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Ausland Margrethe Vestager

„Jetzt müssen alle wieder zur Besinnung kommen“

BRUXELLES Portrait Margarethe Verstager Photo: Hatim Kaghat BRUXELLES Portrait Margarethe Verstager Photo: Hatim Kaghat
Margrethe Vestager, 51, ist EU-Kommissarin für Wettbewerb und als eine von drei Stellvertretern Ursula von der Leyens zuständig für Digitalisierung
Quelle: HATIM KAGHAT/ LE SOIR
Am Montag hätte die erste Arbeitswoche der neuen EU-Kommission beginnen sollen. Aber das EU-Parlament zerstritt sich über die neuen Kommissare. Die mächtige Kommissions-Vizechefin Margrethe Vestager warnt vor einem Fehlstart.

WELT: Frau Vestager, die Nominierung der Kommissare hat sich nun so lange verzögert, dass der Start mindestens auf den ersten Dezember verschoben wurde. Jetzt verzögert sich die Nominierung eines neuen rumänischen Kandidaten wegen der Regierungskrise in dem Land. Wie fühlen sich diese Wochen in Brüssel an?

Margrethe Vestager: Das sind recht eigenartige Wochen. Wir möchten alle anfangen, aber müssen auf die letzten fehlenden Kommissare warten. Die Neuen hängen ein bisschen in der Luft. Die Scheidenden auch. Sie würden gerne gehen, müssen aber noch einige Aufgaben weiterführen. Wir hoffen immer noch, dass die neue Kommission am 1. Dezember ihr Amt antreten kann, aber das hängt von den Rumänen ab. Wir werden es im Verlauf dieser Woche wissen.

WELT: Konservative, Sozialdemokraten und Liberale im EU-Parlament haben gegenseitig jeweils einen nominierten EU-Kommissar abgelehnt. Kann die Kommission also nur auf eine wacklige Mehrheit zählen, ohne echten Zusammenhalt?

Vestager: Diese dreifache Ablehnung ist ein bisher einmaliger Vorgang und sollte nun alle wieder zur Besinnung bringen. Die Wähler erwarten, dass die Institutionen mit ihrer Arbeit beginnen. Was die Mehrheiten angeht, sieht das EU-Parlament nun mal so aus, wie die Bürger es gewählt haben.

Bei uns in Dänemark sind wir an Koalitionen aus Parteien gewöhnt, die sich zu Beginn der Legislaturperiode überhaupt nicht grün sind, dann aber lernen, miteinander zu arbeiten. Die beiden traditionellen politischen Familien Europas, die Konservativen und die Sozialdemokraten, die früher gemeinsam über eine komfortable Mehrheit verfügten, müssen sich jetzt natürlich an eine neue Situation gewöhnen.

WELT: Rechnen Sie eher mit wechselnden Mehrheiten, zum Beispiel manchmal mit den Grünen, dann wieder mit den nationalistischen Parteien wie der polnischen PiS? Oder fänden Sie eine größere, aber stabile Mehrheit besser?

Vestager: Wir haben da keine Wahl. Je nach Sachbereich werden wir die Parteien schon im Vorfeld dazu einladen, mit uns zusammenzuarbeiten. Wir werden keine Projekte vorlegen und sagen: Friss oder stirb. Wir brauchen eine neue Einstellung, um in einem System zu kooperieren, in dem eben nicht mehr nur zwei Parteien die Mehrheit stellen.

WELT: Waren Sie überrascht, als das EU-Parlament die französische Kommissarskandidatin Sylvie Goulard abgelehnt hat?

Vestager: Ich war nicht nur überrascht, sondern auch sehr traurig darüber. Sylvie ist fachlich hervorragend und zudem Europa enorm verbunden. Ich hatte mich sehr darauf gefreut, mit ihr zusammenzuarbeiten. Aber das Parlament wird seine Gründe gehabt haben für die Ablehnung. Es ist nicht meine Aufgabe, diese Entscheidung infrage zu stellen.

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WELT: Kennen Sie Thierry Breton, der sie nun ersetzen soll?

Vestager: Ich habe Thierry Breton am letzten Mittwoch zum ersten Mal getroffen. Wir haben uns etwa eine Stunde lang über die Themen unterhalten, die wir gemeinsam bearbeiten werden. Ich hatte einen sehr guten ersten Eindruck.

WELT: Donald Trump hat Sie als eine „Tax Lady“ bezeichnet, nachdem Sie einige amerikanische Technologieunternehmen angegriffen hatten. Welche Bezeichnung könnte er Ihnen geben, wenn Sie künftig auch noch für den Digitalsektor zuständig sind?

Vestager: Wenn ich in Donald Trumps Kopf sehen könnte, würde ich daraus ein Geschäftsmodell machen.

WELT: Welches denn?

Vestager: Ein Beratungsunternehmen.

WELT: Eine Ihrer künftigen Aufgaben besteht darin zu verhindern, dass Europa bei der technologischen Revolution den Anschluss verliert. Sind wir da nicht zu spät dran, angesichts der Tatsache, dass die US-Unternehmen bereits die Daten von Millionen von europäischen Bürgern gesammelt haben?

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Vestager: Einer der Gründe, warum die sozialen Netzwerke so schnell wachsen konnten, liegt darin, dass sie bereits über einen großen Binnenmarkt in den Staaten verfügten, ohne Sprachbarriere und mit einer guten technologischen Infrastruktur. Das ermöglichte ihnen dann auch den Sprung nach Europa, mit allen Angeboten, die die Verbraucher so lieben.

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Doch die Phase, die jetzt kommt, ist die der technologischen Revolution, und wir befinden uns in einer sehr viel besseren Situation, da wir über einen einzigartigen Markt verfügen. Man hat mir erst kürzlich gesagt, dass es im Bereich künstlicher Intelligenz in Europa genauso viele Start-ups gibt wie in den Vereinigten Staaten.

Bei den Superrechnern sind wir kurz davor, im Bereich Kapazität die Spitze zu übernehmen. Unsere Satellitenprogramme Copernicus und Galileo sind die größten Datenproduzenten überhaupt.

WELT: Klingt fast, als bleibe für Sie nichts mehr zu tun in diesem Bereich.

Vestager: Das heißt erst mal nur, dass wir mit einer guten Grundlage starten. Für uns liegt die Herausforderung in den kleinen bis mittleren Unternehmen, die den Großteil der europäischen Wirtschaft ausmachen.

Derzeit sind ihre Auftragsbücher gut gefüllt, und sie könnten denken, dass die technologische Revolution erst morgen stattfinden wird. Wir müssen dafür sorgen, dass sie auf den Technologiezug aufspringen und ihnen den Zugang zur Digitalisierung erleichtern.

WELT: Sie haben die Fusion der Zugsparten der Industrieriesen Siemens und Alstom verhindert, die Regierungen von Deutschland und Frankreich waren sehr verärgert. Nun bleiben Sie für Wettbewerb zuständig. Keine gute Nachricht für Berlin und Paris?

Vestager: Das ist keine Frage der Person. Die EU-Kommission hat das Mandat, dafür zu sorgen, dass der Markt dem Verbraucher dient. Es gibt keinen Widerspruch zwischen der Bildung von Industriechampions und dem Verbraucherschutz.

WELT: Frankreich und Deutschland werfen Ihnen vor, europäische Interessen für den Verbraucherschutz zu vernachlässigen.

Vestager: Für mich besteht kein Unterschied zwischen dem Dienst am Verbraucher und den Interessen Europas. Es ist doch für Europa von höchster Bedeutung, dass der Verbraucher, also der Bürger, auch erkennt, dass der Markt für ihn da ist.

Und wenn es europäische Champions gibt, dann nur deshalb, weil sie durch den Wettbewerb beflügelt werden, und nicht, weil man sie gehätschelt und verwöhnt hat. Für ein Unternehmen ist der Wettbewerb die beste Art, fit und innovativ zu bleiben. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich gehe nicht in den Supermarkt, wenn mein Kühlschrank voll ist.

Es ist im Interesse Europas, dynamisch zu sein, und genau das geht nur über den Wettbewerb. Wir müssen unsere Unternehmen schützen, wenn sie mit unlauteren Praktiken konfrontiert werden. Aber wir haben keinerlei Programm zur Schaffung von europäischen Champions...

WELT: Einige fordern das aber ...

Vestager: ...und wir sollten so ein Programm auch gar nicht haben. Dass Unternehmen fusionieren wollen, ob nun öffentliche oder private, europäische oder nicht, das ist nicht unsere Entscheidung, sondern einzig und allein deren eigene.

WELT: Auch Ihr liberaler Kollege Guy Verhofstadt fordert die Schaffung europäischer Champions, vor allem digitale.

Vestager: Diese Art, die Dinge zu sehen, ist ziemlich altmodisch. Die europäische Industrie besteht nicht nur aus riesigen Unternehmen. Es ist ein Ökosystem aus Firmen jeder Größe – und gerade das ist einer der Gründe, warum die europäische Industrie so widerstandsfähig ist.

Dieser Text stammt aus der Zeitungskooperation Leading European Newspaper Alliance (LENA). Ihr gehören neben WELT die italienische Zeitung „La Repubblica“, „El País“ aus Spanien, „Le Figaro“ aus Frankreich, „Gazeta Wyborcza“ aus Polen, „Le Soir“ aus Belgien sowie aus der Schweiz „La Tribune de Genève“ und „Tages-Anzeiger“ an.
Dieser Text stammt aus der Zeitungskooperation Leading European Newspaper Alliance (LENA). Ihr gehören neben WELT die italienische Zeitung „La Repubblica“, „El País“ aus Spanien, „...Le Figaro“ aus Frankreich, „Gazeta Wyborcza“ aus Polen, „Le Soir“ aus Belgien sowie aus der Schweiz „La Tribune de Genève“ und „Tages-Anzeiger“ an.
Quelle: Infografik WELT

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