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Die Armee der Sympathisanten muss sich auflösen

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Ist es Zeit für einen neuen "stern"-Titel?
Quelle: DPA
Zehntausende waren von der RAF fasziniert - bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Es handelte sich um eine Verführung wie unter den Nazis. Das Schweigen darüber dauert bis heute an. Jetzt ist der Zeipunkt gekommen, es zu beenden.

Nun, da Brigitte Mohnhaupt frei ist, kommt vielleicht auch die Zeit, in der sich die Armee der Klammheimlichen von ihr freimacht. Das waren jene Zehntausende, die damals als Sympathisanten fasziniert waren von der Idee, sich in Tötungsabsicht für Politik zu interessieren. Es war ja nicht so, dass die RAF aus dem Erdloch zu Morden ausrückte. Sie rückte aus der Mitte der Gesellschaft an. Sie brauchte, um zu existieren, legale Autos, legales Geld, legale Wohnungen. Sie brauchte Helfer und sogar Zuspruch. Terrorismus ist nervenaufreibend.


Was die RAF-Debatte aus Amerika besehen auszeichnet, ist die Beflissenheit, mit der selbst jetzt noch der „bewaffnete Kampf“ zur Einzelkriminalität herabgeredet wird. Wenn es das nur gewesen wäre. Die RAF war auf dem Wege zur heimlichen Massenbewegung zu werden, zum embryonalen Zeitgeist. Die Frage eines „Mescalero“ aus Göttingen zur Frage, ob man den Mord an Siegfried Buback betrauern müsse oder auch mit „klammheimlicher Freude“ zur Kenntnis nehmen könne, ist ein Schlüsseltext der RAF, obwohl er nicht von ihr stammte. Die klammheimliche Freude wurde zum geflügelten Wort des Sommers 1977, weil es präzise eine gefühlte Wirklichkeit weit über die enge Unterstützerszene hinaus beschrieb.

Die RAF räumte selbst mit der Romantik auf

Es wird heute oft so getan, als hätten nicht Zehntausende in den ersten Tagen der Entführung Hanns-Martin Schleyers auf Seiten der Entführer mitgefiebert. Als hätten nicht Zehntausende schon vorher Heinrich Bölls Formel vom „Krieg der sechs gegen sechzig Millionen“ als wahr empfunden. Als sei der Jubelsturm folgenlos verhallt, mit dem der Parteitag, vor welchem Böll sprach, seinen weiteren Satz quittierte, es gebe nicht nur Gewalt in Gestalt von Bomben und Pistolen, sondern auch „Gewalt und Gewalten, die auf der Bank liegen und an den Börsen hoch gehandelt werden.“ Heinrich Böll!

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Man beschweigt das heute. Man schweigt, wenn ein großer Regisseur jetzt plötzlich bekennt, den bewaffneten Kampf erwogen zu haben. Hätte die RAF die Schleyer-Entführung zu einem politisch akzeptablen Ende gebracht, es wären Romantiker in Bataillonsstärke zu ihr gestoßen. Endlich öde Gremien hinter sich lassen! Gestützt hätten sie sich auf eine Sympathisantenschicht, bei deren Namensnennung einem das Frösteln überkäme, so tief hinein in die Gesellschaft hätte sie gereicht.

Zum Glück hat die RAF im Schlusskommunique zu Schleyer mit der Romantik aufgeräumt. Helmut Schmidt kann sich seinen Rathenau, die gottverfluchte Judensau, in Mülhausen abholen – es stand dort so nicht, da stand „korrupte Existenz beendet“, aber der Ton war der gleiche. Erst der Nazi-Genickschuss im Wald und die Hinrichtung des Copiloten der „Landshut“ durch arabische Genossen hat die RAF zu Kriminellen werden lassen.

Pervertierte Sehnsucht nach Taten gegen Amerika

Zum Kern einer heimlichen Massenbewegung wurde die RAF auch, weil sie eine pervertierte Sehnsucht nach Taten und Idealen gegen Amerika verkörperte. Die RAF entstand zwar unter deutschen Bedingungen, aber ein Motiv für ihre Geburt war die Indifferenz aller Parteien hinsichtlich des Vietnamkriegs. Er war die Chiffre für eine Hegemonie, die nach Auffassung der Radikalen von deutschen Kaufhäusern bis zum Weißen Haus reichte. Der SDS ging auf die Straße, die USA führten den Krieg trotzdem weiter. Benno Ohnesorg starb, der Krieg ging weiter, Willy Brandt wurde Kanzler, und der Krieg ging weiter.

Man muss etwas tun gegen „das System“: Die RAF rührte an Empfindungen, die den Ex-SS-Mann Schleyer und „USA-SA-SS“ vereinten. Entführt wurde nicht nur der Repräsentant einer Wirtschaft, die mit Hitler gut zurechtgekommen war, sondern auch der symbolische Kopf einer amerikanisch begründeten „BRD“. Es war späte Rache an den Nazis und nachgeholter Widerstand gegen Vietnam zugleich. Die angestrahlten Limousinenwracks aus Hitlers Lieblingsfirma waren deshalb die Erfüllung vieler Tagträume. Hätte es damals Computer gegeben, man hätte hier und da das Foto aufgepeppt wie Andy Warhol Mao.

Als heimliche Massenbewegung ist die RAF eine politische Lehre. Denn sie verkörperte leider auch dies: eine pervertierte Sehnsucht nach großen Taten und Idealen. In den USA wird es eine RAF nie geben, denn dort mündete der bewaffnete Kampf in die Freiheit zu denken. Die Revolution hätte sich dort im RAF-Stil erschöpfen können – darin, Gouverneure und Großgrundbesitzer umzubringen, und im Morden die ganze notwendige Tat zu sehen. Der bewaffnete Kampf hat aber zur berühmtesten Präambel der Geschichte geführt. Das Produkt der Gewehrläufe war kein „Washingtonianismus“, sondern das Recht auf Glück und auf politische Träume.

Die Qual der Tagträumer

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Auch gefährliche Träume gehören zur Demokratie. Sie ist kein Ochsentour-Klettergerüst. Sie braucht die Freiheit zu irren, sich zu erregen, sich zu schämen, aber sie braucht Freiheit ohne geistige Zäune. Eine Demokratie, die den Zweikampf zwischen Hillary Clinton und Barack Obama gebiert, ist immun gegen klammheimliche Freude am Morden.

Die Tagträumer in Deutschland haben der RAF ihren Nazi-Ton nicht verziehen, mit dem sie die Illusionen zerschlug. Das klammheimliche Schweigen über die Wirkung der RAF rührt daher. Die Tagträumer quält der Gedanke: Wir hatten die Hände in der Tasche bereits zum Applaus entrollt für Leute, die danach Genickschüsse ansetzten. Mit uns, ausgerechnet uns, die in Schleyer nur den SS-Mitläufer sehen konnten, ist Deutschland in gewisser Weise zum zweiten Mal auf Nazis hereingefallen.

Heute verirrt sich eine Demokratie, die mit Ortsvereins-Beck, Satzungs-Rüttgers oder Kreisparteitags-Westerwelle zufrieden zu sein hat, in verräterisches Lamentieren über die RAF. Die Armee der Klammheimlichen ist auch nach dreißig Jahren noch zu Recht erschrocken über die Dürftigkeit ihrer RAF-Verführer. Sie wagt nicht zu sagen: Ja, wir haben gefährlich geträumt. Denn sie bringt es nicht über sich zu sagen: In Deutschland ist auch wegen uns heute zu Recht kein Platz für Träume mehr.

"Wir haben applaudiert!"

Den Platz sollte es aber geben; es kommt auf die Träume an. Es waren nicht alle Verbrecher, die der RAF Gehör schenkten, das ist das Beunruhigende. Es waren oft kreative Köpfe. Die Lust am Klammheimlichen hat auch mit der Frage zu tun, wie weit die Grenze für Debatten gezogen wird – die gefühlte Grenze, nicht die rechtlich garantierte.

In den USA endet die gefühlte Grenze bei der Lust auf Mord. In Deutschland endet sie weit früher. 1977 war eine bleierne Zeit, heißt es. Das ist grober Unsinn und stimmt zugleich. Heute formt sich ein streng bleifreier Konsens der Mitte. Brigitte Mohnhaupt ist eine Mumie in einem Land, in dem selbst CSU und PDS zu siebzig Prozent einig sind, und das gerade deshalb intolerant wird. Wer die Kreise stört, wie Bischof Walter Mixa, wird niedergemacht. In den USA sagen viele, was Mixa denkt. Noch mehr widersprechen ihnen. Aber man darf über solche Thesen frei diskutieren.

Es gab einmal einen „stern“-Titel, auf dem Frauen sagten: „Wir haben abgetrieben!“ Es ist Zeit für einen Titel: „Wir haben applaudiert!“ Nicht, um die Scham zu vergrößern. Sondern um zu sagen: So groß war die klammheimliche Armee, und nie wieder möge es ein Deutschland geben, in dem Menschen beifällig Terroristen zuschauen, weil sie denken, anders höre ihnen ja niemand zu.

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