionen für das Deutschlandticket in Höhe von mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr fehlen für notwendige Investitionen in die Schiene und in die ÖPNV-Infrastruktur“, schloss sich die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhV) dem Antrag vollumfänglich an. Die knappen Mittel sollten in ein größeres und dichteres Bus- und Bahnnetz gesteckt werden, statt damit Tickets zu subventionieren.
Damit dürfte die Kampflinie markiert sein, an der in den kommenden Monaten die Anhänger und Gegner des Deutschlandtickets aufeinanderprallen. Noch ist nicht beschlossen, wie es über 2024 hinaus mit dem Ticket weitergeht. Doch zumindest, dass der aktuelle Preis von 49 Euro zu halten sein wird, wird immer unwahrscheinlicher. Ob das Ticket dann aber noch attraktiv genug ist, damit der Großteil der zuletzt elf Millionen Nutzer bei der Stange bleiben, ist ungewiss.
Zahlungsmoral des Bundes in der Kritik
Die CDU in Schleswig-Holstein plädiert dringend dafür, mindestens 59, besser noch 69 Euro zu verlangen. Wegen einer gewaltigen Finanzierungslücke im Verkehrsressort will das Land den Schienenverkehr ausdünnen. Bund und das Land geben in Schleswig-Holstein derzeit je rund 50 Millionen Euro für das Deutschlandticket aus. Würden diese 100 Millionen Euro stattdessen direkt an das Land gehen, müsse nicht gespart, sondern könne sogar mehr in neue Verkehre investiert werden, rechnete CDU-Fraktionschef Tobias Koch vor.
Auch im grün regierten Baden-Württemberg gibt es Ärger mit dem Deutschlandticket. Cornelia Christian, Chefin des größten Verkehrsbetriebs im Land, dem Stuttgarter VVS, warnt vor immer größeren Problemen. Das Ticket sei „bei der schnellen Einführung organisatorisch nicht bis zum Ende durchdacht worden“, monierte Christian in der „Stuttgarter Zeitung“. Die Nahverkehrsbranche sei zwar dem politischen Willen gefolgt, vermisse aber bis heute die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen. „Es fehlt vom Land immer noch der Anwendungsbefehl, also das Regularium, welches das Land gegenüber den Kommunen verpflichtet, die Ausgleichszahlungen für das subventionierte Deutschlandticket zu zahlen“, so ihre Kritik.
In Stuttgart gilt das Deutschlandticket von 1. Juli an daher nur deshalb weiter, weil der dortige Oberbürgermeister diesen „Anwendungsbefehl“ erteilt hat – mit der Konsequenz allerdings, dass die Landeshauptstadt die Risiken übernimmt und für die Einnahmeausfälle geradestehen muss.
Auch andere Verkehrsunternehmen und Landespolitiker beklagen die Zahlungsmoral des Bundes. So warten die Länder immer noch auf die Überweisung von Mitteln aus dem Jahr 2023, die damals für das D-Ticket eingeplant waren, aber nicht benötigt wurden. Ursprünglich hatten Bund und Länder beschlossen, je 1,5 Milliarden Euro für das Ticket aufzubringen. Doch 2023 waren insgesamt nur 1,8 Milliarden Euro benötigt worden, weil das Ticket erst im Mai gestartet war.
Die restlichen 1,2 Milliarden Euro, so die Vereinbarung der Bundesregierung mit der Verkehrsministerkonferenz, sollten in die Finanzierung des Tickets für 2024 fließen. Nur deshalb hatten sich die Verkehrsminister auch darauf eingelassen, den Ticketpreis bei 49 Euro zu belassen. Doch bis heute wartet man in den Ländern auf das Geld.
Der Hamburger Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) geht daher auf die Bremse: Das Deutschlandticket hänge von der Finanzierbarkeit des öffentlichen Nahverkehrs ab. Bevor man sich mit der Frage zur Weiterführung über den Jahreswechsel hinaus Gedanken mache, müssten die übrig gebliebenen Gelder fließen. Tjarks fordert vom Bund einen Gesetzesvorschlag, um Finanzierungssicherheit zu schaffen: Schleswig-Holstein sei nicht das einzige Bundesland, das darüber nachdenke, S- und Regionalbahnen einzustellen, weil das Geld fehle.
Der Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hält 49 Euro für zu teuer, um Autofahrer auf die Schiene zu locken. Daher habe die Bahn wenig neue Kunden gewonnen. Der Verkehrsökonom Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin geht davon aus, dass lediglich 0,5 Prozent des Autoverkehrs tatsächlich verlagert werden. Für solch einen geringen Effekt seien Aufwendungen von bis zu vier Milliarden Euro pro Jahr zu viel, so Böttger im Deutschlandfunk. Das gelte auch für die Treibhausgase. Jede mit dem Deutschlandticket eingesparte Tonne CO₂ koste 6000 oder 8000 Euro. Dies sei „absurd viel Geld“.