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Deutschland Drogenschwemme

Bei den Kokstaxis in deutschen Großstädten gibt es jetzt Schichtpläne

Politischer Korrespondent
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Quelle: Getty Images/Francesco Carta fotografo
Selbst die Beschlagnahmung von Rekordmengen an Kokain hat in Deutschland keinen Einfluss auf den Verkaufspreis auf der Straße: Die Droge erobert das Land – auch dank wachsender Korruption. Das Geschäft floriert dermaßen, dass Dealer in Großstädten heute wie Lieferdienste agieren.

Nachdem an einem unbekannten Ort irgendwo in Deutschland Kokain im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro in Rauch aufgegangen war, feierten die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Erfolg in seltener Offenheit. Es gibt ein Video zur „Operation Plexus“ im Stile einer Netflix-Produktion, das Landeskriminalamt Baden-Württemberg hat den kurzen Clip Mitte Juni veröffentlicht. Schwer gesicherte Transporter rasen darin zu treibenden Bässen über die Autobahn, Ermittler in weißen Tarnanzügen werfen unzählige Päckchen in eine riesige Müllverbrennungsanlage.

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35,5 Tonnen Kokain konnten die Fahnder aus dem Verkehr ziehen, es ist die größte Sicherstellung jemals in Europa. Der Tipp kam von kolumbianischen Behörden, das weiße Gift lag versteckt in Seecontainern zwischen Obstkisten. Drogenfahnder stellten im Hamburger Hafen fast 25 Tonnen sicher, acht weitere in Rotterdam und drei in Ecuador. Im Fokus stehen ein Geschäftsmann aus Baden-Württemberg und ein Komplize aus Nordrhein-Westfalen. Der Geschäftsmann soll Hunderte Tarnfirmen gegründet und zum Schein auch massenhaft Kernseife und Ananas importiert haben. Zoll und Polizei hatten jahrelang gegen bis zu acht Beschuldigte ermittelt, einige unbekannte Hintermänner werden in der Türkei vermutet.

Die Sache hat nur einen Haken. Selbst solch ein Schlag gegen die Drogenbanden hatte keinen Einfluss auf den Verkaufspreis auf der Straße und den Clubs der Metropolen. Sprich: Der allergrößte Teil des Rauschgifts kommt durch. Der Rekordfund ist mehr wie eine gewonnene Schlacht – den Krieg, um im Bild zu bleiben, drohen die Behörden zu verlieren. Und das Kokain verändert von vielen unbemerkt Gemeinwesen und Sicherheitslage des Landes.

Die Koka-Anbauflächen in Südamerika wachsen stetig an, die Produktionsmengen explodieren und die Nachfrage ist anscheinend riesig – jedes Jahr erreichen immer größere Ladungen den weltweit wichtigsten Absatzmarkt Europa. Das Bundeskriminalamt (BKA) stellte in dieser Woche sein Lagebild Rauschgiftkriminalität vor; die Menge an sichergestelltem Kokain hat sich demnnach 2023 im Vergleich zum Jahr zuvor in Deutschland auf 43 Tonnen verdoppelt. Für das laufende Jahr will die Behörde noch keine Zahlen nennen.

Quelle: Infografik WELT

Eine „Line“ gehört für viele zu einer gelungenen Party dazu, auch im Arbeitsleben hat die Droge anscheinend ihr Stigma verloren. Genaue Zahlen zu Nutzern gibt es naturgemäß nicht, aber die Delikte rund um Kokain geben einen Hinweis auf die Nachfrage: Sie stiegen 2023 um 27,4 Prozent an, ein weiterer Höchstwert.

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BKA-Vizepräsidentin Martina Link spricht von vielfältigen Gefahren des Kokainhandels „für Staat und Gesellschaft“. Die riesigen Margen, die mit dem Transport und Verkauf zu verdienen sind, wecken bei kriminellen Gruppen große Begehrlichkeiten. Tätergruppen aus den Balkanstaaten, hier insbesondere albanische sowie türkische, marokkanische und italienische Gruppierungen dominieren den Markt.

Wenn „Donald Duck Aktiv“ das Kokain vorbeibringt

Der Kuchen ist so groß, dass sich selbst unter den kriminellen Wettbewerbern eine Art Arbeitsteilung etabliert hat. Finanzstarke Gruppen kaufen gemeinsam Schiffsladungen an Kokain aus Südamerika und diversifizieren so das Risiko. In Europa übernehmen dann auf Transport spezialisierte Banden, die das Rauschgift mit Autos und Transporten über das Land verteilen. Dort haben lokale Dealer Lieferdienste etabliert, die das Kokain wie eine Burger-Bestellung zum Kunden fahren.

Das zeigte diese Woche auch ein Prozess am Landgericht Hamburg. Antonio L. ist ein junger Mann mit blond gefärbten Stirnfransen, er soll die Zentrale des Lieferdienstes betreut haben. Das Kokstaxi war sechs Tage die Woche über Messengerdienste wie WhatsApp und Signal erreichbar, immer von 13 bis 23 Uhr. Für 0,5 Gramm Kokain zahlten die Kunden rund 50 Euro. Und L. und seine Fahrer lieferten – zum Parkplatz eines Schnellrestaurants, aber auch in die noblen Viertel im Hamburger Westen.

Die Gruppe nannte sich „Batmans Taxi“, die Geschäfte liefen blendend – später erweiterten sie ihre Flotte um Fahrzeuge mit den Namen „Donald Duck Aktiv“ und „Hulk“. Die Kokstaxis in den Metropolen arbeiten wie gut geölte Maschinen. Häufig gibt es Schichtpläne, bei dringenden Arztbesuchen melden sich Fahrer ab und andere rücken nach. Denn der Nachschub darf nicht abreißen.

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Soziologin Zora Hauser, die an der englischen Universität Oxford zur Kokain-Industrie forscht, macht die hohe Verfügbarkeit der Droge Sorgen. Auch die Folgen der Kokain-Schwemme seien nicht zu vernachlässigen. „Ich sehe die große Gefahr, dass die enormen Geldmengen aus dem Kokain-Handel unsere Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen korrumpieren und auch Einfluss auf Politik und Justiz nehmen“, sagte sie WELT AM SONNTAG.

In den Nordseehäfen ist die Korruption schon angekommen. Der Hamburger Hafen – eines der zentralen Einfalltore für den internationalen Kokainschmuggel nach Europa – etwa hat ein Problem mit sogenannten Innentätern. Mitarbeiter also, die Container auschecken und diese nach dem Entladen wieder ohne Drogenfracht ins System zurückbuchen; Logistiker, die sensible Pläne und Abläufe kennen; Lkw-Fahrer, die die Ware in entlegene Industriegebiete bringen. Manche kriminellen Gruppen bieten viel Geld, um diese Hafenmitarbeiter auf ihre Seite zu ziehen – oder setzen diese massiv unter Druck, bis hin zu Morddrohungen gegen die Familie.

Die Stadt hat auf mehrere öffentlichkeitswirksame Fälle reagiert: Polizei, Zoll und Hafenwirtschaft starteten eine Präventionskampagne, das Landeskriminalamt schult seit vergangenem Winter Hafenfirmen und gibt Tipps zu Schutzmaßnahmen. Fahnder raten etwa davon ab, in den sozialen Medien seine genaue Tätigkeit etwa in den Containerterminals zu enthüllen. Hafenmitarbeiter, die den kriminellen Versuchungen dennoch erlegen sind und jetzt Reue zeigen, können sich über ein anonymes Portal an die Sicherheitsbehörden wenden. Zudem haben sich die großen europäischen Hafenstädte Antwerpen, Rotterdam und Hamburg zur engeren Kooperation verpflichtet.

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Doch die Kokain-Gewinne dürften für manche weiterhin zu lukrativ sein. So lukrativ, dass die Drogenkartelle vermehrt erwägen, sogar den Staat anzugreifen. Zollfahnder warnen vor einer wachsenden Gefährdungslage rund um Lager und Transporte, in denen beschlagnahmtes Kokain verwahrt wird. Es sei festzustellen, dass „auf der Täterseite die Gewaltbereitschaft deutlich zunimmt und mit Angriffen auf den Zoll zur Rückerlangung der Sicherstellungsmengen zu rechnen ist“, so zitieren WDR und NDR Teilnehmer eines Zoll-Workshops aus dem vergangenen Jahr.

Ein Problem dabei scheint dem Bericht zufolge die mangelnde Ausrüstung zu sein. So tragen derzeit nur wenige Mitarbeiter im Zoll Maschinenpistolen, die kriminellen Banden dagegen sind schwer bewaffnet. „Auch die lange Verwahrdauer des Rauschgifts bereitet uns Sorgen“, sagte Christian Beisch, stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft, WELT AM SONNTAG. In der Regel darf erst vernichtet werden, wenn die Täter rechtskräftig verurteilt sind, das gibt die Strafprozessordnung vor. „Einfacher wäre es, wenn ein Richter einmal offiziell die Menge feststellt und man nur eine kleine Probe zurückbehält“, sagt Beisch.

Bisher darf nur in Ausnahmefällen eine frühere Vernichtung erfolgen, wie etwa bei der Operation „Plexus“. So lagern schon jetzt Tonnen an beschlagnahmtem Kokain in unzureichend geschützten Fabrikhallen – und der nächste Rekordfund kommt bestimmt.

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