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Kultur Terroristensymbol

Warum die RAF für ihr Logo eine Waffe des Klassenfeinds nutzte

Redakteur im Feuilleton
RAF Logo RAF Logo
Name, Waffe, Stern: Das Logo der RAF
Quelle: Abbildung aus Name Waffe Stern. Das Emblem der Roten Armee Fraktion/ Institut für Buchkunst, Leipzig
Viele tippen auf eine Kalaschnikow. Doch die RAF benutzte für ihr Emblem eine Waffe des Klassenfeinds. Warum nur? Grafikstudenten haben das Emblem untersucht – mit überraschenden Ergebnissen.

Gehen Terroristen gerne schwimmen? Wer in der alten Bundesrepublik sozialisiert wurde, stellte sich diese Frage schon als Kind. Das rot umrandete Fahndungsplakat mit den schwarz-weiß fotografierten Terroristenköpfen prangte am Eingang vieler öffentlicher Einrichtungen, so auch an Hallenbädern. Im Westdeutschland der 80er-Jahre konnten Kinder ihr Seepferdchen nicht unbehelligt von den Visagen des Linksextremismus machen. Die landauf, landab plakatierten Steckbriefposter gehören zum optischen Gedächtnis dieser Nation wie die uncool aufgenähten Freischwimmerzeichen auf den Badehosen.

Fahndungsplakat
Fahndungsplakat der Jahre 1970-72. Später folgen diverse Varianten
Quelle: Abbildung aus Name Waffe Stern. Das Emblem der Roten Armee Fraktion. Institut für Buchkunst, Leipzig

Rund 40 Jahre nach dem Deutschen Herbst und 20 Jahre, nachdem die Rote-Armee-Fraktion sich 1998 aufgelöst und ihr Logo letztmals selbst benutzt hat, haben drei Absolventen der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, Felix Holler, Jaroslaw Kubiak und Daniel Wittner, jetzt eine designhistorische und typografische Spurensicherung der RAF vorgenommen, die es so noch nie gab. Die Diplomarbeit mit dem Titel „Name, Waffe, Stern. Das Emblem der Roten Armee Fraktion“ ist als künstlerische Intervention im Deutschen Buch- und Schriftmuseum in Leipzig zu besichtigen. Vielleicht kommt diese designhistorische Wende in der RAF-Geschichtsschreibung nicht zufällig.

Einerseits leben wir in Zeiten, in denen von den Standardwerken zum Thema – allen voran „Der Baader-Meinhof-Komplex“ von Stefan Aust – alles gesagt scheint. Andererseits lässt sich beobachten, wie das RAF-Logo in Nachgeborenenkreisen offenbar ganz unaufgeklärt zur neuen Ikone einer ahistorischen Popkultur mutiert. Im Internet lassen sich T-Shirts mit dem RAF-Logo frei bestellen; in Juraforen wiederum wird diskutiert, ob das Tragen solcher T-Shirts tatsächlich straffrei sei. Ergebnis: offenbar ja. Vielleicht ein guter Zeitpunkt, das Erscheinungsbild der RAF zu historisieren und zu dekonstruieren.

Name, Waffe, Stern

Name, Waffe, Stern. Das klingt nach Hund, Katze, Maus – und wirft Fragen auf: Ist eine rein designhistorische Untersuchung des Phänomens nicht zu läppisch? Überheben sich angehende Mediengestalter hier am großen Thema Zeitgeschichte? Was auf den ersten Blick maßlos anmutet, entfaltet auf den zweiten Blick eine semiotische Sprengkraft eigenen Werts. Das Anliegen der Ausstellung ist eine zeichentheoretische Entzauberung der RAF. Danach lassen sich nicht nur die Mordtaten und Bombenanschläge der RAF als Gewalt lesen, sondern auch ihr kommunikatives Gewand: Da ist der militaristische Name („Armee“), da ist der (kommunistische) Klassenkampfstern mit den fünf Zacken, und da ist die automatische Waffe.

RAF-Rentner-Trio könnte sich im Ausland verstecken

Drei ehemalige RAF-Mitglieder leben seit Jahren im Untergrund. Nach mehreren Raubüberfallen fahndet das LKA Niedersachsen nun öffentlich nach den zwei Männern und der Frau. Erste Hinweise gingen schon ein.

Quelle: WELT/Jana Wochnik und Daniela Will

Die Ausstellung nimmt eine Art semiotische Hyperkritik der RAF in ihrer medialen Selbst- und Fremddarstellung vor. Sie dekonstruiert die Klassenkampfrhetorik der RAF in Wort und Bild. Ein von der Terrorgeschichtsschreibung lange übersehenes Detail ist zum Beispiel die Waffe auf dem RAF-Logo, das nach landläufiger Meinung eine Kalaschnikow zeigt. Tatsächlich, so Michael Sontheimer 2011 in der Zeitschrift „Cicero“ unter dem Titel „Die falsche Knarre der Terroristen“, „verriet die Wahl der Automatikwaffe für eine Gruppe mit militärischem Anspruch eine böse Bildungslücke.

Der Zeichner hatte als Vorlage nicht eine russische Kalaschnikow AK 47 verwendet, mit der Che Guevara, die vietnamesischen Kommunisten und andere Guerilleros in der Dritten Welt kämpften, sondern ausgerechnet eine Standardwaffe des Klassenfeindes: die bei der bundesdeutschen Polizei bis heute weitverbreitete MP 5 von Heckler & Koch.“

Kombo Sturmgewehr AK 47 (Kalaschnikow) Und Heckler & Koch MP 5 Abb. aus dem Buch „Name. Waffe. Stern. Das Emblem der Roten Armee Fraktion“
Oben: Das Sturmgewehr AK 47 (Kalaschnikow), unten die MP 5 von Heckler & Koch, die der Shilhouette im RAF-Emblem entspricht
Quelle: aus dem Buch Name Waffe Stern/Daniel Wittner, Felix Holler, Jaroslaw Kubiak

Ein solches Maß an zeichentheoretische Unbedarftheit unter militanten Ideologen erstaunt. „Die Revolutionäre hatten sich vertan“, schreibt Aust. Andere spinnen die Legenden fort. Nicht nur in der „Geschichte der RAF“ von Willi Winkler muss man sich nach wie vor auf einen „fünfzackigen Stern mit der Kalaschnikow“ gefasst machen, auch Anne Ameri-Siemens spricht in ihrem Buch „Ein Tag im Herbst“ (2017) von den „drei Buchstaben über einer Kalaschnikow und einem Stern“ (2017).

Und wenn Petra Terhoeven für die Buchreihe C.H. Beck Wissen schreibt, „dass die Knarre nicht die Kalaschnikow, sondern die Waffe der deutschen Wehrmacht, eine Heckler & Koch“ sei, ist dies historisch uninformiert. Die MP 5 wurde erst ab 1966 zur Standardwaffe aller westdeutschen Polizei- und Zolleinheiten.

Mit solchen Details kann die Ausstellung echte Aufklärung leisten, in anderen Themenfeldern – etwa der Wucht der Medienresonanz – kann und will sie der konventionellen Terrorgeschichtsschreibung keine Konkurrenz machen. Vielmehr erlauben sich die Studenten, Apartes und Aufschlussreiches zu beleuchten. Eine ziemlich seltsame Koinzidenz deutscher Terrorzellen liegt zum Beispiel darin, dass ihre Abkürzungen – von links wie von rechts – mit Kürzeln für Kraftfahrzeuge koinzidieren.

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RAF, das stand neben Royal Air Force auch für die Reichenberger Automobilfabrik im heutigen Liberec (Tschechien). NSU wiederum steht als Kürzel nicht nur für den Nationalsozialistischen Untergrund, sondern auch für eine bekannte Motorradmarke aus Neckarsulm.

Das sind natürlich eher assoziative Verbindungen, doch auch ihnen gibt die Leipziger Ausstellung ausdrücklich Raum. Thematisiert wird das komplette Zeichenreservoir rund um die Baader-Meinhof-Gruppe, von den kommunikativen Tatwerkzeugen der Bekenner- und Sympathisantenszene bis zur Medienberichterstattung. Das Ringen der Medien mit Begrifflichkeiten zum Beispiel.

Typografie des Terrors

„Nennen wir sie jetzt Gruppe oder Bande?“, war um 1970 eine virulente Frage, sobald der Name, den die RAF sich selbst gab, ab 1972 etabliert hatte. Die spezielle Zellentrakt-Architektur der JVA Stuttgart-Stammheim, die in Bernd Eichingers Kinoverfilmung des „Baader-Meinhof-Komplexes“ zu sehen war, ist in der Leipziger Ausstellung als Stellwandprinzip nachvollzogen.

Gibt es eine Terrortype? Diese Frage habe sie sich immer gestellt, erklärt Stephanie Jacobs, die Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums in Leipzig, im WELT-Gespräch. Tatsächlich transportiert ja schon die schiere Typografie etwas Tendenziöses, frei nach Marshall McLuhan: The medium is the message. Frakturschrift suggeriert bis heute irgendwie Rechtes und Reaktionäres (obwohl die Nazis die Fraktur 1941 sogar abgeschafft haben!). Bücher über das Phänomen der Reichsbürger spielen auf ihren Covern genauso mit Fraktur wie es Antifa-Satiren auf rechtsradikale Kreise tun.

Auffällig ist, wie multiplikationstechnisch primitiv, geradezu archaisch sich das RAF-Auftreten ausnimmt. Was die medialen Mittel angeht, befand man sich im vordigitalen Zeitalter. Texte waren damals noch mindestens so wichtig wie Bilder und wurden mit einer Rotaprint-Offsetdruckmaschine vervielfältigt. Gleichzeitig wurden aber auch Fotos des Entführungsopfers Hanns Martin Schleyer mit einer modernen Polaroid gemacht, des Weiteren nötigte die RAF Schleyer, in Videoaufnahmen an die von Kanzler Helmut Schmidt geführte Bundesregierung zu appellieren, ihn gegen elf inhaftierte RAF-Mitglieder der ersten Generation auszutauschen.

Es gibt wenig Anlass zu der Vermutung, dass die RAF, gäbe es sie heute noch, weniger zimperlich unterwegs wäre als die islamistische Terrormiliz IS, die ihre Propaganda- und sogar Enthauptungsvideos auf den sozialen Netzwerken postet.

Die Medienstrategien der Terroristen

Wahrscheinlich wäre es lohnenswert, das Thema Terrorismus einmal grundsätzlich – und eben ohne Relativierung – im Vergleich verschiedener Extremismuskulturen zu untersuchen, wie dies die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk in ihrem Buch „Terror“ (erschienen bei S. Fischer Wissenschaft, 2017) oder die Terrorismusforscherin Julia Ebner in ihrem Band „Wut“ (erschienen dieses Frühjahr bei Theiss) bereits im Ansatz vollzogen haben.

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Terrorismus ist, auf seine Weise und unabhängig von seiner Motivlage, immer eine Kommunikationsstrategie. Das ist für sich noch keine Erkenntnis, aber sehr wohl ein Anlass, die kommunikative Gemengelage als solche zu studieren.

Zeichen als Waffen. Zum Beispiel das Emblem der „Roten Armee Fraktion“. Deutsches Schrift- und Buchmuseum, Leipzig. Bis 6. Januar 2019.

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