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Geschichte 1917

Sturm auf das Winterpalais – eine Legende

Quelle: akg
Der Panzerkreuzer „Aurora" gab in der Nacht zum 8. November 1917 mit einem Kanonenschuss das Signal. Dann stürmten tausende Rotgardisten auf den Zarenpalast zu. Nach opferreichen Kämpfen eroberten sie das Gebäude und sicherten so den Sieg der Revolution. Keine kommunistische Legende hat sich hartnäckiger gehalten als der „Sturm auf das Winterpalais".

Nach dem Sturz des Zaren im März 1917 hatte sich in Russland eine Doppelherrschaft gebildet: die bürgerlich-demokratische Provisorische Regierung einerseits und die sozialistisch-kommunistisch dominierten Sowjets (Räte). Der seit Juli amtierende Ministerpräsident Alexander Kerenski versuchte vergeblich, die linksradikalen Bolschewiki (Maximalisten) unter Führung von Wladimir I. Lenin in die Regierungsarbeit einzubinden. Statt dessen zettelten die Bolschewisten in der Hauptstadt Petrograd (St. Petersburg) einen Aufstand an, der blutig scheiterte. Lenin musste in die Emigration nach Finnland gehen.

Auch von rechtsradikalen, zarentreuen Kräften war die junge Republik Russland bedroht. Doch Kerenski weigerte sich beharrlich, sein Land aus dem 1. Weltkrieg herauszunehmen, was ihn viele Sympathien im Volk kostete. Die Bolschewisten begannen unter Führung des redegewandten jüdischen Intellektuellen Leo Trotzki (eigentlich Leib Bronstein) eine Kampagne aus dem Untergrund; sie versprachen, nach ihrer Machtübernahme sofort Frieden mit Deutschland zu schließen. Obwohl die Lenin-Partei offiziell verboten war, besaß sie im Petrograder Sowjet großen Einfluss.

Ein Staatsstreich sollte vollendete Tatsachen schaffen

Ende Oktober 1917 erkannte Trotzki, dass seine Anhänger zunehmend zu den Anarchisten und Rechtsradikalen abwanderten. Er beschloss, durch einen Staatsstreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Lenin, der illegal wieder in Petrograd hauste, stimmte zu, während in der Parteiführung Josef Stalin (eigentlich Jossif Dshugashwili) zahlreiche Einwände erhob und sich während der folgen Tage von allen Geschehnissen fernhielt.

Trotzki war im Gegensatz zum Nur-Ideologen Lenin ein begabter Organisator. Er bereitete alles für einen möglichst geräuschlosen Umsturz vor. Dennoch blieb der Provisorischen Regierung die bolschewistische Verschwörung nicht verborgen. Aber die unerfahrenen Demokraten wussten sich keinen Rat. Wladimir Nabokow, damals Kanzleichef der Regierung, schrieb: „Es herrschte völlige Ratlosigkeit, das übliche, unter den gegebenen Umständen in seiner Erbärmlichkeit besonders erschütternde Schauspiel der Suche nach Kompromissformeln, die eine Mehrheit finden könnten.“

Kerenski setzt sich ab

Am 4. November unterstellte sich der Petrograder Sowjet widerrechtlich sämtliche Soldaten des nördlichen Militärbezirks. Auf diese Provokation reagierte die Regierung lediglich mit der Schließung eines bolschewistischen Zeitungsverlags. Trotzki nutzte dieses Schwächezeichen. In der Nacht vom 6. zum 7. November 1917 besetzten Rotgardisten und bewaffnete Arbeitertrupps ohne jedes Aufsehen strategische Punkte der Hauptstadt: Telegrafenamt, sämtliche Newa-Brücken, die fünf Bahnhöfe, Staatsbank und Hauptpost.

Am nächsten Tag erkannte Ministerpräsident Kerenski den Ernst der Lage und setzte sich zu den loyalen Truppen der Nordfront ab. Dass er in Frauenkleidern geflohen sei, zählt zum kommunistischen Legendenkanon.

Im Winterpalais tagte derweil die Provisorische Regierung unter Vorsitz des 31-jährigen parteilosen Außenministers Michail Terestschenko. Er musste konstatieren, dass zur Verteidigung des Gebäudes nur noch ein Dutzend Offiziersschüler, einige Kosaken sowie ein Trupp kahlgeschorener, bewaffneter Frauen, das „Todesbataillon“, bereitstand. Angesichts solcher Unterlegenheit gab die Regierung auf. Als in der Nacht zum 8. November die ersten Rotgardisten und Matrosen durch das Hauptportal marschierten, fielen vereinzelte Schüsse, während die Minister in einem Kabinett der 2. Etage apathisch auf ihre Verhaftung warteten.

Hysterie im Todesbataillon

Nach dem Signalschuss der „Aurora“ brach unter den Frauen des Todesbataillons Hysterie aus und man musste sie hinter den Türen einer Kammer einschließen. Binnen weniger Minuten streckten die restlichen Verteidiger im Erdgeschoss ihre Waffen. Sechs Gefallene waren zu beklagen, zwei Fensterscheiben gingen zu Bruch – ein „Sturm“ hatte nie stattgefunden.

Ihn inszenierte erst zehn Jahre später Stalins Lieblingsregisseur Sergej Eisenstein im Film „Oktober“. Dessen nachgestellte Szenen wurden ungeniert zum Dokumentarfilm verfälscht und auch im Westen gläubig bestaunt, teilweise bis heute. Gleichzeitig heroisierte man Stalins erbärmliche Rolle während der Revolutionstage.

Was folgte, waren sieben Jahrzehnte Staatsterror

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Am Morgen des 7. November erfuhr Russlands verblüffte Bevölkerung: „Die staatliche Gewalt ist in die Hände des Organs des Petrograder Sowjets der Arbeiter und Soldaten gefallen.“ Niemand ahnte, dass diesem lapidaren Satz sieben Jahrzehnte kommunistischen Staatsterrors folgen sollten.

Wladimir Nabokow bekam schnell einen Vorgeschmack davon. Das demokratisch gewählte Vorparlament wurde noch im November 1917 auseinandergejagt mit den Worten, die Delegierten mögen sich „auf den Dreckhaufen der Geschichte scheren“. Verkünder dieser Botschaft war der spätere Tscheka-General Moishe Urizki. Nabokow berichtet fünf Jahre später aus dem Exil: „Wie heute erinnere ich mich an diese abstoßende Figur, diesen unansehnlichen kleinen Kerl mit einem Hut auf dem Kopf und frecher jüdischer Physiognomie. Er forderte, dass wir auseinandergingen, anderenfalls werde er Waffengewalt anwenden.“

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