ICONIST: Am 26. September starten die Rolling Stones ihre verschobene US-Tournee – mit dem Schlagzeuger Steve Jordan als Ersatz für den verstorbenen Charlie Watts. Sind die Stones ohne Watts für Sie überhaupt vorstellbar?
Wolfgang Niedecken: Ich war sehr traurig, als ich erfuhr, dass Charlie Watts gestorben ist. Und zugleich auch überrascht. Es war ja schon klar gewesen, dass er wegen eines operativen Eingriffs auf diesen Konzerten von Steve Jordan ersetzt werden würde. Dazu hatte er ja selbst eine kleine Nachricht publiziert: Er wäre jetzt vorübergehend gesundheitlich leicht aus dem Takt geraten, würde aber nach der Tour zu den Stones zurückkommen. Das habe ich erst mal für bare Münze genommen. Ich war sehr perplex, als ich von seinem Tod hörte. Ich mochte Charlie Watts sehr. Ich habe ihn nicht persönlich gekannt, hatte ihm nur Backstage einmal die Hand geschüttelt. Er war nicht nur das musikalische Rückgrat der Band, er war von den Stones auch der Bodenständigste. Keith Richards hat seine Riffs ja immer um die Beats von Charlie Watts herumgeschrieben. Seinen Nachfolger Steve Jordan habe ich 1992 in der Kölner Sporthalle erlebt, als er dort mit Richards und dessen Solo-Band The X-Pensive Winos spielte. Großartiges Konzert. Insofern mache ich mir da eigentlich keine Sorgen, was die anstehenden Konzerte betrifft.
ICONIST: Richards sagte oft, wenn Watts nicht mehr am Schlagzeug säße, wäre es mit den Rolling Stones vorbei. Sollte die Band nach dem Ende dieser Tournee mit Jordan weitermachen?
Niedecken: Darüber kann man geteilter Meinung sein. Es gibt Leute, die sagen: „Ohne Charlie Watts sind die Stones nicht mehr die Stones.“ Nur schätze ich Keith Richards so ein, dass er das live spielen und die Musik so sehr braucht wie die Luft zum Atmen. Und Steve Jordan ist ja ein langjähriger Kumpel von ihm. Als er zu Richards’ Soloband kam, sagte der ihm, er möge sich doch bitte an der Spielweise von Charlie Watts orientieren. Hat er dann auch hervorragend gemacht, damals 1992 in Köln.
ICONIST: Für Sie hat Jordan die Feuertaufe bei den Stones nach seinem Kölner Konzert also schon bestanden?
Niedecken: Es war ein tolles Konzert. Jordan hatte sogar zeitweise noch mit dem Bassisten das Instrument getauscht. Ich hatte noch ein wunderbares Erlebnis, als ich Keith Richards nach dem Konzert treffen durfte. Da stand er vor mir, noch verschwitzt, Mr. Rock ’n’ Roll persönlich, und wollte von mir, dem Kollegen, ganz genau wissen, wie ich das Konzert gefunden hätte. Er spürte an diesem Abend eine besondere Verantwortung, weil diesmal er im Vordergrund stand und nicht Mick Jagger. Und er war unglaublich stolz auf diese Band. Also: Ich würde mir wünschen, dass die Rolling Stones mit Steve Jordan weitermachen. Letztendlich müssen Richards und Jagger wissen, ob sie sich das vorstellen können. Geld genug haben sie sowieso. Ich glaube, dass keiner von ihnen so sehr an der Musik hängt, wie Keith Richards.
ICONIST: Die Tour in den USA könnte dennoch die letzte sein. Haben Sie sich schon ein Ticket besorgt?
Niedecken: Wenn sich da eine Möglichkeit böte, würde ich sie mir mit Sicherheit ansehen. Und, es stimmt schon: „This could be the last time, maybe the last time, I don’t know.“ Übrigens ein ganz tolles Lied von den Stones.
ICONIST: Sie haben mit BAP dreimal Stadion-Konzerte der Stones eröffnet, zweimal 1982, ein weiteres Mal 1998. Welches ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?
Niedecken: Das zweite Kölner Stadion-Konzert 1982. Da durften wir den Auftritt von einem Platz hinter dem Vorhang miterleben. Der Vorhang fiel zu der Musik von „Take The A-Train“, dann stürmten sie zu „Under my Thumb“ auf die Bühne. In dem Moment hinter der Bühne stehen, das wie ein Mäuschen beobachten zu können, zu erleben, wie sie sich sortierten, bevor der Vorhang fiel, wie Keith Richards nach links rauslief, Jagger in die andere Richtung und den „Jumping Jack“ gab – das war sagenhaft. Wahnsinn.
ICONIST: Irgendwas dazu gelernt bei einem dieser Auftritte?
Niedecken: Beim ersten Auftritt vor den Stones habe ich versucht, auch mal auf einem dieser langen Stege ins Publikum zu laufen und dabei gleichzeitig zu singen. Mein lieber Mann! Von da an hatte ich noch größeren Respekt vor Mick Jagger und seiner Fitness – wie er Laufen und Singen scheinbar mühelos in Einklang brachte. Ich selbst hatte nämlich große Mühe, auf diesem langen Steg überhaupt wieder laufend und singend zurückzukommen. Ich Idiot bin da einfach singend rausgelaufen und dachte, das klappt schon irgendwie. Normalerweise läuft man ja zu einer bestimmten Position und singt dann dort erst weiter. Mick Jagger machte das alles an einem Stück. Unfassbar. Und er macht es heute noch. Er ist ein Athlet.
Bis 21. November ist Niedecken solo unterwegs, liest und singt Songs von Bob Dylan, ab 26. März 2022 geht er wieder mit BAP auf Tournee. Mehr Infos unter bap.de.
Dieser Text ist Teil unserer Reihe „Small Talk“, in der wir kurze, gute Gespräche mit interessanten Menschen veröffentlichen.