Die Europäische Union will der Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland spätestens bis Anfang Juli umfangreiche Sicherheitszusagen machen. Sie betreffen politische, militärische und wirtschaftliche Hilfen und sollen so lange gelten, bis die Ukraine der EU und Nato beigetreten sein wird.
Nach Informationen von WELT AM SONNTAG haben sich die zuständigen Botschafter der 27 Mitgliedsländer der Union erst kürzlich auf einen als „vertraulich“ eingestuften elfseitigen Text geeinigt, der momentan zwischen dem Europäischen Auswärtigen Dienst und der Regierung in Kiew beraten wird.
In dem Dokument, das dieser Zeitung vorliegt, heißt es: „Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten wirken in entscheidender Weise an der unverzüglichen und langfristigen Sicherheit und Resilienz der Ukraine mit, und zwar durch militärische und zivile Hilfen, humanitäre, finanzielle, handelspolitische und wirtschaftliche Unterstützung, die Unterbringung von Vertriebenen, die Unterstützung von Reformen, Wiederaufbau und Rekonstruktion, aber auch durch restriktive Maßnahmen und diplomatische Unterstützung.“
Konkret sichert die EU der Ukraine bei weiteren Angriffen unverzügliche Konsultationen zu. In dem Entwurf der 27 EU-Länder heißt es dazu: „Im Fall einer künftigen Aggression beabsichtigen die Europäische Union und die Ukraine, sich innerhalb von 24 Stunden zu konsultieren über die Bedürfnisse der Ukraine, die ihr Recht auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta ausübt“.
Eine direkte Teilnahme von EU-Soldaten an der Seite von ukrainischen Soldaten an Kampfhandlungen gegen Russland wird damit aber ausgeschlossen. Allerdings verspricht Brüssel der Ukraine die weitere Lieferung von letalen und nicht-letalen Waffen, ein fortgesetztes Training von Soldaten, Mithilfe bei der Reform des Sicherheitssektors, Unterstützung bei der Entminung des Landes und Zusammenarbeit bei der Abwehr von hybriden Bedrohungen und Cyberattacken.
Hilfe beim Wiederaufbau
„Der Unterstützungsfonds für die Ukraine wird im Jahr 2024 ein Budget von fünf Milliarden Euro haben. Weitere vergleichbare jährliche Aufstockungen können bis 2027 ins Auge gefasst werden.“ Dies hänge aber davon ab, was die ukrainische Armee künftig braucht und welche zusätzlichen bilateralen Beiträge die EU-Länder leisten.
Gleichzeitig verpflichtet sich die EU, Kiew beim Wiederaufbau massiv zu unterstützen. Dafür dürften Finanzhilfen notwendig sein, die sich mindestens im hohen dreistelligen Milliarden-Bereich bewegen werden. Bereits im Februar 2023 hatte die Weltbank die Kosten für den Wiederaufbau des Landes auf 411 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Seitdem hat das Ausmaß der Zerstörungen aber weiter deutlich zugenommen. Ein hoher EU-Diplomat deutete hinter vorgehaltener Hand an, wie schwierig diese Herausforderung für die Europäer werden dürfte. „Wir müssen irgendwann ja auch noch als ein wesentlicher Geldgeber den Wiederaufbau des Gazastreifens mitfinanzieren“, sagte er.
In Brüssel wird allgemein damit gerechnet, dass die EU-Kommission deswegen bald einen Vorschlag machen wird, der – ähnlich wie beim sogenannten Wiederaufbaufonds zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Epidemie – eine Art Eurobonds zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine und des Gaza-Streifens vorsieht.
Die EU will die Sicherheitszusagen vor allem auf Druck der Regierung in Kiew abgeben. Die Zusagen sind jedoch rechtlich ebenso wenig verbindlich wie die bilateralen Abkommen über Sicherheitsgarantien. Laut internen EU-Angaben haben bisher aber nur sieben Mitgliedstaaten solche Garantien gegeben: Deutschland, Dänemark, Frankreich, Italien, Finnland, die Niederlande und Lettland.
Weitere sieben EU-Länder weigern sich, bilaterale Abkommen mit der Ukraine über Sicherheitszusagen abzuschließen: die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Bulgarien, Zypern und die neutralen Staaten Irland, Österreich und Malta. Auch die Schweiz und die Türkei, die nicht zur EU gehören, wollen kein Sicherheitsabkommen mit Kiew vereinbaren.
Die 27 Mitgliedsländer hatten sich beim EU-Gipfel Ende Juni 2023 darauf verständigt „künftige Sicherheitszusagen“ an die Ukraine zu machen. Bei den Verhandlungen in den vergangenen Monaten bestanden die drei neutralen Staaten darauf, dass die EU – anders als einzelne Mitgliedsländer – keine Sicherheitsgarantien, sondern nur Sicherheitszusagen abgeben solle. Aus Sicht dieser Länder sind Zusagen weniger verpflichtend als Garantien.