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  3. Deutsche Verfassung: „Das Grundgesetz ist weiterhin der Garant unserer Freiheit“

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„Selbstverständlich sollten wir auf unser Grundgesetz stolz sein“

Am 23. Mai 1949 verkündete Konrad Adenauer das Grundgesetz. Harald Biermann bewahrt als Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn diese Tradition – und weiß, was Deutschland an seiner Verfassung hat.
Leitender Redakteur Geschichte
Konrad Adenauer bei der Unterzeichnung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 Konrad Adenauer bei der Unterzeichnung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949
Konrad Adenauer bei der Unterzeichnung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949
Quelle: picture-alliance/dpa
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Für die angemessen getragene Stimmung sorgte am 23. Mai 1949 eine „Fantasie in c-Moll“ von Bach. Dann, gegen 16 Uhr, sprach Konrad Adenauer als Präsident des Parlamentarischen Rates: „Heute beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte unseres Volkes. Heute wird nach Unterzeichnung und Verkündung des Grundgesetzes die Bundesrepublik Deutschland in die Geschichte eintreten.“

Nur gut vier Jahre nach dem desaströsen Ende des bisherigen Deutschen Reiches im selbst verursachten schlimmsten Krieg der Weltgeschichte begann wenigstens ein größerer Teil des Landes die Rückkehr in den Kreis der zivilisierten Völker. Den Rahmen dafür bildete eine neue, demokratische Verfassung, eben das Grundgesetz.

Keine 300 Meter Luftlinie vom damaligen Ort des Geschehens, der Aula der Pädagogischen Akademie in Bonn, hat Harald Biermann sein Büro. Seit vielen Jahren arbeitet der Historiker am Haus der Geschichte der Bundesrepublik im Süden der vormaligen Bundeshauptstadt, seit Anfang 2022 leitet er als Präsident die Stiftung Haus der Geschichte, zu der neben dem Bonner Haus auch zwei Dependancen in Berlin und eine in Leipzig gehören.

WELT: Das Grundgesetz ist seit 75 Jahren der Rahmen für demokratisches Leben in Deutschland – bis 1990 nur im Westen, seither in ganz Deutschland. Wie groß ist die Bedeutung dieses Rahmens für den Erfolg der Demokratie?

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Harald Biermann: Eine funktionierende Verfassung ist die conditio sine qua non für jede Demokratie, sei sie nun geschrieben oder, wie im Fall von Großbritannien, ungeschrieben. Eine Verfassung allein kann jedoch nicht Freiheit und Demokratie garantieren. Auch die DDR hatte eine schön klingende Verfassung, die aber nicht das Papier wert war, auf dem sie geschrieben stand. Ohne den Rechtsstaat und eine funktionierende Verfassungsgerichtsbarkeit ist eine Verfassung zahnlos.

Harald Biermann leitet das Haus der Geschichte
Harald Biermann leitet das Haus der Geschichte
Quelle: Axel Thünker

WELT: Geschrieben haben deutsche Volksvertreter die Verfassung, allerdings nach den Vorgaben der westlichen Besatzungsmächte. Ist der Erfolg des Grundgesetzes also gewissermaßen oktroyiert?

Biermann: Nein, von einem Oktroi kann man nicht sprechen. Allerdings haben die Westalliierten den Rahmen gesetzt, in dem sich der Parlamentarische Rat bewegte. Die Geburtshelfer des Grundgesetzes wären sicher eingeschritten, wenn der Parlamentarische Rat einen autoritären, zentralistischen Staat vorgesehen hätte.

WELT: Als Historiker überblicken Sie die gesamte bisherige Geltungsdauer des Grundgesetzes. Was sind seine Stärken, und wo liegen eventuell Schwächen?

Biermann: Abgesehen von der starken Stellung der Grundrechte, die bekanntermaßen erstmals in der deutschen Geschichte als einklagbares Recht zu Beginn des Grundgesetzes verankert sind, zieht das Grundgesetz die Lehren aus der deutschen Verfassungstradition: Im Zentrum steht nun das Parlament, der Deutsche Bundestag. Er ist auf Bundesebene das einzige durch Volkswahlen legitimierte Gremium. Anders als in Weimar wird der Bundespräsident nicht vom Volk gewählt. Er ist repräsentatives Staatsoberhaupt und zuweilen Staatsnotar. Fundamentale Schwächen, die einer Verfassungsänderung bedürften, kann ich derzeit nicht sehen.

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WELT: Am Anfang des Grundgesetzes stehen die Grundrechte – erst danach folgen Regeln für die Institutionen des Staates. Das war sowohl in der Frankfurter Reichsverfassung 1849 wie in der Weimarer Verfassung von 1919 anders. Was bedeutet diese Reihenfolge?

Biermann: Der Parlamentarische Rat entschied sich sehr bewusst für diese Reihenfolge und zog damit die Lehren aus der nationalsozialistischen Diktatur wie auch aus der entstehenden kommunistischen Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone. Der antitotalitäre Grundkonsens ist eine bewahrenswerte Tradition, der – so ist es meine Auffassung – auch in unserer Zeit eine große Bedeutung zukommt.

WELT: Der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger hat 1970 den Begriff „Verfassungspatriotismus“ geprägt, bezogen auf die alte Bundesrepublik. Ist das durch die Einheit überholt?

Biermann: Ja und nein. Selbstverständlich sollten wir Deutschen auf unser Grundgesetz stolz sein. Nach 75 Jahren Frieden, Freiheit und Wohlstand kann man mit Fug und Recht sagen, dass sich diese Ordnung mehr als bewährt hat. Gleichzeitig zeigt sich, dass ein kühler Gesetzestext bei der Mehrzahl der Deutschen keine großen Emotionen hervorruft. Nach der wiedergewonnenen Einheit besteht jeglicher Grund für einen aufgeklärten Patriotismus, in den letzten 20 Jahren entspannte sich das Verhältnis vieler Deutschen zur Nation. Wir Demokraten dürfen uns Schwarz-Rot-Gold nicht von Spinnern an den politischen Rändern rauben lassen.

WELT: Selbsternannte „Reichsbürger“ bestreiten den Verfassungscharakter des Grundgesetzes, weil es keine Volksabstimmung gegeben hat, weder 1949 noch 1990. Was entgegnen Sie?

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Biermann: Meiner umfangreichen Erfahrung nach ist es leider sinnlos, mit diesen Menschen zu diskutieren. Sie sind kenntnislos, was die Geschichte angeht – von der Verfassungsgeschichte ganz zu schweigen. Weder in den Vereinigten Staaten von Amerika noch in Großbritannien – beides sehr alte, traditionsreiche Demokratien – gab es jemals eine Volksabstimmung über die Verfassung. Nur ein kleines Argument zum Schluss: Die Delegierten des Parlamentarischen Rates – 61 Männer, 4 Frauen – waren frei gewählte Abgeordnete in den Länderparlamenten.

WELT: Wissen Ihrer Erfahrung nach die Besucher im Haus der Geschichte, was das Grundgesetz ist und wie es unser Leben im heutigen Deutschland prägt?

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Quelle: N24 Doku

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Biermann: Das Haus der Geschichte ist eines der am besten evaluierten Museen in Kontinentaleuropa. Wir kennen das Vorwissen unserer Besucherinnen und Besucher sehr gut. Die Mehrzahl unserer Besucher kommt mit großem Interesse, aber mit relativ wenigen Vorkenntnissen in unser Haus. Es ist eine der vornehmsten Aufgaben unserer Stiftung, die überragende Bedeutung des Grundgesetzes für unser Gemeinwesen und den Alltag der Menschen umfangreich zu erläutern. Wir tragen damit zur historisch-politischen Bildung der Bundesbürger bei.

WELT: Ist das Grundgesetz gerüstet für künftige Herausforderungen?

Biermann: Selbstverständlich. 75 Jahre Stabilität bei gleichzeitiger Flexibilität, neuere und neueste Entwicklungen auf wohltemperierte Art aufzunehmen, sprechen für die Zukunftsfähigkeit des Grundgesetzes. Eindrucksvoll zeigte sich dies etwa während des Einigungsprozesses 1990, als das Grundgesetz sich über alle Maße bewährte. Als Historiker kann ich sagen, dass die derzeitigen Untergangsszenarien bei Weitem übertrieben sind. Das Grundgesetz ist nicht nur lebensfähig, sondern auch weiterhin der Garant unserer Freiheit. Ich jedenfalls freue mich schon jetzt auf das Jahr 2049, wenn wir 100 Jahre Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland feierlich begehen werden.

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