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  3. Griechenland: Asylminister Mitarakis über Athens Vorgehen in der Migrationskrise

Politik Athens Asylminister

„Tun alles rechtlich Mögliche, damit sie nicht die Grenzlinie überqueren“

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Quelle: WELT

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Ende April brannte es im Lager auf Samos. Griechenlands Asylminister Notis Mitarakis spricht über Athens harten Kurs und die Last, ein Frontstaat der Migration zu sein. Er will eine gemeinsame EU-Abschiebungspolitik und hat klare Forderungen an die Türkei.

Zwei Monate nach der Eskalation an der griechisch-türkischen Grenze schildert Migrationsminister Mitarakis, Politiker der Regierungspartei Nea Dimokratia, das künftige Vorgehen Athens. Gerade war er auf der Ägäisinsel Samos, wo Zehntausende Migranten festsitzen. Mitarakis traf den Bürgermeister, Einheimische und schaute sich am Lager selbst um.

WELT: Herr Minister, welche Eindrücke haben Sie auf Samos gewonnen?

Notis Mitarakis: Das Lager dort ist natürlich total überfüllt. Wenn man bedenkt, dass es nur für ein Sechstel der Anzahl an Menschen gebaut wurde, die jetzt tatsächlich dort leben, ist es schwer sicherzustellen, dass es keine Probleme in Sachen Sicherheit und mit der Hygiene gibt. Und dann gibt es – wie in jeder Gesellschaft – immer ein paar Leute, die sich nicht an die Regeln halten.

WELT: Wie ist die Lage auf den griechischen Inseln grundsätzlich?

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Mitarakis: Zwischen Juli 2019 und Februar 2020 hatten wir einen Anstieg der Ankünfte von Migrantenbooten um 86 Prozent. Dieser Ansturm sowie die aus dem EU-Türkei-Deal rührende Verpflichtung, alle Asylanträge auf den Inseln zu bearbeiten, sorgt für eine schwierige Situation. Man darf nicht vergessen, dass fünf unserer Inseln in der Ägäis die Hauptlast der Ankünfte von Migranten im Jahr 2019 getragen haben – nicht nur im Blick auf Griechenland, sondern auf die gesamte Europäische Union. Jede Gesellschaft hätte Schwierigkeiten, mit einer solchen Situation umzugehen.

Notis Mitarakis ist Minister für Asyl in der griechischen Regierung
Notis Mitarakis ist Minister für Asyl in der griechischen Regierung
Quelle: CC BY-SA 3.0

WELT: Ihre Regierung hat begonnen, neue Camps auf den Inseln zu bauen.

Mitarakis: Genau, und die alten sollen geschlossen werden. Außerdem haben wir seit Januar 11.000 Migranten aufs Festland gebracht, um die Inseln zu entlasten. Nun ist die große Frage: Wie sieht es mit den Ankünften im weiteren Verlauf dieses Jahres aus? Und: Wird sich die Türkei an die Regeln des bestehenden EU-Türkei-Deals halten? Wird es eine neue Vereinbarung geben? Die Antworten auf diese Fragen stehen noch aus.

WELT: Nun wurden einige Dutzend minderjährige Migranten von den Inseln evakuiert, nach Deutschland und Luxemburg.

Mitarakis: Und wir sind diesen beiden Ländern dankbar für dieses positive Signal, gerade in dieser Zeit, in der angesichts von Covid-19 eine große Vorsicht bezüglich internationaler Reisen herrscht. Aber man muss auch sagen: In diesem Jahr sind 9100 Migranten nach Griechenland eingereist, und weniger als 100 wurden nun evakuiert. Faktisch ist es also weiterhin so, dass die, die kommen, auch bei uns bleiben. So wollen es die Dublin-Gesetze. Es ist eine riesige Last für uns.

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WELT: Sie fordern, dass deutlich mehr Menschen evakuiert werden?

Mitarakis: Absolut. Europäische Solidarität ist der Schlüssel, um diese Krise zu bewältigen. Wir haben im September 2019 darum gebeten, dass andere EU-Länder unbegleitete Minderjährige aufnehmen. Damals haben wir nicht eine einzige Antwort erhalten. Jetzt gibt es immerhin die Zusage, 1600 von ihnen aufzunehmen. Aber man darf nicht vergessen: Das sind nicht einmal zwei Prozent der Asylbewerber, die wir aktuell in Griechenland haben.

WELT: Fühlen Sie sich in dieser jahrelangen Migrationskrise alleingelassen vom Rest der EU?

Mitarakis: Es ist ein großes Problem, dass die Staaten an der Frontlinie der EU zu viel Gewicht tragen. Wir brauchen mehr europäische Solidarität in einer verpflichtenden Art und Weise.

WELT: Durch die neuen Grenzschutzmaßnahmen seit März kommen kaum noch Migranten über die Landgrenze und das Meer aus der Türkei. Rechnen Sie in nächster Zeit mit einem Anstieg?

Mitarakis: Die Ankünfte in Griechenland sind zum einen wegen unseres verstärkten Grenzschutzes und wegen der Corona-Lage in der Türkei so niedrig. Üblicherweise kommen sehr viele der bei uns ankommenden Migranten mit dem Flugzeug in die Türkei. Durch die virusbedingten Reisebeschränkungen auf türkischen Flughäfen ist das aktuell wesentlich schwieriger. Abgesehen von der Corona-Krise bereitet es uns Probleme, dass die Türkei Passagiere aus den meisten muslimischen Staaten visumbefreit einreisen lässt. Daher ist es sehr leicht, mit einer billigen Airline aus Afrika und Asien etwa nach Izmir zu fliegen. Dort muss man nur noch einen Schleuser finden, ihn bezahlen und aufs Boot steigen. Auch die Migranten, die Anfang März in großer Zahl versuchten, unsere Grenzen zu überqueren, kamen aus allen möglichen Ländern, aber kaum aus Syrien.

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Mitarakis: Wir werden weiterhin unsere Grenzen schützen. Das geschieht in Übereinstimmung mit internationalem und europäischem Recht. Außerdem beschleunigen wir das Asylverfahren, inzwischen benötigen wir nur noch einen Monat bis zur erstinstanzlichen Entscheidung. Eines der zentralen Probleme, das die EU viel kraftvoller als bisher angehen sollte, ist die Rückkehrpolitik. Die Europäer müssen bei Abschiebungen zusammenarbeiten; diese deutliche Botschaft wollen wir als griechische Regierung an die EU senden. Es ist viel schwieriger für einzelne Staaten wie Griechenland, Malta oder Deutschland, Leute ohne Bleiberecht in ihre Heimatländer zu schicken. Das wäre viel leichter, wenn wir alle in der EU mit Frontex kooperieren würden, um die Nichtschutzberechtigten abzuschieben.

WELT: Die Grenzen schützen – was genau heißt das? Was tun Sie mit Migranten, die angeben, Asyl zu suchen, wenn sie in griechische Hoheitsgewässer einfahren?

Mitarakis: Wir versuchen erst einmal sicherzustellen, dass sie gar nicht erst griechisches Hoheitsgewässer erreichen. Wir senden eine Benachrichtigung an die türkische Küstenwache, wir geben Signale, wir machen Lärm, wir machen alles rechtlich Mögliche, damit die Menschen nicht die Grenzlinie überqueren. Falls sie unsere Gewässer erreicht haben, nehmen wir sie aber auf und lassen sie zum Asylverfahren zu.

A fire burns at the migrant camp on the island of Samos, Greece, April 26, 2020. Picture taken April 26, 2020. Jose Cortez/Handout via REUTERS ATTENTION EDITORS - THIS IMAGE HAS BEEN SUPPLIED BY A THIRD PARTY.
Ende April: Die Flammen schlagen hoch im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Samos
Quelle: via REUTERS

WELT: Können Sie diese Boote auf der Seegrenze an die türkische Küstenwache übergeben, sodass sie an Land zurückgeschleppt werden?

Mitarakis: Falls sie unsere Hoheitsgewässer erreicht haben, dann nicht mehr. Wir können nur auf unserer Seite der Grenze operieren und die Türkei nur auf ihrer. Der entscheidende Punkt ist, dass die Türkei nun sicherstellen muss, dass diese Boote niemals ablegen. Es ist die Pflicht der türkischen Küstenwache, niemanden in unsere Gewässer einfahren zu lassen – so ist es in der EU-Türkei-Erklärung vereinbart.

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Quelle: WELT

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