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Geschichte Braune Gewalt

Rechtsterrorismus – Es begann im Jahr 1919

Leitender Redakteur Geschichte
Bis zu 400 "Fememorde" begingen Rechtsradikale in der Weimarer Republik. In der Bundesrepublik gipfelte der rechte Terror im Anschlag auf das Oktoberfest 1980.

Für die deutschen Behörden ist es kein gutes Zeugnis, dass sie rein zufällig auf die extrem gewalttätige thüringische Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" gestoßen sind, auf deren Konto offenbar mindestens zehn Morde und zahlreiche weitere Straftaten gehen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich spricht von "einer neuen Form des rechtsextremistischen Terrorismus" .

So schrecklich die Verbrechensserie ist, sind doch erhebliche Zweifel an dieser Feststellung angebracht. Denn der Rechtsterrorismus in Deutschland hat eine fast genauso lange Tradition wie die Taten linker Extremisten. Das zeigt ein Rückblick auf die mehr als 90 Jahre brauner Gewalt.

Es begann im Jahr 1919

Die wohl erste als "rechtsterroristisch" zu bezeichnende Tat geschah am 21. Februar 1919. An diesem Vorfrühlings-Freitag war gegen 9.45 Uhr der damalige bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner (USPD) gerade auf dem kurzen Weg von seiner Münchner Dienstwohnung zum Sitz des Landtages in der Prannerstraße. Zwei Mitarbeiter begleiteten ihn, zwei Polizisten liefen als Leibwächter voraus, denn in den vergangenen stürmischen Wochen der unmittelbaren Nachkriegszeit war es wiederholt zu Übergriffen auf Politiker gekommen.

Doch beiden fiel der junge Mann in Zivil nicht auf, der seit geraumer Zeit im Eingangsbereich der gegenüberliegenden Bank herumstand. Kaum waren die fünf Männer an ihm vorbei, ging Anton Graf Arco-Valley über die Straße, näherte sich Eisner von hinten und schoss ihm zweimal in den Nacken. Erst jetzt reagierten die beiden Personenschützer und feuerten auf den Attentäter, den sie lebensgefährlich verletzten. Dem Ministerpräsidenten, der übrigens an diesem Tag seinen Rücktritt hatte erklären wollen, nutzte das nichts mehr: Er war sofort tot.

Von den Freikorps zur "Organisation Consul"

Kurt Eisner gilt als erstes Opfer eines völkisch-antisemitischen Terrorismus. In dessen Geist handelten auch die Mörder der KPD-Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die vier Wochen zuvor in Berlin umgebracht worden waren. Die Umstände der Tat – die beiden wurden von Freikorps-Soldaten gefangengenommen, gefoltert und erschossen – werden von Historikern aber mit der Bürgerkriegssituation erklärt. In der Form unterschied sich der Anschlag auf die beiden Kommunisten von den folgenden rechtsradikalen Attentaten deutlich.

In der jungen deutschen Demokratie der Weimarer Republik waren Anschläge von rechtsextremen Tätern zwar nicht allgegenwärtig, aber doch eine reale Gefahr. Verantwortlich dafür war vor allem die "Organisation Consul" (OC), eine mythenumrankte Geheimgesellschaft um den früheren Freikorps-Führer Hermann Ehrhardt. Er setzte seine Anhänger 1919/20 zur Niederschlagung von Unruhen ein und beteiligte sich selbst führend am Putsch des reaktionären Beamten Wolfgang Kapp im März 1920. Nach dessen Scheitern wurde seine Brigade aufgelöst, einige junge Offiziere schlossen sich jedoch zur OC zusammen.

Die Zahl der Opfer wird auf bis zu 400 geschätzt

Auf ihr Konto gingen die Morde an den Spitzenpolitikern Matthias Erzberger am 26. August 1921 und am amtierenden Außenminister Walter Rathenau am 24. Juni 1922, außerdem der Mordversuch am ersten Ministerpräsidenten der Weimarer Republik, Philipp Scheidemann, am 4. Juni 1922. Auch der tödliche Anschlag auf den bayerischen USPD-Politiker Karl Gareis wurde möglicherweise aus dem Umfeld der gleichen Gruppe begangen.

Erst nach dem international Aufsehen erregenden Attentat auf Rathenau wurde durch das Republikschutzgesetz die OC zerschlagen. Ihre verbliebenen Anhänger sammelten sich in verschiedenen der zahlreichen rechtsextremen Gruppierungen der frühen Zwanzigerjahre, darunter dem "Bund Wiking" und der gerade entstehenden SA der Hitler-Bewegung. Insgesamt fielen in den Anfangsjahren der Weimarer Republik mindestens 23 Menschen, nach anderen Angaben bis zu 400 den als "Fememorden" bekannten Aktionen rechter Terrorgruppen in Deutschland zum Opfer.

1933 wurde brauner Terror offizielle Politik

Eher in die Kategorie Bürgerkrieg als in den Bereich Rechtsterrorismus fallen die Gewalttaten vor allem der SA und ihrer Hauptgegner, des "Roten Frontkämpferbundes" Anfang der Dreißigerjahre. Bei Saalschlachten, Überfällen und Attentaten starben auf beiden Seiten bis zu 300 Menschen.

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Mehrfach wurde die SA verboten, doch so ließ sich die inzwischen auf über 100.000 Mitglieder angewachsene Organisation nicht mehr zerschlagen. Ab dem 30. Januar 1933 eskalierte die Gewalt gegen Andersdenkende abermals, gedeckt durch eindeutige Anweisungen unter anderem des neuen preußischen Innenministers Hermann Göring. Brauner Terror war für die folgenden zwölf Jahre offizielle Politik.

Entgegen der Erwartungen der Alliierten, die Deutschland 1944/45 vollständig erobert und besetzt hatten, gab es kaum Guerilla-Tätigkeit fanatisierter Nazis gegen die Siegermächte. Die wenigen Grüppchen, die sich zu bilden versuchten, wurden rasch zerschlagen. In der Anfangsphase der Bundesrepublik gab es, obwohl durchaus rechtsextreme Parteien und Organisationen existierten, kaum neonazistische Gewalttaten – vielleicht auch, weil die Behörden seinerzeit energisch einschritten und beispielsweise die "Sozialistische Reichspartei" kurzerhand verbieten ließen.

Das parlamentarische Scheitern der NPD

Auch misslang der Versuch ehemaliger NSDAP-Funktionäre, die FDP zu unterwandern. Nur kurz dagegen wurde das gescheiterte Bombenattentat auf Bundeskanzler Konrad Adenauer 1952 einer antisemitischen Gruppe zugerechnet, denn bald wurde klar, dass es sich um einen Anschlag israelischer Täter handelte.

Ende der Sechzigerjahre allerdings bildete sich, fast parallel zu ähnlichen Entwicklungen auf linksextremer Seite, ein gewaltbereiter neonazistischer Untergrund in der Bundesrepublik. Das hatte wohl mit dem parlamentarischen Scheitern der NPD bei den Bundestagswahlen 1969 und dem weitreichenden politischen Wandel durch die neue sozialliberale Bundesregierung zu tun.

Dazu gehörte die "Hengst-Bande", deren Anführer und Namensgeber Bernd Hengst 1968 das Bonner Büro der DKP beschossen hatte. Gut zwei Jahre später griff die Polizei zu, stellte zahlreiche Gewehre und Pistolen sicher. Hengst und seine Mittäter hatten vorgehabt, in der Karnevalszeit am Rhein "schwerwiegende Gewaltakte gegen Personen und Sachen" zu begehen, "um kräftige politische Akzente zu setzen". Die Mitglieder der Gruppe stammten aus dem aufgelösten Ordnerdienst der NPD.

Die Morde der "Wehrsportgruppe Hoffmann"

Zwei Jahre nach der Zerschlagung der "Hengst-Bande" gründete Karl-Heinz Hoffmann die "Wehrsportgruppe Hoffmann", die zur größten militanten Neonazi-Gruppe wurde. Sie trat als "Saalschutz" bei Versammlungen rechtsextremer Parteien auf und lud zu "Wehrsportübungen" ein, paramilitärischen Manövern.

Der bekannteste Anschlag, den ein Mitglied dieser Gruppe beging, war das Bombenattentat auf das Münchner Oktoberfest 1980 mit zwölf Toten und 210 Verletzten. Wenige Wochen später folgte der Doppelmord an dem Rabbiner und Verleger Shlomo Lewin sowie seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke. In beiden Fällen begingen die Täter Selbstmord, weshalb diese Fälle nicht völlig aufgeklärt werden konnten und bis heute mythenumrankt sind.

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Im selben Jahr begingen die "Deutschen Aktionsgruppen" des Neonazis und Rechtsanwaltes Manfred Roeder mindestens sieben Anschläge, bei denen zwei Menschen getötet wurden und ein halbes Dutzend teilweise schwere Verletzungen davon trug. Am 29. Juni 1982 erhielt Roeder dafür eine Haftstrafe von 13 Jahren, zwei Mittäter wurden zu lebenslänglich verurteilt, ein weiterer Angeklagter zu sechs Jahren Haft.

In den 80ern begannen ausländerfeindliche Attacken

Ebenfalls 1980 erschoss ein Mitlied der "Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands" zwei Schweizer Polizeibeamte und verletzte zwei weitere. Er war wohl beim Waffenschmuggel entdeckt worden. Der Täter tötete sich selbst, als er in die Enge getrieben worden war. Ein Jahr später scheiterte ein von derselben Gruppe geplanter Banküberfall in München; zwei der fünf neonazistischen Täter wurden erschossen.

In den Achtzigerjahren kam es kaum mehr zu rechtsterroristischen Anschlägen, jedoch zu ausländerfeindlichen Attacken, die aus rechtsextremen Kreisen begangen wurden. Auch in den frühen Neunzigerjahren war das die Form rechtsextremer Gewalt, etwa bei den Brandanschlägen auf zwei Häuser in Mölln 1992 mit drei Toten und neun Verletzten sowie 1993 in Solingen mit fünf Toten und 14 teilweise Schwerverletzten.

Seither gab es Einzelfälle, etwa den Mordversuch an einem Buchhändler und anschließenden Polizistenmord, den der Berliner Kay Diesner 1997 beging; er sitzt gegenwärtig noch in Haft. Schon in der Planungsphase konnte 2003 ein Attentat auf die neue Münchner Synagoge verhindert werden, das von einem "Aktionsbüro Süd" vorbereitet wurde. Die Beteiligten wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Gegenüber all diesen Taten und Plänen erscheinen die seit 1997 verteilten Bombenattrappen aus dem Umfeld des rechtsextremen "Thüringer Heimatschutzes", dem auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe angehörten, kaum als eine "neue Qualität" des Rechtsterrorismus. Nicht einmal das Ausbleiben von Bekennerschreiben ist neu – auch zum Mord an Shlomo Lewin gab es lange keinen Hinweis auf die Täter.

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