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Plebiszitärer Führer – wie Adenauer Strauß schasste

Leitender Redakteur Geschichte
Nur scheinbar eng vertraut: Franz Josef Strauß und Konrad Adenauer in der Bundestagsdebatte zur „Spiegel“-Affäre am 9. November 1962. Drei Woche später opferte der Kanzler den Verteidigungsminister, um eine neue Regierung zu bilden Nur scheinbar eng vertraut: Franz Josef Strauß und Konrad Adenauer in der Bundestagsdebatte zur „Spiegel“-Affäre am 9. November 1962. Drei Woche später opferte der Kanzler den Verteidigungsminister, um eine neue Regierung zu bilden
Nur scheinbar eng vertraut: Franz Josef Strauß und Konrad Adenauer in der Bundestagsdebatte zur „Spiegel“-Affäre am 9. November 1962. Drei Woche später opferte der Kanzler den Vert...eidigungsminister, um eine neue Regierung zu bilden
Quelle: picture-alliance / dpa
Mit dem erzwungenen Rücktritt von Franz Josef Strauß erreichte die „Spiegel“-Affäre 1962 ihren Endpunkt. Ein Brief-Fund zeigt, wie „Spiegel“-Chef Augstein dabei die Strippen zu ziehen suchte.

Der verbale K.o.-Schlag war gerade mal zwei Sätze lang: „Der Bundeskanzler hat im Einzelfall keine Weisung erteilt. Das gilt auch für die Nicht-Unterrichtung des Justizministers.“ Diese beiden Sätze fanden sich in einem Beschluss, den die CDU/CSU-Fraktion am 29. November 1962 verabschiedete. Noch am Tag zuvor hatte der in der Öffentlichkeit heftig umstrittene Verteidigungsminister Franz Josef Strauß in der Sitzung des Fraktionsvorstandes Konrad Adenauer genau des Gegenteils beschuldigt.

Nach dieser geschickt verpackten Bloßstellung blieb dem CSU-Chef nichts anderes übrig als seinen Abschied zu nehmen. Gleichzeitig war die Erklärung der Fraktion ein Signal an die FDP. Der Koalitionspartner hatte zehn Tage zuvor seine Minister aus der Regierung Adenauer abgezogen, weil Franz Josef Strauß in der Debatte über die „Spiegel“-Affäre den Bundestag offen belogen und den liberalen Justizminister Wolfgang Stammberger hinters Licht geführt hatte.

Nicht mit Strauß

Am selben Abend trafen sich die Delegationen von CDU/CSU und FDP zu Verhandlungen über die mögliche Neubildung einer Koalition im Kanzleramt. Der Historiker Holger Löttel von der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus wird im nächsten Band der Adenauer-Edition „Rhöndorfer Ausgabe“ dazu interessante Funde publizieren („Adenauer und die FDP“. Schöningh, Paderborn 2013. ca. 134 Euro).

Allerdings gehörte Strauß als CSU-Vorsitzender der Delegation an, die Adenauer eingeladen hatte – und die FDP-Vertreter weigerten sich, mit ihm zu speisen. Ein Sprecher der Liberalen hatte diesen Schritt begründet, man wolle klarstellen, „dass die Verhandlungen in einer der Situation angemessenen rein sachlichen Atmosphäre stattfinden sollen“.

Da Adenauer und die CDU/CSU-Vertreter das erst gegen 20.45 Uhr im Palais Schaumburg erfuhren, aßen sie rasch unter sich. Gegen 21.20 Uhr zog sich der Bundeskanzler zurück, um in einem anderen Raum mit vier FDP-Abgesandten zu sprechen, und erst um 21.40 Uhr stießen Strauß sowie die CDU-Vertreter dazu.

In der anschließenden Besprechung fand Adenauer durchaus deutliche Worte: „Der Entschluss der FDP, ihre fünf Mitglieder der jetzigen Bundesregierung zurückzuziehen, habe im In- und Ausland keinen guten Eindruck gemacht“, hielt das Protokoll seine Ausführungen fest: „Dieser Entschluss sei auf dem Hintergrund einer nach wie vor sehr ernsten politischen Lage gefasst worden. Die Kuba-Frage sei noch nicht zu Ende, wenn es auch den Anschein habe, als ob die dortige Krise demnächst überwunden werden könne.“

Guttenbergs Rolle

Der Bundeskanzler konnte sich solche Bemerkungen leisten, denn er war nicht ausschließlich auf die FDP angewiesen. Zeitgleich nämlich liefen Sondierungen mit der SPD über die Bildung einer Großen Koalition. Der CSU-Bundestagsabgeordnete und Strauß gegenüber skeptische Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg setzte sich dafür ein und sprach mit Einverständnis des Bundeskanzlers mit dem SPD-Strippenzieher Herbert Wehner.

Entscheidend für Konrad Adenauer war, dass er die gesamte Legislaturperiode über im Amt bleiben wollte. Er sorgte sich, sein Amt in die Hände des erfolgreichen und überaus beliebten Wirtschaftsministers Ludwig Erhard zu legen, den er für „völlig ungeeignet“ hielt. Einen wirklich überzeugenden Gegenkandidaten hatte der bereits 86-Jährige allerdings auch nicht aufgebaut.

Die FDP verlangte in den Gesprächen kategorisch eine ausdrückliche Festlegung des Wechsels im Kanzleramt – eine Bedingung, die Adenauer nicht akzeptieren wollte. Zuerst schien es, als könnte Guttenberg die SPD zu einer Vereinbarung bringen, in der eine solche Klausel nicht nötig sei. Einig waren sich die beiden Parteien darin, ein neues Wahlrecht schaffen zu wollen. Es sollte ab den nächsten Bundestagswahlen für klare Verhältnisse sorgen: ein Mehrheitswahlrecht nach britischem Vorbild.

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Nicht nur der Bundespräsident Heinrich Lübke war für eine solche Große Koalition – auch Franz Josef Strauß’ wichtiger und lautstärkster Gegner, der „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein. Ein Zufallsfund zeigt, wie sehr sich der schon damals bekannteste Publizist der Bundesrepublik hinter den Kulissen in die Politik einmischte.

Augsteins Briefentwurf

Am 28. Juli 1962 schon hatte Augstein einen Brief an den damaligen stellvertretenden SPD Fraktionsvorsitzenden Fritz Erler verfasst, der offenbar nur als Abschrift eines Entwurfes erhalten ist. Darin setzte sich der „Spiegel“-Herausgeber beinahe anbiedernd für die Bildung einer Großen Koalition ein. „Die Taktik“ müsse laut Augstein darin liegen, „Strauß gegen die FDP aufzubringen. Je wütender er gegen die FDP wird, desto weiter wird er in Richtung große Koalition gedrängt.“

Der Brief an Erler ging klar über die übliche Korrespondenz zwischen einem Journalisten und einem Politiker hinaus. „Ob Sie Geschäfte mit Strauß machen wollen oder nicht: Vorher müssen Sie ihn erledigen, sonst haben Sie bei dem uns beiden geläufigen Charakter des deutschen Wählervolkes recht bald einen plebiszitären Führer, gegen den die an sich besseren Leute der SPD nicht ankommen werden.“

Augstein selbst war sich klar darüber, welche Brisanz sein Schreiben hatte und schloss deshalb: „Ich darf wohl darauf rechnen, dass Sie diesen Brief nicht aus der Hand geben. Ob er deshalb den Weg ging, den Entwurf über einen „Spiegel“-Reporter einem SPD-Bundestagsabgeordneten zur Ansicht (und Abschrift) zukommen zu lassen, muss Spekulation bleiben.

Auf jeden Fall wirft das Schreiben ein neues Licht auf die Vorgeschichte und Wirkung der „Spiegel“-Affäre. An Franz Josef Strauß rechtswidrigem und politisch inakzeptablem Verhalten ändert sich zwar nichts. Aber klarer als bisher ist zu erkennen, dass Augstein diese Eskalation vielleicht sogar willkommen war – auch wenn er zum Zeitpunkt des erzwungenen Abschieds seines Gegners als Verteidigungsminister noch in Untersuchungshaft saß.

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