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Kultur Isarphilharmonie

Münchens neuer Kulturtempel, der keiner sein will

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Halle E und Isarphilharmonie im Gasteig HP8, München Verhandlungsverfahren - 1. Preis Entwurf: Meinhard von Gerkan und Stephan Schütz mit Christian Hellmund Projektleitung: Michael Scholz Projektleitung (stellvertretend): Annette Löber Bauherr: Gasteig München GmbH, Bereich Wirtschaft und Finanzen - Rechnungsprüfung Halle E und Isarphilharmonie im Gasteig HP8, München Verhandlungsverfahren - 1. Preis Entwurf: Meinhard von Gerkan und Stephan Schütz mit Christian Hellmund Projektleitung: Michael Scholz Projektleitung (stellvertretend): Annette Löber Bauherr: Gasteig München GmbH, Bereich Wirtschaft und Finanzen - Rechnungsprüfung
Halle E und Isarphilharmonie im Gasteig HP8 in München
Quelle: HGEsch/gmp Architekten/Gasteig
Wenn München baut, geht es schnell und bleibt sogar im Kostenplan. Gestern war feierliche Eröffnung der neuen Isarphilharmonie. Die Interimsspielstätte für den Gasteig zeigt der Restrepublik, dass es nicht immer gigantomanisch sein muss.

Niederschwellige Normalakustik, hochwertig und mit Glitzerstaubüberzug. So klingt es in der neuen Münchner Isarphilharmonie, die in den berauschten Lokalmedien bereits als neues Klangjuwel hochgejazzt wurde. Zur Eröffnung spielten Klavierstar Daniil Trifonov und Valery Gergiev zielgenau aneinander vorbei. Diese 4. Beethoven-Konzert à la russe, es tönt beim Solisten feinperlend und stupend ziseliert, akrobatisch, dabei doch lässig. Die Orchesterwand dahin baut sich in arg gezügelte Tempi dunkel und eher undurchdringlich dicht auf.

Davor und danach aber staunt und stolpert sich tout Munich, oder zumindest der gutbürgerlich-kulturinteressierte Teil, an diesem 3GPlus maskenfrei zu 100 Prozent ausgelasteten Abend mit 1900 Köpfen, durch das neue Gebäude. Das wurde in der Rekordzeit von drei Jahren geplant und in nur 18 Monaten zeitgerecht, sogar ohne jede Corona-Materialknappheitsverzögerung und im Kostenrahmen, als Ersatzspielstätte für den abgerockten Gasteig fertiggestellt.

Es ist total unmünchnerisch, liegt leicht dezentral im Glasscherbenviertel, direkt am hier die Isar überquerenden Mittleren Ring und neben einem Heizkraftwerk. Für schöngeistige Menschen eigentlich ein Unort. Nach wie vor schwelt Berührungsangst im zumeist älteren Stammpublikum der Münchner Philharmoniker, des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (BRSO) sowie des Münchner Kammerorchesters, die hier vorwiegend aufspielen werden. Immerhin wird in der Nähe, als nächste Kulturanstrengung, nächste Woche auch gleich noch das neue Volkstheater eröffnet.

Eine historische Transformatorenhalle, die eigentlich niemand mehr im Fokus hatte, wurde dabei zum mehrgeschossig offenen Entree mit lichtem Glasdach für die Isarphilharmonie oder einfach Gasteig HP8 – nach der Postadresse Hans-Preißinger-Straße 8 – benannten Kulturkomplex umgewidmet. Es ist ein von 7 bis 23 Uhr offener Begegnungsort, in dem sich die Kunden der ebenfalls aus dem Gasteig ausgelagerten Stadtbibliothek mit den Besuchern des dahinter angedockten neuen Saales mischen können.

Leuchtschild "Gasteig HP8" an der Isarphilharmonie
Entworfen vom Büro Gerkan, Marg und Partner
Quelle: HGEsch/gmp Architekten/Gasteig

Der ist, entworfen von gmp Gerkan Marg und Partnern, außen aus Blech, Stahl und Beton, mit einer eingehängt isolierten, fast quadratischen Holzhalle, deren Konturen im blauschwarzen Licht verschwimmen; auf dem flachen, breiten Podium läuft sie etwas spitz zu. Bequem sind die breiten Sitze, problematisch die zu wenigen, schnell Staus verursachenden Zugänge und Toiletten. Sehr nah sitzen alle am Orchester dran, hinter dem Podest gibt es nur wenige Plätze. Dier gern heruntergeputzte, semioptimale Akustik des Gasteigs ist endlich Geschichte – denn der optimierte Konzertsaal soll ebenfalls steilere Ränge und weniger Plätze bekommen. Das wird freilich nicht vor 2027 der Fall sein. Schon jetzt deuten sich Bauverzögerungen bei dem mit 470 Millionen Euro gedeckelten Sanierungsprojekt an.

Überall in der Halle E stößt man auf industrial shabby shic, im polierten München eher eine Seltenheit. Betonroh ist der Boden im Foyer, hoch oben baumelt ein alter Kran. Blaublechern sind die Seitenbrüstungen der vier Stockwerke, wo es jetzt offene Cafés, Vortrags- und Filmvorführungsräume, ein Tonstudio und ganz viele Kojen für 60.000 Präsenzmedien (davon die Hälfte mit musikalischem Inhalt) auf neugierige Konsumenten warten. Low key gestimmt, geht es an Lüftungs- wie Kabelschächten, rohen Eisenkanten, Maschendraht, Versorgungsrohren, Gittern vorbei in die verschattete, holzruppige Isarphilharmonie.

Pressefotos Gasteig HP8 und Isarphilharmonie, München Halle E im Gasteig HP8: Open Library und Entree Verhandlungsverfahren - 1. Preis Entwurf: Meinhard von Gerkan und Stephan Schütz mit Christian Hellmund Projektleitung: Michael Scholz Projektleitung (stellvertretend): Annette Löber Bauherr: Gasteig München GmbH, Bereich Wirtschaft und Finanzen - Rechnungsprüfung https://www.gasteig.de/der-gasteig/presse/pressefotos-interim.html,pf3
Die Halle E dient als Foyer und Quartier der Münchner Stadtbibliothek
Quelle: HGEsch / gmp Architekten

So mancher redet sich da schon ein Münchner Berghain schön. Schön ist aber vor allem, dass es vergleichsweise billig war. Denn die Volkhochschule und die Musikhochschule, sonst auch im Gasteig beheimatet, ziehen in den nächsten Monaten ebenfalls noch in neue Gebäude auf dem Gelände, zu dem ein Restaurant und eine weitere Multifunktionshalle gehören. Auch der Anschluss ans Isarufer wird noch, jahreszeitlich passend, zu erobern sein. Für 70 Millionen Euro war das zu haben, 40 Millionen hat die Konzerthalle mit der praktikablen, von Yasuhisa Toyota designten Akustik gekostet.

Vorangetrieben, pragmatisch, aber eben auch begeisternd, zielführend wie mitreißend, hat das unfall- wie skandalfreie Großprojekt in erster Linie Gasteig-Geschäftsführer Max Wagner. Dem es jetzt bei seiner mit Hermann Hesse eingeleiteten wie beschlossenen Rede vor glücklichem Enthusiasmus fast die Stimme verschlug.

Bau in eineinhalb Jahren

Aber selbst der sonst so nüchterne Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter, der für die erste deutsche Großstadt bereits pandemiebedingte Einschnitte im Kulturetat angekündigt hat, schloss sich beeindruckt an: „Das Projekt ist insgesamt sensationell gelaufen. Wenn die Bauzeit für eine solche Philharmonie nur eineinhalb Jahre war, dann müssen viele Leute einen herausragend guten Job gemacht haben.“ Und einigermaßen prophetisch schloss er: „Und dann ahne ich, dass dieses Interim hier relativ lange Bestand haben wird.“

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Damit spielt der Stadtherr natürlich auf das einigermaßen verquere staatliche 700-Millionen-Euro-Projekt eines weiteren Münchner Konzertsaals für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Klangkörper an. Das durch diesen Interimssaal vermutlich in sehr, sehr weite Ferne gerückt sein wird. Wenn es nicht bereits ganz erledigt ist.

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An das architektonisch bereits konkret geplante Konzerthaus im Werksviertel hinter dem Ostbahnhof ist vor 2030 nicht zu denken. Bis dahin steigen die Kosten, gleichzeitig wird schon jetzt dauernd funktional abgespeckt. Und bis zu diesem fernen Zeitpunkt wird wohl auch der bei der Isarphilharmonie-Eröffnung nicht einmal anwesende Chefdirigent Simon Rattle als Druck machende Gallionsfigur des vornehmlich dorthin drängelnden BRSO schon wieder Münchner Musikgeschichte sein.

Auch schlanke 40 Millionen können heute nicht mehr so einfach in den Münchner Schotterboden gesetzt werden. Also böte sich die schlichte, trotzdem schmucke Halle nach der irgendwann erfolgten Gasteig-Ertüchtigung ja als ideales Domizil für die dann dort längst eingeführten wie eingespielten BR-Symphoniker an. Mit Symbolwert. Nicht nur, weil dann künftig links wie rechts der Isar die Musik spielt, wo bisher nur Rechts der Isar ein Krankenhaus seinen Namen hatte. Sondern auch, weil die Isarphilharmonie der Restrepublik und ihren derzeit gigantoman unsteuerbaren Kulturbaustellen in Stuttgart, Frankfurt oder Köln zeigt, dass man sich bescheiden kann.

So war das Eröffnungskonzert

Und trotzdem zielstrebig zu einem feinen Ergebnis als Erlebnisraum kommt. Im Münchner Eröffnungskonzert tönt der allerdings noch ausbaufähig. Was wohl vornehmlich am weiterhin mit dieser Stadt nicht warmwerdende Philharmoniker-Chefdirigenten Valery Gergiev und seinem seltsamen Festprogramm liegt. Da diffundiert es munter wie ziellos in der spektralfarbig delirierenden Auftragskomposition „Araising Dances“ von Thierry Escaich. Wie auch in Henri Dutillieux‘ weit jünger klingenden „Metaboles“ von 1965. Diese „Wechselspiele“ gelingen einfach zu wenig durchsichtig, die Tuttistrukturen verklumpen und verkleben.

Pressefotos Gasteig HP8 und Isarphilharmonie 08.10.2021 Eröffnung - die Münchner Philharmoniker spielen vor vollem Saal https://www.gasteig.de/der-gasteig/presse/pressefotos-interim.html,pf3
Mit dem Hygienekonzept 3G fasst der Saal 1900 Besucher
Quelle: Gasteig GmbH/ Robert Haas

Der Unisono-Ausschnitt mit Flöte aus dem „Versiegelten Engel“ von Gergievs sich mit 89 Jahren noch rüstig erhebenden Leibkomponisten Rodion Schtschedrin rückt mit beschwörend langsamer, neoorthodoxer Kirchenlinearität den von der Empore singenden Chor ins beste Klanglicht. Doch erst in Maurice Ravels zweiter „Daphnis et Chloé“-Suite lassen Sonnenaufgang und Tanz den Saal leuchten, strahlen Flöten und Holzbläser unter weichem Blech aus sanft streicherumschmeichlender, einigermaßen transparenter Orchestermitte.

Da zeigt dieser harmonische, bescheidene und doch erhebende Raum seine Anziehungskraft und Stärke. Als uneitel und offen klingender Konzertsaal, der gerade das nicht sein will, wovon München schon genug hat: Kulturtempel.

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