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  3. China: In der Mädchenschule von Shanghai saß Mao mit zwölf Genossen

Geschichte Mao Tse-tung & Co.

Die mysteriöse Versammlung in der Mädchenschule von Shanghai

Die Kommunistische Partei Chinas wurde im Juli 1921 in Shanghai gegründet. Der Legende nach von 13 Delegierten, von denen wenige einen friedlichen Tod starben. Von Marx und Engels hatten alle nur eine ziemlich vage Vorstellung.
Poster of the movie, The Founding of a Party. The Founding of a Party, a companion piece to The Founding of a Republic from 2009, is a lavish, sprawling mosaic, spanning Chinese history from 1911 to 1921 and concluding with the establishment of the Chinese Communist Party. Filmed for the partys 90th anniversary, the movie had a colossal release at home; the State Film Commission sought at least 30 million viewers. The film, which is expected to set a new box office record in China, focus on the May Fourth Movement, which sprang from failed government efforts to wrest Shandong Province from foreign control at the Paris Peace Conference of 1919, resulting in student riots in Beijing. The cast consists of 178 celebrities from the Chinese mainland, Taiwan and Hong Kong, including Chow Yun-Fat and director John Woo. Poster of the movie, The Founding of a Party. The Founding of a Party, a companion piece to The Founding of a Republic from 2009, is a lavish, sprawling mosaic, spanning Chinese history from 1911 to 1921 and concluding with the establishment of the Chinese Communist Party. Filmed for the partys 90th anniversary, the movie had a colossal release at home; the State Film Commission sought at least 30 million viewers. The film, which is expected to set a new box office record in China, focus on the May Fourth Movement, which sprang from failed government efforts to wrest Shandong Province from foreign control at the Paris Peace Conference of 1919, resulting in student riots in Beijing. The cast consists of 178 celebrities from the Chinese mainland, Taiwan and Hong Kong, including Chow Yun-Fat and director John Woo.
Mit dem Propagandafilm "The Founding of a Party" von Huang Jianxin und Han Sanping ließ die KPCh 2011 ihre Gründung feiern
Quelle: picture alliance / dpa

Ein Tisch und darauf 13 Tassen: So einfach lässt sich eine Revolution, die die Welt veränderte, in ein symbolträchtiges Bild verwandeln. Denn an diesem Tisch saß Mao Tse-tung mit zwölf Genossen. Am 1. Juli 1921, als in der Bo-Wen-Mädchenschule in der Rue Wantz 106 (heute Xingye Lu 76) in der damals exterritorialen französischen Konzession von Shanghai die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) gegründet wurde. So soll es gewesen sein. So wird es erzählt. Aber war es wirklich so? Historiker und Sinologen haben da erhebliche Zweifel. Das betrifft die Teilnehmer der Sitzung, die Zahl der Parteimitglieder, die sie vertraten, den Ablauf dieses sogenannten „Ersten Parteitages der KPCh“ und vor allem die Rolle von Mao als Gründervater.

Nur eines ist gewiss: Der 1. Juli 1921 war ein ganz gewöhnlicher Tag, an dem in Shanghai nichts Besonderes geschah. Er wurde erst 20 Jahre später zum Gründungstag der KPCh erklärt, um den Mythos von Mao als der zentralen Gestalt zu installieren. Das unterstreicht ein Relief in der zur Erinnerungsstätte erhobenen Schule, die inzwischen ein wenig fremd inmitten des schicken und teuren Einkaufs- und Vergnügungsviertels Xintiandi liegt. Das Relief vereint die Köpfe der 15 Männer, die damals dabei waren. Und in der Mitte, besonders hervorgehoben und ein wenig größer als die anderen, Mao.

circa 1925: Chinese political leader Mao Tse-tung as a cadet of the Chinese Communist Party. (Photo by Hulton Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Mao Tse-tung (1893–1976) in den 1920er-Jahren
Quelle: Getty Images

Dabei fällt auf, dass es hier nicht nur 13, sondern 15 Männer sind. Denn anscheinend wurde zwei Männern an dem geadelten Tisch keine Tasse gegönnt: den beiden Abgesandten der Kommunistischen Internationale (Komintern), dem Niederländer Hendricus Sneevliet (alias Maring) und dem Geheimdienstoffizier Nikolski (d. i. Wladimir Abramowitsch Neumann).

Die Komintern, 1919 in Moskau organisiert, um die Weltrevolution in Ost und West voranzutreiben, war die entscheidende Kraft bei der Gründung der KPCh. Als erster Komintern-Beauftragter kam Grigori Woitinski im April 1920 nach China. Er nahm Kontakt zu Chen Duxiu und Li Dazhao, Professoren in Peking, auf, weil sie sich 1919 in der „Bewegung vom 4. Mai“, der Demonstration von Studierenden gegen die China diskriminierenden Bedingungen des Versailler Vertrages, engagiert hatten. Das wurde zum Ausgangspunkt der linksrevolutionär orientierten „Neuen Kulturbewegung“ und der verschiedenen marxistischen Studienzirkel im akademischen Umfeld.

The May Fourth Movement (traditional Chinese: ????; simplified Chinese: ????; pinyin: Wusì Yùndòng) was an anti-imperialist, cultural, and political movement growing out of student demonstrations in Beijing on May 4, 1919, protesting the Chinese government's weak response to the Treaty of Versailles, especially the Shandong Problem. These demonstrations sparked national protests and marked the upsurge of Chinese nationalism, a shift towards political mobilization and away from cultural activities, and a move towards a populist base rather than intellectual elites. The broader use of the term "May Fourth Movement" often refers to the period during 1915-1921 more usually called the New Culture Movement.
Aufständische Studenten 1919 in Peking
Quelle: picture alliance / CPA Media Co.

Als organisatorisches Zentrum entstand bereits im Mai in Chens Haus, das in der dem Zugriff der chinesischen Polizei entzogenen französischen Konzession in Shanghai lag, ein „Provisorisches Zentralkomitee“. Damit trat die Partei bereits gut ein Jahr vor dem offiziell gefeierten Termin ins Leben. Entsprechend den Vorgaben von Woitinski sollte sie sich auf die Arbeiterschaft konzentrieren, obwohl allenfalls 0,5 Prozent der Chinesen damals Arbeiter waren.

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Doch ohne die Treue zur Komintern und ihre Weisungen wäre das nicht möglich gewesen, weil sie, wie Chen Duxiu 1923 zugab, allein die Gelder bereitstellte, die die KPCh zum Leben und Überleben brauchte. 16.655 Yuan ließ sie sich das im ersten Jahr kosten. 200.000 Yuan waren es 1923. Dann 31.927 Yuan und zusätzlich 1500 US-Dollar 1924. Und 187.674 Yuan 1927. (Mao verdiente als Hilfsbibliothekar in Peking acht Yuan im Monat).

Allerdings setzten die russischen Kommunisten nicht nur auf die chinesischen Genossen. Gleichzeitig unterstützten sie auch die wesentlich einfluss- und mitgliederreichere Kuomintang (KMT), die Partei von Sun Yat-sen und seinem Nachfolger Tschiang Kai-schek mit Geld, Waffen und politischen wie militärischen Beratern.

Das alles ist kein Thema bei den Hundert-Jahr-Feiern, bei denen recht summarisch über den „Gründungsparteitag“ berichtet wird. Denn da gibt es ein paar blinde Flecken. Das gilt zuallererst für das Datum. Vieles weist darauf hin, dass das erste Treffen in der Mädchenschule wahrscheinlich erst am 23., wenn nicht sogar am 27. Juli stattfand. Und für die fünfte und letzte Sitzung, wahrscheinlich am 31. Juli, entschied man sich für ein Boot auf dem Nanhu-See in Jiaxing, eine Stunde außerhalb von Shanghai, weil tags zuvor ein unbekannter Besucher aufgetaucht war und man eine Bespitzelung oder Verhaftung fürchtete.

CONGJIANG, CHINA - JUNE 24, 2021 - Aerial photo taken on June 24, 2021 shows primary school students spelling out the words "100" and "1921-2021" on a playground to celebrate the 100th anniversary of the founding of the Communist Party of China (CPC) in Congjiang County, southwest China's Guizhou Province.
So inszeniert die Führung der KPCh den 100. Jahrestag der Parteigründung
Quelle: picture alliance / Luo Jinglai /

Dazwischen traf man sich wahrscheinlich mehrmals in der Wohnung von Li Hanjun unweit der Schule. Das wird jedoch offiziell nicht erwähnt, weil Li Hanjun bald darauf die KPCh kritisierte und zur KMT wechselte. Was bei diesen Sitzungen ge- und besprochen wurde, weiß man nur vom Hörensagen, denn Redemanuskripte oder Protokolle wurden nicht angefertigt. Selbst in den Akten der Komintern wird die Gründung der Partei erst 1923 am Rande erwähnt.

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Dass Mao eine besondere Rolle gespielt hätte, ist nirgends belegt. Und zu den Seltsamkeiten gehört, dass weder Chen Duxiu noch Li Dazhao, obwohl die führenden Köpfe, an der Tagung teilnahmen. Trotzdem wurde Chen in Abwesenheit zu einem der drei Vorsitzenden gewählt – jedoch 1927 kaltgestellt und 1929 als Trotzkist ausgeschlossen. Li Dazhao war bereits zwei Jahre zuvor aus der sowjetischen Botschaft in Peking, wo er Zuflucht gesucht hatte, von den Soldaten eines Warlords gekidnappt und dann gehenkt worden.

Das war nicht ungewöhnlich. Von den 13 Delegierten, die sechs bescheidene Zentren und die chinesischen Studenten in Japan mit insgesamt 53 oder 57 Mitgliedern vertraten, wurden drei von Warlords oder als Feinde der KMT hingerichtet. Als Kollaborateur der Japaner ist ein Delegierter erschossen und ein anderer zu „lebenslänglich“ „begnadigt“ worden. Er starb im Gefängnis. Die Kulturrevolution überlebten zwei nicht. Und fünf brachen mit der KPCh und wechselten zur KMT, weil sie die Unterwerfung unter die Komintern und deren bolschewistischen Kurs ablehnten und eine chinesische Linie vertraten.

Lediglich einer, Wang Jinmei, starb bereits 1925 seinen „eigenen Tod“ an einer Lungenkrankheit. Deshalb standen nur zwei Männer von den 13 auf dem Tiananmen-Tor in Peking, als am 1. Oktober 1949 die Gründung der Volksrepublik China ausgerufen wurde: Mao und Dong Biwu, der nach der Degradierung von Liu Shaoqi während der Kulturrevolution an dessen Stelle als „geschäftsführender Vorsitzender der Volksrepublik China“ amtierte.

Obwohl Karl Marx damals wie heute als Urahn der chinesischen Revolution gehuldigt wird, stellte sich von Anfang an die Frage, wie marxistisch die chinesischen Kommunisten tatsächlich waren und sind. Die früheste Übersetzung eines Textes von Marx und Engels ins Chinesische sind 1904 zehn Thesen des „Kommunistischen Manifests“ in einem Artikel von Chu Chih-hsien – übersetzt aus dem Japanischen. 1920 lag mit der Übersetzung des „Manifests“ von Chen Wangdao (aus dem Japanischen und Englischen) erstmals ein vollständiger Text vor.

Chairman Mao Tse Tung (Zedong) announces the founding of the People's Republic of China. October 1, 1949. Peking (Beijing), China. (Photo by: Sovfoto/Universal Images Group via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Als KP-Vorsitzender proklamierte Mao am 1. Oktober 1949 in Peking die Gründung der Volksrepublik China
Quelle: Universal Images Group via Getty

In den 20er-Jahren kamen Exzerpte von Marx („Kritik des Gothaer Programms“) und Engels („Die Entwicklung des Sozialismus …“) sowie Texte von Lenin und Stalin dazu. Teile des „Kapitals“ folgten in den 30ern. Vollständig erschien es erst 1938 in chinesischer Sprache. Da die Übersetzungen auf japanischen und russischen Ausgaben basierten, führte dieser Umweg über fremde Idiome zur unbewussten Anpassung an chinesische Denkweise und damit zu einer – von der Moskauer Orthodoxie geschmähten – „Sinisierung des Marxismus“.

Mao behauptete in einem Interview mit dem amerikanischen Journalisten Edgar Snow, er habe 1920 das „Kommunistische Manifest“ und Karl Kautskys „Karl Marx’ ökonomische Lehren“ studiert. Trotzdem waren seine Kenntnisse des Marxismus nur dürftig. Lediglich zwei Prozent der Zitate in seinen Reden und Artikeln stammen von Marx, die übrigen beziehen sich auf die chinesischen Klassiker (und keines auf Stalin – der wiederum verhinderte, dass Maos Werke in Russland erschienen).

Außerdem sollen von den rund 470 Texten Maos mehr als die Hälfte von Ghostwritern verfasst worden sein, darunter die immer wieder als „Anleitung zum Handeln“ hervorgehobenen „Über die Praxis“, „Über den Widerspruch“ und die „Drei ständig zu lesenden Artikel“.

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Die „Mao-Tse-tung-Ideen“ sind für Partei und Staat dessen ungeachtet nach wie vor ein Dogma, das nicht infrage gestellt werden darf. Denn Maos Wirken sei – so der maßgebliche Reformer Deng Xiaoping und so seitdem endlos wiederholt – „zu 70 Prozent gut und zu 30 Prozent schlecht“ gewesen. „Maos Sicht von der Beziehung zwischen Führern und Massen, der zufolge auf das Volk zu hören ist, dieses aber letztendlich das zu tun hat, was die Führer für richtig beschieden haben, wird zum großen Teil weiter in Ehren gehalten“, schrieb der Mao-Biograf Stuart R. Schram. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und daran ändert auch das traute Symbolbild des Tisches mit den 13 Tassen nichts.

Dieser Artikel wurde erstmals im Juli 2021 veröffentlicht.

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