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Kunst Art Basel

Das sind Bilder, die hängen bleiben

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
Adel Abdessemed, „Jam proximus ardet la dernière vidéo“, 2021 Adel Abdessemed, „Jam proximus ardet la dernière vidéo“, 2021
Anspielungsreich: Video von Adel Abdessemed
Quelle: Courtesy: the artist and GALLERIA CONTINUA Copyright Line: © Adel Abdessemed, Paris ADAGP 2022
Die Art Basel ist zu gewohnter Stärke zurückgekehrt. Noch bis Sonntagabend werden Millionenwerte an Kunst gehandelt. Die Messe setzt aber nicht nur kommerzielle, sondern auch politische Zeichen.

Tiefblaues Meer, kein Wölkchen am hellblauen Himmel. Doch dunkler Rauch steigt auf. Von einem hölzernen Schiff, dass sich langsam vom Horizont her nähert. Es brennt an Deck. Orangerote Flammen schlagen aus der Kajüte, der Qualm wird immer stärker. Am Bug steht ein Mann, stoisch, mit verschränkten Armen – der Künstler des Videos, Adel Abdessemed. Dann dreht die Barkasse nach Backbord ab.

Es ist das erste Kunstwerk, dass die ersten Besucher der Art Basel, die Inhaber des sogenannten First-Choice-VIP-Tickets, zu sehen bekamen, als die Vernissage der „Unlimited“-Ausstellung (für Kunst, die zu groß für den Messestand ist) am Montagnachmittag eröffnete. Selten wurden sie mit einem so ästhetisch eindrücklichen wie unmissverständlichen Werk am Eingang zur Halle 1 des Messegeländes konfrontiert.

Jeder dürfte an das Schicksal Tausender Migranten gedacht haben, an die Schiffswracks, an das Massengrab Mittelmeer. Viele haben noch die „Barca Nostra“ in Erinnerung, ein 2015 mit 800 Menschen zwischen Libyen und Lampedusa gesunkenes Boot, dass der italienische Staat heben ließ und der Künstler Christoph Büchel vor vier Jahren als Mahnmal auf der Biennale von Venedig einschiffte.

284 Galerien stellen auf der Art Basel aus

Die Art Basel ist nicht gerade als kritischer Kunstverein bekannt, aber der „Unlimited“-Kurator Giovanni Carmine hat nun ein deutliches Zeichen gesetzt. Bis Sonntagabend werden Zehntausende die Arbeit des in Algerien geborenen Franzosen Adel Abdessemed (präsentiert von Galleria Continua aus San Gimignano) sehen. Darunter viele wohlhabende Sammler und Investoren, Museumsleute, Künstler und Händler.

Ist dieses Motiv wirklich Insta-tauglich? Adel Abdessemeds Video am Unlimited-Stand von Galleria Continua
Ist dieses Motiv wirklich Insta-tauglich? Adel Abdessemeds Video am Unlimited-Stand von Galleria Continua
Quelle: AFP

Auf Instagram sind die Bilder schon um die Welt gegangen. Das Bild vom Boot und die brennende Frage, wie lang man vor der humanitären Katastrophe noch die Arme verschränkt, bekommt man nicht so schnell aus dem Hirn. Und das will etwas heißen bei einer Messe mit 284 ausstellenden Galerien aus 36 Ländern, deren Überfülle selbst professionelle Bildbetrachter abstumpft.

Nur die gut 70 Großkunstwerke auf der Unlimited haben genügend Raum. Etwa die überraschend vielen panoramaartigen Gemälde. Thomas Scheibitz will darin noch keinen Trend sehen, gehört aber auch zu den Künstlern dieses Formats. Fast zehn Meter misst „Speicher, Tender, Paradies“, an dem er sieben Jahre lang gemalt hat, eine Komposition aus erkennbaren nebst kaum dechiffrierbaren Zeichen und Formen. Präsentiert von den Galerien Sprüth Magers (Berlin/London/Los Angeles) und Tanya Bonakdar (New York/Los Angeles), wurde das Gemälde am ersten Messetag für 260.000 Dollar an ein Museum in Australien verkauft.

Conny Maiers Diptychon „The Source“ (Galerie Société, Berlin) ist einen Meter kürzer, eine figurative Szene, man erkennt riesenhafte Gestalten wie in einem mythologischen Kampf begriffen. Der ungestüm kraftvollen Malerei hat ein Käufer bereits Vertrauen geschenkt hat (um 300.000 Euro). Aufgeblasen erscheint dagegen eine zwölf Meter breite Leinwand Günther Förg, gefüllt mit Ansammlungen der typischen Gitterlinien des im Jahr 2013 verstorbenen Künstlers. Grandios ist dagegen die gestisch auf ungrundierte Leinwand notierten Kreaturen von Martha Jungwirth (bei Ropac, Paris/Salzburg/London). Mehrere Institutionen in Asien haben Interesse an der Arbeit, so ein Sprecher der Galerie, ein Verkauf werde aber wohl erst nach der Messe erfolgen.

Gemälde von Conny Maier auf der Art Basel Unlimited 2023
Gemälde von Conny Maier auf der Art Basel Unlimited 2023
Quelle: Courtesy of Art Basel, Foto: Nina Monsef/Mina Monsef

Politisch wird es wieder in den Videokabinen. Die Pace Gallery, die neben sieben Standorten weltweit im kommenden Jahr noch ein Büro mit Showroom in Berlin eröffnen wird, zeigt den Film „Toy Soldier“ von Adam Pendleton. Eine stroboskopische Annäherung an den Denkmalkult um Südstaatengeneräle aus dem amerikanischen Bürgerkrieg.

Die sehr angesagte Diamond Stingily stellen die Galerien Isabella Bortolozzi (Berlin) und Cabinet (London) aus. In „How Did We Die“ folgt die Kamera tanzenden schwarzen Mädchen auf einem Schulhof. Doch die dokumentarischen Szenen werden durch einen Maschendrahtzaun auf die Wand projiziert. Als Betrachter fühlt man sich abgeschieden, wird zum Voyeur.

Millionenbeträge für Bluechips

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Ein Verkauf dieser Werke wurde bis Redaktionsschluss nicht gemeldet. Früher nur hinter vorgehaltener Hand geraunt, werden Verkaufspreise mittlerweile geradezu herausposaunt. Stolze 22,5 Millionen Dollar etwa, die bei Hauser & Wirth für eine über die Wand krabbelnde „Spider IV“ von Louise Bourgeois ausgegeben wurden. Millionenbeträge für Bluechips, also Kunstwerke, die als „Assets“ gelten, sind keine Seltenheit.

So etwa Gemälde von Philip Guston, George Condo oder Mark Bradford ebenfalls bei Hauser & Wirth (unter anderem in Zürich/London/New York und ab Oktober auch in Paris), ein Gemälde von Paul Klee bei Di Donna (New York), Glasskulpturen von Roni Horn bei Xavier Hufkens (Brüssel). Was viele Sammler indes beklagen: Das allgemeine Preisniveau ist so hoch, dass sie kaum mehr Entdeckungen im vier- und unteren fünfstelligen Bereich machen können.

Jean-Michel Basquiat und Keith Haring bei der Galerie Van de Weghe auf der Art Basel in Basel 2023
Bluechips: Jean-Michel Basquiat und Keith Haring bei der Galerie Van de Weghe
Quelle: AFP

Wo das mit etwas Glück geht, ist die Satellitenmesse Liste, direkt über der Unlimited-Halle: Dort findet man unter den 88 Ausstellern aus 35 Ländern zum Beispiel die amerikanische Galerie Adams and Ollman aus Portland, Oregon. Sie zeigt mehrteilige Papierarbeiten von Will Rawls (ab. 18.000 Euro). Die sich zu Worten zusammensetzenden Schwarz-Weiß-Fotoelemente beruhen auf dessen Arbeit als Tänzer und Choreograf.

68 Milliarden Dollar wurden auf dem Kunstmarkt 2022 umgesetzt. Corona ist vergessen. Die Messe ist gut besucht. Nicht übervoll, was daran liegen kann, dass nicht mehr ganz so viele First-Choice-Karten ausgegeben wurden, aber auch daran, dass offensichtlich die asiatische Kundschaft doch noch nicht so reisefreudig ist, wie sie sein könnte. Dass viele Amerikaner jedenfalls nach Basel gekommen sind, freut die Galeristen, von denen nicht wenige unsicher sind, ob die Art Basel in Basel sich mit der im Herbst stattfindenden Paris+ nicht doch kannibalisieren könnte.

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Aber Basel bleibe das „Herz des Unternehmens“, konstatiert der neue CEO Noah Horowitz. Er führt ein frisches, verjüngtes Team: Die Messe Paris+ par Art Basel, die im vergangenen Herbst die Fiac ersetzte, wird von Clément Delépine geleitet. Seit November 2022 ist Angelle Siyang-Le Direktorin der Hongkonger Messe. Jemand für den Chefposten in Miami Beach wird zurzeit noch gesucht. Aber mit Maike Cruse wurde die wohl prestigeträchtigste Stelle im Vierer-Direktorium erst vor wenigen Wochen besetzt. Die Berlinerin übernimmt ab Juli 2023 die Art Basel in Basel.

In der 200.000-Einwohner-Stadt am Oberrhein haben in den vergangenen Jahren sogar einige Galerien einen Standort eröffnet. Gagosian machte 2019 den Anfang. Jüngster Neuzugang ist nun Contemporary Fine Arts aus Berlin, die auf der Messe Skulpturen und neue Gemälde von Leiko Ikemura zeigt. Ihre Dependance soll im Spätsommer eröffnen.

Contemporary Fine Arts mit Werken von Cecily Brown und Leiko Ikemura
Originellstes Standdesign: Contemporary Fine Arts mit Werken von Cecily Brown und Leiko Ikemura
Quelle: Courtesy of Art Basel, Foto: Nina Monsef/Mina Monsef

Die Art Basel will nicht weiter expandieren. Vier Messen in vier Jahreszeiten seien herausfordernd, sagt ihr seit August 2022 amtierender Direktor für „Fairs and Exhibition Platforms“ Vincenzo de Bellis und erklärt seine neu geschaffene Sandwich-Position in der umstrukturierten Leitungsebene. „Ich überblicke, wofür die Art Basel-Messen weltweit stehen und wie dies dann für jede einzeln umgesetzt und angepasst werden kann. Die Messen müssen sich ein wenig voneinander unterscheiden, aber sie müssen die gleiche Absicht haben: beste Qualität zu präsentieren.“

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Als Museumsmann, der am Museion in Bozen und am Walker Art Center in Minneapolis arbeitete, verstehe er sich als Kurator und die Art Basel in erster Linie als Plattform für die Künstler. „Es ist eines meiner Ziele, über zukünftige Projekte nachzudenken, die wir durchführen können, sei es in den Städten, in denen wir tätig sind, oder an anderen Orten“, so de Bellis weiter. „Momentan kann nichts von alledem existieren, wenn wir nicht die vier besten Messen der Welt haben, und deshalb wollen wir uns wirklich darauf konzentrieren.“

Erfolge für die politische Künstlerin Doris Salcedo

Im besten Fall überschneiden sich die Ziele von Künstlern, Markt und Museumswelt. So wie in der Fondation Beyeler, dem Pilgerort für zeitgenössische Kunst im Dorf Riehen bei Basel. Dort wird zurzeit eine großartige Retrospektive von Doris Salcedo gezeigt. Die Kolumbianerin reflektiert Verlust und Schmerz, Machtmissbrauch und kollektive Trauer. Sie sei mit der in Bogotá allgegenwärtigen Gewalt aufgewachsen, sagte sie im Gespräch mit dem ehemaligen Direktor der Londoner Tate Gallery, Nicholas Serota.

Doris Salcedo, „A Flor de Piel II“, 2013–2014 (Detail)
Vernähte Rosenblätter: Doris Salcedo, „A Flor de Piel II“, 2013–2014 (Detail)
Quelle: © Doris Salcedo Foto: Patrizia Tocci

Gezeigt werden acht der nach langer Recherche aufwendig entstehenden Werke, etwa „A Flor de Piel“. Das aus unzähligen Rosenblättern zusammengenähte, raumfüllende Leichentuch erinnert an die Folterung einer Krankenschwester, deren Tod nie aufgeklärt wurde. Mit der Installation „Plegaria Muda“ (2008–2010) aus Erde und Tischen beschwört sie ein Gräberfeld der anonymen Opfer von Bandenkriminalität und Mordjustiz herauf. Einzelne Grashalme wachsen durch die Holzplatten, so als ob dort doch etwas Hoffnung keimt. Sie mache Kunst für die Armen und Benachteiligten, erklärte sie in einem Interview. Ihr sei es „wichtig, diesen Gemeinschaften, die Verbrechen aufklären, etwas zurückzugeben“.

Doris Salcedo könnte man für die marktfernste Künstlerin überhaupt halten. Ihre oft vergänglichen Installationen im öffentlichen Raum sind nicht kommerziell, aber Salcedo nutzt den Kunstmarkt zur Querfinanzierung, etwa um ihren Mitarbeitern Gehälter bezahlen zu können. Dass nun White Cube (London) auf der Art Basel ein Objekt aus „Tabula Rasa“ für 1,1 Millionen Dollar an eine große Institution verkaufen konnte, ist nicht nur ein Erfolg für die Galerie und ihre Künstlerin, sondern auch für die Messe.

Doris Salcedos „Tabula Rasa XI“ von 2019-23
Verkauft auf der Art Basel: Doris Salcedos „Tabula Rasa XI“ von 2019-23
Quelle: © the artist. Photo © White Cube (David Westwood)

Die Arbeit von Salcedo geht jedenfalls weiter. Sie widmete sich ebenfalls den in Mittelmeer und Atlantik ertrunkenen Migranten. In der monumentalen, zugleich aber höchst sensiblen Bodenarbeit „Palimpsest“ schreiben und überschreiben sich deren vergessene Namen aus immer wieder versickernden Wasserbuchstaben.

Dass sich der tief bewegte Nicholas Serota bemüßigt fühlte, sich für den Prime-Minister seines Landes zu entschuldigen, der eine Kampagne mit dem Slogan „Stop the Boats“ führe, quittierte Salcedo nur mit Kopfschütteln. Das Publikum aber hatte wieder das Bild eines brennenden Schiffs vor Augen.

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