Mitte Juni war es mal wieder so weit: Eine im wortwörtlichen Sinne hitzige Flip-Flop-Diskussion entbrannte. Die „New York Post“ teilte auf Instagram ein Video, in dem die 25-jährige Selena Audrey sich – und ihr Publikum – fragt, wie man in New York nur Flip-Flops tragen könne. Schließlich seien die Füße dann so nah am Boden und würden so dreckig, dass man auch gleich barfuß gehen könnte: „Ich kann das nicht.“
Das klingt durchaus vernünftig und nachvollziehbar. In der Kommentarspalte wird das aber ganz anders gesehen: Sie solle einfach feuchte Babytücher einpacken, um ihre Füße zu säubern, lautet ein Kommentar, ein anderer empfahl, sie könne ihre Füße doch zu Hause waschen, und viele sprechen ihr kurzerhand ab, eine „echte“ New Yorkerin zu sein. Laut „New York Post“ hatte die Verfasserin das Video zuvor von ihrer eigenen Seite entfernt, weil sie so viele Hasskommentare erhalten hatte.
So viel Aufregung um so wenig Material. Dünne Sohle, schmaler Steg zwischen den Zehen und zwei Riemen, aus mehr besteht ein klassischer Flip-Flop nicht. Umso leidenschaftlicher werfen seine Fans und Hasser einander Argumente für und wider den minimalistischen Sandalen-Ersatz an den Kopf: Man setze darin die Füße dem Schmutz der Straße aus, verursache bei jedem Schritt unangenehme Platsch-Geräusche, und der Gang jedes noch so anmutigen Menschen werde unweigerlich zum Schlurfen, so die Gegner.
Besonders robust seien die meisten Modelle auch nicht, wackelnde Zehenstege, wahlweise langsam ausbleichende oder immer schmutzigere Sohlen und sich lösenden Riemen seien unausweichlich. „Ich hasse Flip-Flops. So sehr. Und ihr könnt meine Meinung absolut nicht ändern“, lautete der Titel eines vor wenigen Jahren beim Magazin „Fashionista“ erschienen Abgesangs auf die Gummisandale. Das beliebteste Argument sorgt zuverlässig für besonders empörte Widerworte: Flip-Flops entblößen zu viel von dem, was niemand sehen möchte, nämlich fremde und allzu oft ungepflegte Füße.
Diese vehemente Ablehnung hält die andere Seite nicht davon ab, ihre Zehen um den schmalen Steg zu drapieren und die eigenen Füße in ihrer ganzen Pracht der Umwelt zu präsentieren. Zu luftig, zu bequem scheinen sie zu sein (auch wenn man sich angesichts des zwischen den Zehen schubbernden Stegs fragt, wie das sein kann), um nach einer etwas bedeckteren Alternative zu suchen.
Vermutlich mischen auch deshalb so viele Luxusmarken nur zu gern im Flip-Flop-Geschäft mit. Das 1962 gegründete brasilianische Unternehmen Havaianas brachte schon gemeinsam mit Missoni und Gucci limitierte Flip Flop-Kollektionen heraus, in diesem Jahr tat sich die Kultmarke für vier Modelle mit Dolce & Gabbana zusammen. Bei Chanel sind Flip-Flops Teil der Sommerkollektion; auch Miu Miu hat die zierlichen Treter im Sortiment, genau wie Proenza Schouler.
Schon ist von einem Comeback die Rede, dabei waren Flip-Flops weder jemals weg, noch ist ihre Entdeckung für den Laufsteg ein neues Phänomen: Der US-Designer Perry Ellis zeigte sie bereits 1980 an seinen Models, Jil Sander zog 1993, Calvin Klein 1996 nach. Michael Kors zeigte ebenfalls schon vor Jahren Flip-Flops auf dem Laufsteg. Ironischerweise findet man bis heute auch bei Tom Ford lederne Luxus-Flip-Flops. Aber unter Karl Lagerfelds Ägide gab es ab 2014 ja auch Chanel-Jogginghosen.
Praktischerweise gibt es berühmte Vorbilder: Barack Obama zeigte sich 2011 im Urlaub auf Hawaii mit Flip-Flops, ein Novum für einen US-Präsidenten. Immerhin legte er seinen viel beachteten Auftritt in einem Eisladen und nicht im Weißen Haus hin. Aber auch dort tauchten sie schon auf. Als 2005 ein Lacrosse-Team den damaligen Präsidenten Bush traf, erschienen einige der Spielerinnen mit Flip-Flops an den Füßen. Sogar Anna Wintour, die sonst in Stilfragen so strenge Chefin der „Vogue“, bekannte 2019, dass sie Flip-Flops liebe. Ob sie je damit gesichtet wurde, ist ungewiss.
Gewiss ist hingegen, dass Wintour den australischen Schauspieler und regelmäßigen Flip-Flop-Träger Chris Hemsworth Anfang Mai vor der Met-Gala in New York auf einen seiner ersten Auftritte überhaupt auf einem roten Teppich ansprach. Der damalige Nachwuchsstar erschien mit Flip-Flops zu zerrissenen Jeans und offenem Hemd, laut Hemsworth ein sehr durchdachter Look. Aber er ist eben Australier; in seiner Heimat sind die Schlappen akzeptiert. (Und vor allem ist er Chris Hemsworth.)
Wenige Wochen später schritt Jennifer Lawrence bei den Filmfestspielen von Cannes über die Stufen des Filmtheaters in roter Robe von Dior und schwarzen Flip-Flops. Angesichts der Aufregung über diese Kombination gab sich die Schauspielerin überrascht: Ihre eigentlich geplanten Schuhe seien schlicht zu groß gewesen und sie habe spontan eine Alternative gebraucht.
Flip-Flop-Fans können sehr empfindlich reagieren, wenn jemand ihre „Schuhe“ infrage stellt. Wann immer das mittlerweile sieben Jahre alte Video von Tom Ford in den sozialen Medien auftaucht, in dem der Designer erklärt, dass er Flip-Flops an Männern hasse – es sei denn, man habe die perfektesten Füße der Welt und befinde sich in einem Strand-Resort –, sammeln sich darunter zustimmende, aber auch empörte Kommentare: Seine Meinung sei irrelevant, heißt es da etwa, ein echter Mann würde sich mit anderen Dingen befassen, er habe gewiss einfach hässliche Füße.
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Das erinnert an die Reaktionen auf Karl Lagerfelds überstrapaziertes Jogginghosen-Bonmot. Je betont lässiger Kleidungsstücke und Schuhe sind, desto eher haben sie offenbar das Zeug dazu, Gegenstand regelrechter Glaubensfragen zu werden: Ist man nicht zu 100 Prozent für die Jogginghose oder eben Flip-Flops, ist man gegen sie. Die Opponenten werden nicht müde, ihre schon unzählige Male gehörte und gelesene Meinung noch ein weiteres Mal kundzutun – der schmale Grat (oder eben Zehensteg) zwischen lässig und nachlässig polarisiert einfach zu sehr.
Mode verändert sich, traditionelle Dresscodes verlieren zunehmend an Bedeutung. Was früher entspannten Tagen in den eigenen vier Wänden vorbehalten war, wird heute wie selbstverständlich auch in der Öffentlichkeit getragen. Natürlich kann man darauf beharren, dass Flip-Flops jenseits von Strand, Pool und Gemeinschaftsdusche keine Daseinsberechtigung haben, das wäre nur Ausdruck guten Geschmacks und gesunden Menschenverstandes. Aber beides fordert die Mode immer wieder heraus.
Auch deshalb konnten in den vergangenen Jahren sogenannte „Ugly Shoes“, also hässliche Schuhe, zu einer festen Größe an den Füßen dieser Welt werden: Deformiert wirkende Sneakers und bunt verzierte Crocs gelten längst nicht mehr als Geschmacksverirrung, sondern als Zeichen modischer Versiertheit. Das gilt immer mehr auch für Flip-Flops, ob man das nun gutheißt oder nicht. Die Zeit und Energie, sich über die Entblößung auf dünnen Sohlen aufzuregen, kann man auch sinnvoller nutzen. Für eine ausführliche Pediküre zum Beispiel. Die kann nämlich niemandem schaden.