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Geschichte Russland

Schauprozess – Stalins Euphemismus für Liquidieren

Freier Autor Geschichte
Schauprozesse in Moskau Schauprozesse in Moskau
Prozesse in Moskau: Das Todesurteil stand bereits fest, als die ehemaligen bolschewistischen Spitzenfunktionäre Nikolai Bucharin und Alexei Rykow 1938 vor das Gericht traten (o.). ...Die Verhandlung gegen die russische Punkband Pussy Riot (u.) trägt etwas andere Züge
Quelle: TASS/The Russian Century/Wikipedia , AFP PHOTO / NATALIA KOLESNIKOVA
Die Mitglieder der russischen Punkband Pussy Riot nennen das Verfahren gegen sie einen „Schauprozess“ und ziehen damit den Vergleich zu dem berüchtigten stalinistischen Terrorinstrument.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen die regierungskritischen Musikerinnen Maria Aljochina, Nadeschda Tolokonnikowa und Jekaterina Samutsewitsch drei Jahre Haft beantragt. In ihrem Schlusswort kritisierte Aljochina die Methoden der russischen Justiz und verglich sie unter anderem mit der mittelalterlichen Inquisition. Damit liegt sie womöglich genauer als mit dem Verweis auf Stalin.

Schauprozesse, also öffentliche Verfahren, in denen Schuld und Strafmaß der Angeklagten im voraus schon fest standen, hat es in der Sowjetunion immer schon gegeben. Man hatte sie gegen Vertreter der zarischen Ordnung oder bürgerliche Spezialisten geführt.

Die Spektakel aber, die von 1936 an in Moskau geführt wurden und die zum Synonym für „Schauprozesse“ wurden, waren etwas neues: Säuberungsinstrumente der herrschenden Partei, die von den Angeklagten vor ihrer bereits beschlossenen Hinrichtung die öffentliche Unterwerfung unter ihre Räson verlangten.

„Nehmen sie das Pack in die Mangel“

Den Anlass für die Schauprozesse gab die Ermordung des populären Leningrader Parteichefs Sergei Kirow am 1. Dezember 1934. Als Stalin kurz darauf die Stadt erreichte, hatte er bereits ein Drei-Punkte-Dekret dabei, das offenbar von langer Hand vorbereitet worden war (was für die Beteiligung Stalins an Kirows Beseitigung spricht). Damit wurden die Untersuchungsbehörden ermächtigt, bei „Terrorakten“ Todesurteile umgehend zu verhängen und ohne Rücksicht auf eine mögliche Begnadigung „sofort“ zu vollstrecken.

Während bald Hunderttausende in Massengräbern und Arbeitslagern verschwanden, wurden gegen bolschewistische Spitzenfunktionäre, die es einmal gewagt hatten, Stalin widersprochen zu haben, medienwirksame Schauprozesse vorbereitet. Der erste ging im August 1936 gegen Lenins Mitstreiter Grigori Sinowjew, Lew Kamenew, Iwan Smirnow und 13 andere über die Bühne.

Stalins Anweisung an den Geheimdienst NKWD war unmissverständlich: „Nehmen sie das Pack in die Mangel, bis es singt.“ Wobei den Folterschergen bei mangelhaften Ergebnissen ihrerseits die Todesstrafe angedroht wurde.

„Bande von Mördern und Kriminellen“

Man folterte die Angeklagten. Man steckte sie in überhitzte Zellen und drohte mit der Erschießung von Familienangehörigen. Schließlich waren sie so weit, dass sie dem Politbüro ihre Kooperationsbereitschaft signalisierten unter der Bedingung, dass man ihr Leben schonen und ihre Familien schützen würde. Das verstehe sich von selbst, versicherte Stalin, der umgehend die Regie übernahm.

Wie Aktenfunde nach 1990 zeigen, wurden Anklage und Plädoyer gegen das „Vereinte Trotzkistisch-Sinowiewistische Zentrum“ und seine Verschwörung gegen Kirow und das Politbüro von Stalin höchstpersönlich redigiert. Vorgetragen wurde es von dem Staatsanwalt der UdSSR Andrei Wyschinski. Er nannte die Angeklagten ein „Häuflein von Verrätern und Abenteurern, Möpse und Kläffer, die sich über den Elefanten erbosten“, „nicht Politiker, sondern eine Bande von Mördern und Kriminellen“.

350 handverlesene Zuschauer, überwiegend NKWD-Leute, sowie ausländische Beobachter verfolgten den Prozess im Oktober-Saal des Gewerkschaftshauses. Stalin ließ sich in seinem Urlaubsort in Sotchi am Schwarzen Meer über jedes Detail informieren.

Aussagen „aus dem Gedächtnis“

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Im Vertrauen auf Stalins Zusicherung, ihr Leben zu schonen, bezichtigten sich die Angeklagten zahlreicher erfundener Taten, die auf gepressten und vor allem erfundenen Aussagen „aus dem Gedächtnis“ beruhten.

Wyschinski erzählte fantastische Geschichten von Geheimtreffen in ausländischen Hotels, die zum Zeitpunkt der Tat längst abgerissen waren: „Die Konterrevolutionäre träumen nicht nur vom Terror, sie hecken nicht nur Pläne einer terroristischen Verschwörung oder eines terroristischen Attentats aus, sie rüsten nicht nur zu diesen gemeinen Verbrechen, sondern sie führen sie auch aus, sie schießen und morden.“

Kamenew, einer der führenden Revolutionäre von 1917, gestand öffentlich, alle Kampfmittel angewandt zu haben, die Verschwörung und auch den Terror. Seine Mitangeklagten taten es ihm gleich und lieferten mit ihren „Geständnissen“ weiteres Belastungsmaterial gegen Stalins Erbfeind Lew Trotzki und gegen jeden, der künftig als „Trotzkist“ entlarvt werden sollte. Und das waren Hunderttausende.

„Erschießt diese tollen Hunde“

Am Ende forderte Wyschinski, „diese tollen Hunde zu erschießen, jeden Einzelnen von ihnen“. Kamenew erhob sich noch einmal und gab einen letzten Beweis seiner Parteitreue ab: „Ich versichere euch, dass ich mein Urteil, gleichgültig wie es ausfallen wird, im Voraus schon für gerecht halte“. Am Morgen des 25. August wurde das Todesurteil im Keller der Lubjanka, des NKWD-Gefängnisses unweit des Gerichtssaals, vollstreckt. Da erst begriff Sinowjew Stalins Spiel.

Der Historiker Karl Schlögel hat die Schauprozesse des Großen Terrors als „mediale Ereignisse beschrieben, die millionenfachen Morden eine Botschaft gaben: dass Stalin als einziger der alten Garde Lenins die Sowjetunion verkörpere. Zwei große Schauprozesse gegen weitere Spitzenfunktionäre folgten und ein Geheimprozess gegen die Führung der Roten Armee, der diese buchstäblich enthauptete. Anschließend wurden übrigens die meisten Richter liquidiert.

Diese „Moskauer Prozesse“, wie sie auch genannt werden, waren Abrechungen innerhalb der bolschewistischen Elite und verlangten von den Angeklagten Parteidisziplin bis zum Schluss. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Verfahren gegen Pussy Riot doch um einiges von Stalins Inszenierungen.

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