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Kunst Filmarchitektur

In den Zwanzigern waren selbst die Kulissen Avantgarde

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
„Metropolis“: Erich Kettelhut entwarf die „Stadt von oben mit Turm Babel“ „Metropolis“: Erich Kettelhut entwarf die „Stadt von oben mit Turm Babel“
„Metropolis“: Erich Kettelhut entwarf die „Stadt von oben mit Turm Babel“
Quelle: © Erich Kettelhut; Deutsche Kinemathek Berlin
Metropolis, Caligari, Nibelungen: Theatermaler und Bühnenbildner verliehen dem deutschen Kino der Zwanzigerjahre seine unvergessliche Ästhetik. In Berlin werden sie nun als Künstler gewürdigt.

Alles scheint auf einen einzustürzen. Der Raum krümmt sich, die Häuser stehen schief, die Gesichter verzerren sich zu grotesken Grimassen. Vielleicht ist es wirklich so, wenn man geisteskrank und an der Welt irre wird. Vielleicht stellen wir uns den Wahnsinn aber auch erst so extravagant bildlich vor, seit es „Das Cabinet des Dr. Caligari“ gibt.

Robert Wiene hat den Stummfilm im Jahr 1920 gedreht. Er gilt als Meilenstein der Kinogeschichte, als expressionistisches Meisterwerk. Er hat zur Blüte des deutschen Films in der Weimarer Republik beigetragen. Und er wurde natürlich 1933 verboten und 1937 als „entartet“ gebrandmarkt, als nach jenen wenigen Jahren der Avantgarde in Deutschland die Geisteskranken die Macht ergriffen hatten.

Die Geschichte des Films erzählt vom Doppelleben eines „Somnambulen“. Tagsüber wird er von Doktor Caligari als Freak zur Schau gestellt und nachts von ihm zum Morden angestiftet. Sie erzählt aber auch von der Dopplung und Verschiebung der Bewusstseinsebenen, der Wahrnehmung eines Gesunden und des vermeintlich Kranken. Und davon, wie der Wahn von einem Besitz ergreift.

„Das Cabinet des Dr. Caligari“: Hermann Warm entwarf das Set und „Die Dächer“
Für „Das Cabinet des Dr. Caligari“: Hermann Warm entwarf das Set und „Die Dächer“
Quelle: © Hermann Warm; Deutsche Kinemathek Berlin

Der Theatermaler Hermann Warm griff dazu zu einem optischen Trick. Er hat Licht und Schatten in die Filmkulissen direkt mit hineingemalt. Es sind aber mehr als nur harte Schlagschatten von Möbeln, Gebäudekanten oder anderen Details. Es ist mehr ein Netz von Schatten, die sich ausbreiten, die sich verselbstständigt haben, weil sie eben nicht mehr von einer Lichtquelle geworfen werden.

Fritz Lang kennt man. Warum nicht Erich Kettelhut?

Mit den stürzenden Linien seiner Architekturentwürfe am Filmset in Berlin-Weißensee prägte Warm diesen Look, der „Das Cabinet des Dr. Caligari“ so unvergesslich macht. Als expressionistischer Künstler ist er hingegen nicht im Gedächtnis geblieben, bis in die frühen Sechzigerjahre war er als Szenenbildner tätig.

Wenn man das ein Schicksal nennen will, dann teilt Hermann Warm es mit Erich Kettelhut. Der war im Team von Fritz Lang für die Architekturentwürfe zuständig, etwa für den zweiten Klassiker des deutschen Filmexpressionismus, „Metropolis“ von 1925/26. Kettelhut hat die gigantisch aufgetürmte Wolkenkratzerstadt entworfen, den „Klub der Söhne“, in dem die Oberschichtskinder der Leichtathletik frönen, und die Untergeschosse, wo sich die Arbeiterschaft dem Maschinentrott fügt.

Erich Kettelhut (1893 – 1979) Stadt der Söhne City of the Sons Mischtechnik auf Papier, weiß gehöht Mixed media on paper, highlightened in white 45,3 x 60,4 cm Sammlung/Collection: Deutsche Kinemathek – Erich Kettelhut Archiv © Erich Kettelhut; Deutsche Kinemathek Berlin
Für "Metropolis": Erich Kettelhuts "Stadt der Söhne"
Quelle: Deutsche Kinemathek – Erich Kettelhut Archiv © Erich Kettelhut; Deutsche Kinemathek Berlin

Betrachtet man aber Kettelhuts Entwurf für den Turm von Babel, diese Stadtkrone, von der aus Metropolis beherrscht wird, dann sieht man, dass er seiner Zeit weit voraus war. Hier ist vieles angelegt, was in den Zwanzigerjahren noch utopisch war: brutalistische Architektur, die Stadt als Metabolismus, die Perspektive aus dem Kameraauge einer Drohne, die Ästhetik des Anime-Films.

Deutsche Filmarchitektur und japanischer Anime

Mit der Ausstellung „Deutsche Filmarchitektur 1918–1933“ knüpft das Berliner Museum für Architekturzeichnung an eine Schau an, die dort vor drei Jahren die futuristischen Stadtlandschaften des japanischen Trickfilms feierte. Nun versteht man, dass die Bilder von Hiromasa Ogura („Ghost in the Shell“) ohne die künstlerischen Grundlagenforschung der deutschen Bühnenbildner und Kulissenmaler der Zwanzigerjahre kaum denkbar sind.

Kettelhut lernt man etwa als pragmatischen Gesamtkunstwerker kennen: Er zeichnete nicht nur die Stadt mit ihren bedrohlichen Lochfassaden und den verkehrsverstopften Hochstraßen, er entwarf auch das abstrakte Titellogo des Films, entwickelte Darstellungsformen für die berühmten Fahrstuhlfahrten in die Untergrundfabriken. Er war aber auch ein Praktiker der Szeno- und Kinematografie, die in jener Zeit oft eine Mischung aus Tricktechniken und Realfilmaufnahmen war.

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Seine Konstruktion für „Kriemhilds Rache“, den zweiten Teil von Fritz Langs Nibelungensaga, übersetzt die Vorstellungen eines Regisseurs in die Möglichkeiten des Bühnenbildners. Lang will es vor Brunhildens Burg brennen sehen? Ein Feuer soll den Hunnen den Weg abschneiden? Kein Problem für Kettelhut. Wie fürs Lehrbuch entwarf er eine Skizze für den Bau eines feuerfesten Tisches auf dem vor einem Pappmascheemodell von Burg und Berg so lange gezündelt werden konnte, bis die Szene im Kasten war.

Kettelhuts Boss, Otto Hunte, gab sich dagegen betont künstlerisch. Als gelernter Dekorationsmaler war er geübt in der atmosphärischen Darstellung monumentaler Stimmungsbilder. Das funktioniert auch im kleinen Format opaker Kreidezeichnungen und kontrastreicher Tuscheskizzen.

Otto Hunte (1881 – 1960) Burg zu Worms Worms Castle Tusche, Deckweiß auf Pappe Ink, opaque white on cardboard 33,5 x 48,6 cm © DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Frankfurt am Main / Sammlung Otto Hunte
Für "Die Nibelungen": Otto Huntes "Burg zu Worms"
Quelle: © DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Frankfurt am Main / Sammlung Otto Hunte

Die Burg zu Worms entwarf er in der Anmutung von Böcklins Toteninsel (aber ohne Zypressen). Sein Expressionismus war von der Romantik geprägt, aber auch vom Jugendstil. Und er verstand sich als der eigentliche Visionär von Metropolis, weshalb er auch Jahre nach den Dreharbeiten noch Stadtansichten mit Motiven des Jahrhundertfilms zeichnete.

Der Einfluss des Zwanzigerjahrekinos wirkt bis heute

Viele der Exponate kommen aus dem Archiv der Deutschen Kinemathek. Dort ist gerade die üppige Ausstellung zum Film in der Weimarer Republik angelaufen, die zuvor bereits in der Bundeskunsthalle in Bonn gezeigt wurde. Hier geht es um die Industrie, den Starrummel, den Kult um „Nosferatu“ und die Dietrich.

Das Museum für Architekturzeichnung lässt sich von den großen Namen nicht einseifen. Sie zeigt vielmehr, wovon der Film damals (und heute im Zeitalter der digitalen Regiearbeit wieder) vor allem lebt – vom Erfindungsreichtum der Künstler in den Nebengewerken, die weder vor noch hinter der Kamera stehen, sondern in kleinen Ateliers und am Rande des Filmsets die Welten erfunden haben, von denen die Branche immer noch zehrt.

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An das Moka Efti, den exaltiert ausgestatteten Vergnügungstempel in der Erfolgsserie „Babylon Berlin“ werden Sie sich noch erinnern? An Franz Schroedter eher nicht. Er hat für die Filme „Nur eine Tänzerin“ und „Pique Dame“ von 1926 und 1927 Bühnenbilder gezeichnet, die noch heute die Szenenbildner der Zwanzigerjahre-Nostalgie inspirieren. Schroedters mal konstruktivistisch-sachlichen Skizzen, mal eleganten Art-déco-Entwürfe sind, und auch das macht die Ausstellung so sehenswert, immer künstlerisch eigenständig.

„Deutsche Filmarchitektur 1918–1933“, Museum ür Architekturzeichnung – Tchoban Foundation, Berlin, bis zum 29. September 2019

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