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Literatur Joann Sfar

„Die schlimmsten Judenfeinde waren nie die Skinheads“

Sfar auf dem Wege zu einer Debatte mit Studenten Sfar auf dem Wege zu einer Debatte mit Studenten
Sfar auf dem Weg zu einer Debatte mit Studenten
Quelle: picture alliance/abaca/Urman Lionel/ABACA
Antisemitismus verfolgt den französischen Comiczeichner Joann Sfar schon sein Leben lang. Doch erst seit dem 7. Oktober macht er sich grundsätzliche Sorgen um jüdisches Leben in ganz Europa. Er weiß aber auch, was gegen Judenhass hilft. Lichterketten und Demonstrationen sind es nicht.
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Joann Sfar ist einer der meistgelesenen jüdischen Autoren Europas und vielleicht einer der wichtigsten Zeugen jüdischen Lebens in Frankreich, seine Comics erreichen eine Millionenauflage. Sfar zeichnete für „Charlie Hebdo“, er ist ein Star, obwohl er immer wieder den Antisemitismus zu seinem Thema macht. Jede Generation habe ihre eigene Art erfunden, Juden zu hassen, hat er vor Jahren einmal gesagt. Heute, angesichts der Schrecken des 7. Oktober, scheint das prophetisch.

Sfar, 1971 in eine jüdische Familie mit algerischen Wurzeln in Nizza geboren, findet seitdem keinen Frieden mehr, sagt er im Gespräch auf Zoom. Vor Kurzem postete die 23-jährige marokkanisch-französische Influencerin Poupette Kenda, sie arbeite nicht für Juden oder Zionisten. Auf X konterte Sfar, er arbeite für Nichtjuden, sein Agent sei Protestant, er kenne auch viele Nichtjuden. Sein Post blieb ohne Antwort. Zwei Wochen zuvor wurde Sfar von Studenten an der Universität Lille antisemitisch angegangen. Er sei immer noch tief verstört, sagt er.

Sfar ist gerade in Nizza, der Stadt in der er geboren und aufgewachsen ist, hier spielen vielen seiner autobiografischen Comics. „Seit dem 7. Oktober und noch vor dem israelischen Gegenschlag ist die Gewalt gegen Juden in Frankreich ins Tausendfache explodiert. Es gibt vierhunderttausend Juden in Frankreich, das sind etwa 0,6 Prozent der Bevölkerung. Jeder französische Jude leidet derzeit unter antisemitischen Attacken. Das öffentliche intellektuelle Leben von Juden in Frankreich ist unmöglich geworden.“

Sfar hat schon vor Jahren davon gesprochen, Angst zu haben, dass jüdisches Leben verschwinden könne. „Ich bin viel im französischen Fernsehen und Radio“, sagt Sfar. „Nun explodieren nach diesen Auftritten meine Social-Media-Accounts vor Drohungen und Beleidigungen. Ich war immer für die Zweistaatenlösung, habe links gewählt; ich fühle mich betrogen. Und hoffnungslos. Die Mehrheit der Franzosen denkt nicht so extrem wie die Linke oder die extreme Rechte, aber diese Mehrheit schweigt. Was soll da noch kommen?“

Die hebräische Bedeutung seines Nachnamens Sfar ist „Schreiber“. Tatsächlich hat er unablässig Bücher veröffentlicht, zu den bekanntesten zählen die Comic-Serien „Die Katze des Rabbiners“, „Klezmer“ und „Die Synagoge“. Gerade ist auf Deutsch der autobiographische Band „Der Götzendiener“ (Avant Verlag) erschienen. Wie blickt er heute auf seine Geschichte als Jude zurück, der das Judentum immer mehr als Kultur und weniger als Religion verstanden hat?

Sfar und sein Vater als Figuren im Comic „Die Synagoge“
Sfar und sein Vater als Figuren im Comic „Die Synagoge“
Quelle: Avant Verlag/Comic: Joann Sfar

„Ich werde alt, meine Kindheit liegt vor mir wie ein Geschichtsbuch: Südfrankreich in den Achtzigerjahren, den frühen Neunzigern“, lächelt Sfar. Damals seien Hauswände in Nizza mit Sätzen wie „Juden in den Ofen“ beschmiert worden. Es war die Zeit, in der der Front National unter Le Pen erstarkt, der jüdische Friedhof von Nizza geschändet wird.

In „Die Synagoge“ geht es um politischen Aktivismus gegen rechts, um Judenfeindlichkeit und die Suche nach Anerkennung vom Vater. Sfars Vater, ein sephardischer, in Algerien geborener Jude und bekannter Anwalt in Nizza, sei gewalttätig gewesen, sagt Sfar: „Mein Vater glaubte an Gerechtigkeit ebenso wie an Gewalt. Ständig wurde er bedroht. Nachts kamen Anrufe. Manche Klienten versteckte er im Kofferraum, um sie sicher vor Gericht zu fahren.“

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Sfar war das einzige jüdische Kind seiner Schulklasse. Als sein Vater vor Gericht einen Sieg gegen eine rechtsextreme Gruppe erstritt, wurden die Wände des Klassenzimmers mit Hakenkreuzen überzogen. Sfars Mutter war die Popsängerin Lilou, eine ukrainisch-aschkenasische Jüdin und Holocaustüberlebende, die starb als Sfar drei Jahre alt war. Sie hat Blumen gezeichnet, erinnert sich Sfar. In „Götzendienst“ trägt sie Blumenkleider.

„In dem Buch geht es um mich als Loser“, sagt Sfar. „Um all die Jahre, in denen ich nicht veröffentlicht wurde. Um meine Liebe zum Zeichnen, die die Leere ausfüllte, die meine Mutter hinterlassen hat. In gewisser Weise hat diese Leere mich gerettet. Die Wunde meiner Kindheit wurde zu meiner Macht. Ich konnte in die Welt der Bilder eintreten.“ Zeichnen als Götzendienst also? „Früher vielleicht“, antwortet Sfar. Sein Zeichenstil wirkt hyperrealistisch, bunt, etwas wabernd, wie Chagall-Bilder. Seine Geschichten vermischen Zeitebenen, oft tritt der jüngere Sfar in philosophische oder talmudisch anmutende Zwiegespräche mit seinen Ikonen Joseph Kessel, Albert Cohen, Romain Gary, Serge Gainsbourg oder Hugo Pratt.

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Sfars Werk blickt uns mit den Augen der Gegenwart an. In „Die Synagoge“ lauscht der junge Sfar an der juristischen Fakultät der Universität Nizza dem Vortrag einer propalästinensischen Splittergruppe. Der Vortragende spricht Arabisch und hält, so Sfar, eine „Ode auf das Judenmassaker“, die Mehrheit im Saal ist weiß und weiblich – und hingerissen. Die Gruppe, so Sfar in „Die Synagoge“, „ist weder für eine Zweistaatenlösung noch für eine friedliche Regelung zwischen Israel und Palästina“, sondern dafür, „dass man alle Juden ins Meer wirft.“ Das Publikum gerät in Ekstase: „Je öfter er sagt, der Westen sei degeneriert, desto glücklicher sind sie.“

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„Die schlimmsten Judenfeinde waren nie die Skinheads“, sagt Sfar im Gespräch. Antisemitismus gehöre für Teile des gehobenen Bürgerstands zum guten Ton; in seiner Jugend trugen Juden in der Öffentlichkeit keine Kippa, außer am Schabbat auf dem kurzen Weg von der Synagoge zum Auto. Judenhass lässt sich bekämpfen, scheint der junge Sfar in seinem Werk zu sagen, mit dem Gesetz und auch mit Gewalt.

Keins von beidem hilft, scheint der Sfar von heute zu sagen. Im Vergleich zum Nahem Osten bereite ihm Europa mehr Sorge. In Frankreich habe der Hass auf Juden nichts oder nur sehr wenig mit den konkreten Konflikten im Nahen Osten zu tun, kaum einer habe ein echtes Interesse am Konflikt in Israel. Judenhass sei wie eine Wahnvorstellung, sagt Sfar. Bekämpfen kann man ihn allenfalls mit Worten und Zeichen, wie in seinem Werk.

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