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Politik RAF

Frei, aber vorerst nur auf Bewährung

Leitender Redakteur Geschichte
Brigitte Mohnhaupt Brigitte Mohnhaupt
Quelle: DPA
Brigitte Mohnhaupt ist nach 24 Jahren Haft entlassen worden. Sie gehörte von Anfang an zum harten Kern des RAF-Terrors. Mohnhaupt und ihre Terrorgruppe führten einen Krieg gegen die Bundesrepublik und ihre Werte. Jetzt schützt sie der Rechtsstaat.

In der Nacht zu Sonntag öffnete sich das Gefängnistor im bayerischen Aichach. Zwischen zwei und drei Uhr morgens, so teilte es ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums gestern mit, habe die zu fünf Mal Lebenslänglich verurteilte Brigitte Mohnhaupt die Haftanstalt verlassen. Doch just in dieser Nacht existierte diese Stunde gar nicht: Wegen des Wechsels von Winter- auf Sommerzeit wurden die Uhren EU-weit um zwei auf drei Uhr vorgestellt. Die Entlassung in einer gar nicht existenten Stunde passt zu Brigitte Mohnhaupt, die ihr ganzes Erwachsenenleben neben der gesellschaftlichen Realität gestanden hat.

Für Brigitte Mohnhaupt war es bereits die zweite Entlassung aus einem deutschen Gefängnis. Bereits am 8. Februar 1977 durfte sie zum ersten Mal Gefängnistore hinter sich lassen – seinerzeit die in Stuttgart-Stammheim. Damals ging sie bald erneut in den Untergrund und organisierte die größte terroristische Herausforderung der Bundesrepublik: die „Offensive 77“ der „Rote Armee Fraktion“ (RAF), während der die selbst ernannten „Stadtguerilleros“ zehn Menschen ermordeten.

Von Mohnhaupt geht keine Gefahr mehr aus

Nach Ansicht der meisten Fachleute droht in den kommenden Jahren keine Gefahr durch Brigitte Mohnhaupt mehr. Tatsächlich ist das Unterstützer-Milieu verschwunden, das ihr vor fast genau 30 Jahren das sofortige Abtauchen ermöglichte. Andererseits gibt es noch immer einen Kreis von Terror-Sympathisanten – das hat sich zuletzt gezeigt, als bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz der linken Berliner Tageszeitung „Junge Welt“ eine „kapitalismuskritische“ Grußbotschaft des weiterhin einsitzenden Mohnhaupt-Kumpans Christian Klar unter Beifall verlesen wurde (siehe auch das Interview unten). Diese Äußerung, die ganz im Tonfall von RAF-„Bekennerschreiben“ abgefasst war, dürfte Auswirkungen auf Klars laufendes Gnadenverfahren haben.

Einen ähnlichen Fehler hat Mohnhaupt nicht gemacht. Sie hat sich aber im Gegensatz zu anderen RAF-Mitgliedern auch nie von ihren Verbrechen distanziert. Trotzdem wurde sie jetzt entlassen – 22 Stunden vor Ablauf ihrer gerichtlich verfügten Mindesthaftzeit.

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Damit ist jene Frau wieder frei, die wie keine andere für den politischen Amoklauf der RAF steht. Denn obwohl Mohnhaupt meistens der „zweiten Generation“ der Terroristen zugerechnet wird, gehört sie doch in Wirklichkeit von Beginn an zum „harten Kern“ der RAF. Und sie ist es, die fast ein Vierteljahrhundert später, 1993, den „Bruch“ der inhaftierten Terroristen mit ihren noch untergetauchten Nachfolgern verkündet.

Ein Mädchen aus gutem Hause

Brigitte Margret Ida Mohnhaupt (geboren 1949) stammt aus bürgerlichen Verhältnissen. Sie besteht 1967 in Bruchsal ihr Abitur und beginnt, da sie Journalistin werden will, in München Zeitungswissenschaft zu studieren. Doch lange hält sie es nicht aus in der akademischen Welt: Mit ihrem Ehemann Rolf Heißler, den sie 1968 geheiratet hat, rutscht sie in die radikale Szene der Studentenbewegung; hier gehört sie bald zu den Führungsfiguren. 1969 begründet sie mit Gesinnungsgenossen wie Heißler, Irmgard Möller, Ralf Reinders und Fritz Teufel eine Gruppe, die sich nach einer Untergrundbewegung in Uruguay „Tupamaros“ nennt. Bis auf Teufel werden später alle genannten Mitglieder dieser Gruppe Terroristen.

Nach der Scheidung von Heißler geht Brigitte Mohnhaupt nach West-Berlin. Hier stößt sie wohl schon Ende Mai oder Anfang Juni 1970 zum Kreis um Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Die beiden Frauen hatten den Häftling Baader am 14. Mai 1970 bei einem Ausgang gewaltsam befreit; danach tauchten sie mit Hilfe von Sympathisanten in West-Berlin unter. Nach Ansicht des Stuttgarter Generalstaatsanwalts Klaus Pflieger gehört Mohnhaupt schon bald nach dieser ersten schweren Straftat zur Baader-Meinhof-Bande.

Vorerst allerdings geht sie noch nicht in den Untergrund. Statt dessen hilft sie den illegalen RAF-Mitglieder durch falsche Ausweispapiere, stiehlt oder fälscht Autokennzeichen, besorgt konspirative Wohnungen und beschafft Waffen. 1971 sitzt sie für einen Tag in Polizeigewahrsam – offenbar ist das der letzte Anstoß für Mohnhaupt, den „bewaffneten Kampf“ gegen Demokratie und Rechtsstaat aufzunehmen.

Vier Jahre Gefängnis für illegalen Waffenbesitz

Anfang 1972 ist sie mit Baader und Meinhof wieder in West-Berlin und bereitet die Entführung der drei alliierten Stadtkommandanten von West-Berlin vor – ein Plan, der nie umgesetzt wird. Nach einer Serie von Bombenanschlägen im Mai 1972 – unter anderem auf das US-Hauptquartier in Heidelberg (drei Tote) und das Verlagshaus von Axel Springer in Hamburg (38 Verletzte) – erhöht die Polizei den Fahndungsdruck extrem. Innerhalb von zwei Wochen können die Behörde die Führung der RAF und zahlreiche Unterstützter verhaften. Mohnhaupt gerät ins Netz, als sie mit ihrem Freund Bernhard B. einen observierten Sympathisanten trifft. Ihr Freund und sie haben Pistolen sowie eine selbst gebastelte Handgranate bei sich.

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Allerdings entgeht der Justiz, dass Brigitte Mohnhaupt viel mehr ist als eine Unterstützerin der RAF. Sie erhält lediglich wegen unerlaubten Waffenbesitzes und wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vier Jahren und acht Monaten Haft.

Diese erste Haftstrafe muss Brigitte Mohnhaupt bis auf den letzten Tag absitzen – nicht zuletzt, weil sie sich als Zeugin der Verteidigung im Stammheimer Prozess zur RAF bekennt. Trotzdem wird sie nach Stammheim verlegt und hat hier ab dem 3. Juni 1976 täglich vier Stunden freien, unkontrollierten Kontakt zu Baader, Ensslin und Raspe. Die drei Rädelsführer bereiten Mohnhaupt systematisch auf die Aufgabe vor, nach ihrer Haftentlassung unterzutauchen und das Projekt „Big Raushole“ zu organisieren: die Freipressung der RAF-Gefangenen durch die Entführung eines Politikers oder Wirtschaftsführers.

Diesen Auftrag führt Brigitte Mohnhaupt nach ihrer Entlassung aus: Sie ist die Anführerin der RAF im „Deutschen Herbst“. Darüber hinaus lässt Brigitte Mohnhaupt mittels willfähriger Anwälte zwei Pistolen und Sprengstoff in den „Hochsicherheitstrakt“ in Stammheim schmuggeln. Den Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback befehligt Mohnhaupt; den Dresdner Bank-Chef Jürgen Ponto tötet sie eigenhändig mit fünf Schüssen; an der Entführung von Hanns-Martin Schleyer und dem Mord an seinen vier Begleitern ist sie zwar nicht persönlich beteiligt, doch schon am nächsten Tag stößt sie zu den „Bewachern“ des Arbeitgeberpräsidenten und übernimmt das Kommando. Deshalb wird sie auch wegen des Mordes an Schleyer verurteilt, obwohl sie sich zum Zeitpunkt dieser Hinrichtung bereits in Bagdad aufhält.

Meistgesuchte Terroristin Deutschlands

1982 gilt Brigitte Mohnhaupt als meistgesuchte Verbrecherin Deutschlands. Zufällig wird im Herbst dieses Jahres ein Erddepot der RAF in einem Wald südlich von Frankfurt entdeckt; zwei Wochen später wollen zwei Frauen dort Waffen verstecken – und werden von Beamten der GSG¿9 festgenommen. Zum zweiten Mal kommt Brigitte Mohnhaupt in Haft. Erst gestern Morgen, mehr als 24 Jahre später, darf sie das Gefängnis wieder auf Dauer verlassen.

Auch in der Haft geriert sich die Terroristin der ersten Stunde als Rädelsführerin. Und sie ist es, die Ende Oktober 1993 den weiterhin in der Illegalität lebenden RAF-Mitglieder der dritten Generation den Vertretungsanspruch für die Inhaftierten entzieht: „Der Inhalt der Beziehung ist zerstört, eine andere Entscheidung als die Trennung nicht mehr möglich.“

Brigitte Mohnhaupt hat sich nie distanziert von ihrem politischen Irrweg. Anders als Christian Klar hat sie freilich auch keine Interviews aus der Haft gegeben, keine Grußbotschaften verschickt. Die Möglichkeiten des Rechtsstaates freilich nutzt sie durchaus: Vor zwei Jahren beantragte sie die – durchaus übliche – Haftentlassung auf Bewährung nach Verbüßung der Mindesthaftzeit. Und erst vor fünf Wochen ließ Brigitte Mohnhaupt den Abdruck zweier Fotos gerichtlich untersagen, die sie bei Freigängen aus dem Gefängnis zeigen. Ihr Anwalt hatte gefordert, seine Mandantin in Ruhe zu lassen, damit sie sich ein normales Leben einrichten könne. Sie sei keine Person der Zeitgeschichte mehr, sondern habe wie jeder andere Haftentlassene ein Recht auf Schutz der Privatsphäre. Deshalb wurde sie mitten in der Nacht entlassen.

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