Es war nur einer vielen Fällen, in denen der Furor der politischen Korrektheit und der Wokeness zur Umbenennung eines Produktes führte: Die Keksfirma Bahlsen kündigte 2020 an, einen neuen Namen für einen mit Schokolade überzogenen Keks zu suchen, der seit 60 Jahren „Afrika“ heißt. Anlass war ein Shitstorm gegen den vermeintlich rassistischen Namen des Gebäcks.
Mit diesem leicht und schnell errungenen Sieg können sich Antirassisten aber nicht zufriedengeben. Denn das eigentliche Problem ist doch der Name Afrika selbst. Es handelt sich um eine Fremdbezeichnung, die vor 2200 Jahren alte weiße Männer – Kolonialisten und Imperialisten obendrein – dem Kontinent übergestülpt haben.
Es begann mit Versklavung und Eroberung
In einer Zeit, in der ähnliche von außen aufgezwungene Namen wie Lappen, Zigeuner oder Indianer längst durch selbst gewählte Bezeichnungen der jeweiligen Völker ersetzt worden sind, wird das Etikett Afrika merkwürdigerweise ganz bedenkenlos weiter verwendet, obwohl es von Eindringlingen stammt, die auf dem Kontinent vor allem Rohstoffe, Sklaven, Elfenbein und wilde Tiere für ihre Zirkusarenen suchten.
Der Name Afrika wurde erstmals von einem römischen Heerführer aus der Familie der Scipionen verwendet. Entweder von Scipio Africanus, der Karthago und seinen Feldherrn Hannibal im Zweiten Punischen Krieg im Jahre 202 v. Chr. besiegte, oder von seinem Adoptivsohn, Scipio dem Jüngeren, der die Karthager endgültig unterwarf, ihre Stadt zerstörte, die Bewohner versklavte und die neue römische Provinz Africa einrichtete.
Gemeint war damit zunächst nur das alte karthagische Herrschaftsgebiet. Das ihnen bekannte Gebiet Nordafrikas mit Ausnahme von Ägypten und Äthiopien nannten Römer und Griechen dagegen Libya.
Staubige Höhlenbewohner
Der Name Afrika leitet sich her von Afri. So nannten die Römer die Bewohner der Gebiete westlich des Nils – also des antiken Libyen. Gemeint war damit ursprünglich ein indigener Stamm, der zu den Vorfahren der Berber gehört. Der römische Dramatiker Terenz, der im zweiten Jahrhundert vor Christus als Sklave aus Nordafrika kam und Berber war, wurde Publius Terentius Afer genannt.
Die derzeit anerkanntesten Hypothesen über den Namen der Afri sind, dass er entweder vom phönizischen Wort afar („Staub“) abgeleitet wurde (die Karthager waren Phönizier) oder dass er auf das Berberwort ifar („Höhle“) zurückzuführen sei. Die Afri wären demnach in den Augen der Römer entweder staubbedeckt oder Höhlenbewohner gewesen.
Andere antike und moderne Etymologien haben sich nicht durchsetzen können: Nach dem jüdisch-römischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus soll Afrika auf Abrahams Enkel Epher zurückgehen, dessen Nachfahren das Land erobert hätten. Isidor von Sevilla, der Polyhistor des frühen Mittelalters, führt es auf das lateinische aprica („sonnig“) zurück. Moderne Forscher erwägen als Ursprung unter anderem ein angeblich umbrisches Wort africus („Südwind“) oder ein nicht belegtes lateinisches aphir-ic-a, das mit Ophir, dem Namen des sagenhaften Goldlandes der hebräischen Bibel, identisch sei.
Das alles ist aber Humbug. Es bleibt dabei, dass Afrika ursprünglich ein Sklavenname war, mit dem europäische Eindringlinge die in ihren Augen schmutzigen und primitiven Indigenen bezeichneten. Das Wort steht – 1500 Jahre vor stigmatisierenden Bezeichnungen wie „Neger“ oder „dunkler Kontinent“ – am Anfang einer Geschichte, in der Weiße mit sprachlichen Mitteln die Ureinwohner des Kontinents herabwürdigten.
Trotzdem wird es – von der Afrikanischen Union bis hin zu Afrodeutschen – von den schwarzen Menschen immer noch als Eigenbezeichnung benutzt. Nicht allen dürfte sein rassistischer Ursprung bekannt sein. Vielleicht ist es Zeit, den Kontinent von seinem Namen zu befreien und ihn damit auch linguistisch zu dekolonialisieren.
Es gibt ja offensichtlich wenigstens einen indigenen Begriff, der Afrika ersetzen könnte: Auf dem Kontinent selbst und in nordamerikanischen schwarzen Nationalistenkreisen beruft man sich stolz auf den alten Begriff Alkebulan, der auf arabisches „Land der Schwarzen“ zurückgeführt wird oder in einer autochthonen Sprache mal „Mutter der Menschheit“, mal „Garten Eden“ bedeutet haben soll.
Matthias Heine ist Autor mehrerer Bücher über Sprachgeschichte. Zuletzt erschienen von ihm „Das ABC der Menschheit. Eine Weltgeschichte des Alphabets“ (Verlag Hoffmann und Campe) und „Eingewanderte Wörter. Von Anorak bis Zombie“ (Verlag DuMont).