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Meinung „Onlyfans“

Warum ich emotionale Nähe gegen Geld anbiete

Mirna Funk, Autorin Mirna Funk, Autorin
Mirna Funk, Autorin
Quelle: Alex de Brabant
Die meisten Menschen sehnen sich nach Intimität. Doch besonders heterosexuellen Männern wird sie oft verwehrt. Ich hingegen kann mich vor digitalen Angeboten und dreisten Anfragen kaum retten. Es gibt eine Lösung, die beiden Seiten hilft.

Sex sells. Das ist jetzt nichts Neues. Was allerdings neu scheint, ist, dass sich der Trend von personalisierten Inhalten – wie wir sie durch das Influencer-Marketing der letzten Jahre bereits kennen – auch auf die Sexindustrie ausgeweitet hat. Bestes Beispiel dafür ist Onlyfans. Eine Online-Plattform, die es Content Creators ermöglicht, Inhalte direkt an ihre „Fans“ oder Abonnenten zu verkaufen. 2016 gegründet, hat sie seitdem eine große Nutzerbasis aufgebaut.

Die Corona-Pandemie hat ordentlich dabei geholfen. Statt sich also irgendwelche Tittenbilder im Internet oder Pornos auf den bekannten Plattformen anzugucken, können Nutzer direkt mit dem Objekt ihrer Begierde in Kontakt treten und interagieren. Digitale Intimität könnte man es nennen. In einer Zeit, in der sich die meisten nach Intimität sehnen, ihnen diese aber in den meisten Fällen verwehrt bleibt. Insbesondere heterosexuellen Männern.

Warum Onlyfans so erfolgreich ist, hat auch mit den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun, bei denen sich das klassische Rollenverständnis der Geschlechter radikal aufzulösen scheint. Männer weinen, Frauen machen Money. Schon Eva Illouz analysierte vor zehn Jahren in ihrem schmalen Essayband „Die neue Liebesordnung“ den Erfolg von „Fifty Shades of Grey“ und was dieser über aktuelle Tendenzen in Bezug auf die Geschlechterrollen vermuten lassen kann.

Der Reiz von „Fifty Shades“ liegt laut Illouz nicht nur darin, dass die Problemlagen gegenwärtiger Paarbeziehungen verarbeitet und damit ein hohes Identifikationspotenzial geboten werde, sondern auch in dem Angebot eines handfesten Lösungsvorschlags, der das eigene Leben verändern könne. Denn in einer hyperindividualisierten Welt, in der nun jeder ist und macht, was er möchte, ist das Spiel in der Liebe und Sexualität komplizierter denn je geworden. Hinzu kommen die großen Anti-Missbrauchskampagnen der letzten Jahre: MeToo und #Aufschrei.

Während früher das Liebesspiel einer klaren, definierten Abhandlung folgte, gibt es heute keinerlei klare Grenzen mehr. Und doch scheint alles gleichzeitig noch begrenzter.

Vor zwanzig Jahren lernte man sich entweder über Freunde, beim Ausgehen oder auf der Arbeit kennen. Man datete zwei- bis dreimal und wenn alles irgendwie gut lief und der Vibe stimmte, kam man zusammen. Ziel war in den meisten Fällen die klassische monogame Paarbeziehung, die irgendwann, wenn es weiterhin gut lief und der Vibe nach wie vor stimmte, in eine Ehe mit Kindern mündete, um dann diese Ehe irgendwann zu einer Scheidung zu führen. Die Ehe forever gibt es seit gut 50 Jahren nicht mehr.

Zwei Geschlechtertrends

Heute liegt die Scheidungsrate bei fast 50 Prozent innerhalb der ersten 15 Jahre. Dann kamen mit einem Mal Apps wie Tinder, Bumble, Hinge, Parship und wie sie nicht alle heißen hinzu und veränderten das Dating-Verhalten auf so radikale Weise, dass es heute so gut wie niemanden in der westlichen Welt mehr gibt, der nicht über ein Online-Dating-Portal seine Relation- und Situationships klarmacht. Nicht nur ist das Angebot immens, sondern wir daten Menschen, denen wir noch vor 15 Jahren niemals begegnet wären. Sie stammen aus sozialen Klassen, denen wir nicht angehören, sie haben Freundeskreise, die sich mit unseren nicht überschneiden, sie haben Hobbys und Interessen, die mit unseren rein gar nichts zu tun haben.

Das ist primär erst einmal genial. Klassengrenzen wurden gesprengt, soziale gläserne Decken eingerissen. Allerdings fehlen uns oftmals die sozialen Codes, um mit Personen, deren individuelle Biografien und Bezugsräume sich so eklatant von unseren unterscheiden, zu kommunizieren. Hinzukommen zwei diametrale Geschlechtertrends: der progressiv-moralische und der konservativ-moralische. Hier muss man sich nur durch Instagram-Reels klicken und schon schreien einem Leute entgegen, dass sie gar keine Geschlechter mehr wollen, und andere, dass sie finden, wir sollten uns auf traditionelle Geschlechterrollen rückbesinnen.

Die einen wollen die Rechnung beim Date splitten, die anderen halten so was für den größten Blödsinn aller Zeiten. Beide „Wahrheiten“ existieren parallel in unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Beide „Wahrheiten“ werden von den „Wahrheitsverkündern“ als singulär dargestellt. Unabhängig davon, dass die Existenz der beiden „Wahrheiten“ vielmehr dafür spricht, dass wir es offensichtlich mit einer komplexen und nicht dichotomen Welt zu tun haben. Denn innerhalb einer gesellschaftlichen Ordnung gibt es IMMER zwei parallel und gleichzeitig gegensätzliche Entwicklungen. Das ist nicht schlecht, sondern im Gegenteil: wahrhaftig. Man muss es eben nur aushalten lernen.

Die Macht der Frauen

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Auch ich date seit Jahren mithilfe von Dating-Portalen. Hinzu kommt meine Rolle als öffentliche Person. Männer sliden in meine DMs, als würde ich ihnen persönlich gehören und erwarten kostenlose Aufmerksamkeit. Das kann man zum einen völlig Banane finden oder eben mutig. Fakt ist, Frauen, die sich auf den Social-Media-Plattformen wie Instagram oder TikTok aufhalten und über ordentlich Reichweite verfügen, kennen alle dieses Phänomen. Die Slider fordern unmissverständlich Kommunikation, Bilder, Videos und mögliche Dates. Die Reflexion darauf, dass sie vermutlich nicht der Einzige sind, der auf die glorreiche Idee gekommen ist, eine Frau im Internet anzuschreiben, fehlt meist vollständig.

Die Nähe, die Social Media kreiert, ist so greifbar, der Blick ins Privatleben scheinbar so realistisch, dass die Grenzen zwischen realer Person und Kunstfigur für die meisten völlig verschwimmen. Mental Load und Care-Arbeit würden das jetzt Feministinnen nennen, ich nenne es emotionale Bedürftigkeit. Denn die neuen Dating-Regeln sind eigentlich nur für Frauen so richtig genial. Genug Experimente beweisen, wie leicht es ist als Frau auf Tinder nach einem Mann zu suchen und welche unfassbaren Verrenkungen Männer anstellen müssen, um überhaupt ein Date hinzubekommen. Wenn ich mich auf Tinder-Gold anmelde, dann habe ich innerhalb von nur 6 Stunden 2000 Likes. Eine Speisekarte an Männern, von denen ich mir die besten aussuchen kann. Männer können von solchen Statistiken nur träumen, haben aber längst verstanden, dass ihr Bedürfnis nach emotionaler und sexueller Aufmerksamkeit kostet.

Das ist die Macht der Frauen. The Power of the Pussy, quasi. Das ist, warum wir Jahrtausende lang unterdrückt wurden. Das ist, warum wir aktuell in einer Zeit leben, in der wir endlich die Möglichkeit haben, die Bedürfnisse von Männern nicht mehr umsonst stillen zu müssen, sondern dieses Unterfangen zu monetisieren. Und daran ist auch gar nichts verkehrt. Schließlich verfügen Frauen über weniger Gehalt, weniger Kapitalmasse und weniger Chancen, einen finanziellen Exit anzustreben. Eine halbe Million Euro sind es genau genommen, die Frauen in ihrem Leben flöten geht. Eine halbe Million Euro, die wir anderweitig machen sollten, anstatt Schatzi umsonst die Socken zu waschen.

You want tit pics? Pay for it

Genau deswegen denke ich seit Monaten über das Eröffnen meines eigenen Onlyfans-Kanals nach. Nicht nur, weil man hier in Deutschland als Autorin und Intellektuelle nicht ordentlich bezahlt wird; nicht nur, weil ich als Single-Mom einer Tochter in der beschissensten Steuerklasse aller Zeiten gelandet bin und nicht nur, weil ich ernsthaft finde, dass ich für das Erfüllen oben genannter Bedürfnisse entlohnt werden sollte, sondern weil ja ein Haufen Influencer und Stars in den USA genau dasselbe tun, ohne ihre Pussys und Penisse zu zeigen – wenn sie nicht wollen. Es geht um das Monetisieren des Guts Nähe.

Ich produziere jeden Tag Content, der meinen Fans, Followern und Frenemies das Gefühl gibt, an meinem Leben teilnehmen zu dürfen. Der Weg der Autorin Mirna Funk, die Arbeit der Autorin Mirna Funk, das Privatleben der Autorin Mirna Funk, die Gedanken der Autorin Mirna Funk. Ich inspiriere, informiere und schaffe täglich kostenlos Einblicke in eine Welt, zu der die Wenigsten Zugang haben. Klar können jetzt alle schreien: Dann lass es doch, du dumme Schlampe! Aber die haben nichts verstanden. Denn das ist meine Arbeit. Mit dem Verkaufen von Büchern verdient heutzutage kaum jemand etwas, außer er heißt Stuckrad-Barre und veröffentlicht den „ersten deutschen MeToo-Roman“. Da klingelt es richtig in der Kasse und der nächste Flug auf die Seychellen ist gesichert.

Und auch mit dem Schreiben von Texten kann ich gerade so die Unkosten decken. Mit dem Halten von Vorträgen schaffe ich es, ein bisschen Miete reinzuholen. Ohne Influencer-Tätigkeiten könnte ich mich gar nicht über Wasser halten. So sieht das Leben einer Autorin in Deutschland 2023 aus. Und ich bin auch noch eine von den erfolgreichen. Hätte ich mich nicht vor Jahren dazu entscheiden, aus mir eine Marke zu machen, würde ich heute, spätestens aber 2024 von einer AI ausgetauscht. Der Move war smart. Ihn nicht zu tun, hätte mich meine Zukunft gekostet.

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In einer schier regellosen Zeit, in der alles überall erhältlich und kostenfrei verfügbar ist, hat Onlyfans letztlich einen Rahmen gesetzt, in dem individuell erstellte Inhalte ein Recht auf Entlohnung haben. Arbeit ist Arbeit. Eine Instagram-DM zu lesen, um zu schauen, ob es sich um eine Anfrage oder eine Tit-Pic-Aufforderung handelt, ist Arbeit. Das muss ich jeden Tag um die 50 Mal machen. 50 Nachrichten. 50 mögliche Themen. Wir wollen dich auf einem Panel, wir wollen deine Pussy, wir wollen, dass du uns Tipps für Tel Aviv gibst, wir wollen mit dir essen gehen, wir wollen dir ins Gesicht spritzen, wir wollen deine Couch, wir wollen dich für diese Petition, wir wollen Fotos von deinen Füßen, wir wollen dich für diese Kampagne, wir wollen dich als FinDomme. In den meisten Fällen wollen sie einen aber umsonst.

Ehrenamt my ass, ihr Bitches! So viel Wollen und so wenig Anerkennung fürs Tun. Da kriegt man irgendwann schlechte Laune. Und die habe ich nun schon seit Wochen. Vor wenigen Tagen schrieb mir wieder irgendein Dude, er habe meine Texte gelesen, er wolle mit mir essen gehen und sich unterhalten. Und da bin ich einfach mal ausgerastet: „Ja, mit mir würde ich auch gerne essen gehen und mich unterhalten, aber was glaubst du eigentlich, wie viele mir das schreiben, wie wenig Zeit ich als Single-Mom habe und wie viel ich arbeiten muss, um mein Leben und das meiner Tochter zu finanzieren? Du willst mit mir essen gehen? Okay. Aber das mache ich nur noch gegen Geld“, antwortete ich und erstellte kurzerhand meinen Onlyfans-Kanal.

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