Im Vorfeld der ersten offiziellen Gala des „Guide Michelin“ in Portugal gab es wilde Spekulationen um die Vergabe eines dritten Sterns. Auch am Abend selbst ist die Spannung im Auditorium des „Nau Salagados Palace Hotel“ bei Albufeira an der Algarve deutlich zu spüren. Doch dann versteckt Gwendal Poullennec, der aus Paris angereiste International Director des Restaurantführers, die eigentlich schlechte Nachricht in einer guten: „Ich freue mich, ihnen mitteilen zu können, dass alle portugiesischen Zwei-Sterne-Restaurants ihre Sterne behalten“, verkündet er freudig und bittet alle sieben Zwei-Sterne-Köche auf die Bühne, um dann mit Vitor Matos aus dem „Antiqvvm“ in Porto noch einen neuen Auszeichungsträger auf die Bühne zu holen. Zuvor sind vier Restaurants erstmals mit einem Stern ausgezeichnet worden, darunter zwei in Lissabon, eins in Funchal auf Madeira und ein weiteres in Santarém an den Ufern des Tejo.
Eigentlich ist das ein gutes Ergebnis für Portugal, das sich mehr und mehr zur Foodie-Destination entwickelt. Seine früher sehr rustikal ausgelegte Küche wird von einer nachwachsenden Generation an Köchen zeitgemäß interpretiert und mit neuen Kochtechniken auf ein deutlich höheres Niveau gehoben. Gleichzeitig tritt die in früheren Zeiten oft sehr französisch gepr��gte Kulinarik in den Grandhotels und Resorts in den Hintergrund. Portugal steckt mitten in einem Prozess der kulinarischen Emanzipation, in dem unter anderem die hohe Qualität der hier erhältlichen Meeresfrüchte und Fische und andere regionaltypische Zutaten eine neue Wertschätzung erfahren.
In den Sitzreihen ist dennoch Kopfschütteln zu beobachten. Denn wenn alle Köche ihre zwei Sterne behalten, bedeutet das auch, dass eine große Hoffnung der Portugiesen zumindest in diesem Jahr noch nicht in Erfüllung geht: Nämlich mit einem eigenen Drei-Sterne-Restaurant Anschluss an das große Nachbarland Spanien zu finden.
Bislang wurden die portugiesischen Restaurants in einem „Guide Michelin“ für die gesamte iberische Halbinsel geführt, die von Spanien dominiert wurde. Die Redaktion der Zwei-Länder-Ausgabe saß in Madrid; unter portugiesischen Köchen war die Ansicht deshalb weitverbreitet, sie würden vom großen Nachbarn kleingehalten und nicht die Anerkennung bekommen, die sie verdient haben. Der erste eigene Führer für Portugal wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, die vermeintliche Ungerechtigkeit zurechtzurücken. Geeignete Kandidaten hätte es einige gegeben. Hoch gehandelt wurde neben Henrique Sa Pessoa aus dem „Alma“ in Lissabon und Enrice Costa dem „Yeatman“ bei Porto auch der Österreicher Hans Neuner, der seit 17 Jahren nur einige Kilometer vom Geschehen des Abends entfernt im „Ocean“ kocht und mit seinen zwei Sternen mittlerweile auch international Beachtung findet.
Bei Neuner findet man eigentlich alles, was ein Drei-Sterne-Restaurant heute ausmacht: hoch filigrane Gerichte, die handwerkliches Können auf Spitzenniveau vorführen, eine Produktküche, die mit Fischen und Meeresfrüchten erster Güte hauptsächlich aus der Fülle des Ozeans schöpft, sowie ein stringentes und kohärentes Storytelling, dass sich auf die Spuren Vasco da Gamas und in die ehemaligen portugiesischen Kolonien begibt.
Sein Können hatte der Österreicher am Abend vor der Sterne-Verleihung mit einem beeindruckenden Menü unter Beweis gestellt, zu dem einige Vertreter der Presse vom portugiesischen Tourismusverband eingeladen worden waren. Einen glasig auf den Punkt gegarten feuerroten Carabinheiro kombinierte er gekonnt mit einer über Stunden eingekochten XO-Sauce und geräucherter Aubergine; das ohnehin schon intensiv schmeckende Fleisch einer gezupften Königskrabbe verstärkte er mit einer Miso-Mayonnaise und Imperial-Kaviar und servierte es in einer bronzenen Lotusblüte. Nach der Verleihung auf das Ergebnis der Vergabe angesprochen, gibt Neuner sich optimistisch und weist darauf hin, dass es in Spanien eine über 30 Jahre dauernde Entwicklung zur heutigen kulinarischen Größe gegeben habe und man Portugal noch Zeit geben müsse. Zum Vergleich zieht er Österreich heran, das auch nicht erwarten dürfe, in der für 2025 angekündigten Ausgabe des „Guide Michelin“ mit einem Sterneregen bedacht zu werden.
Henrique Sa Pessoa erklärt auf Nachfrage, dass es für die kulinarische Revolution im Land eines Generationswechsels bedürfe. In den oft traumhaft schön gelegenen Strandlokalen werden die Produkte aus dem Meer, darunter viele großartige Garnelen oder Fische, nach alter Tradition oft noch stark übergart. „Die Generation, die da am Herd steht, wird man nicht mehr ändern können“, erklärt Sa Pessoa, dafür gäbe es aber einen Nachwuchs, der Auslandsaufenthalte und Lehren in den wenigen modern ausgerichteten Lokalen des Landes absolviert habe und die portugiesische Küche in Zukunft prägen werde. „Alle Lokale, die an diesem Abend neu in den Führer aufgenommen wurden, sind Teil der neuen Generation“ erklärt der Koch, der neben seinem Restaurant in Lissabon auch Dependancen in Amsterdam, London und Macao betreibt.
Und tatsächlich gab es einige interessante Lokale zu entdecken, etwa das „OMA“ in Porto, das mit einem Bib Gourmand ausgezeichnet wurde, eine Kategorie unter dem Stern, die für anspruchsvolle Bistro-Küche zu vernünftigen Preisen steht. Chefkoch Louis Moreira hat zuvor in den jeweils mit zwei Sternen bewerteten Restaurants „Vila Joya“ von Dieter Koschina und im „The Yeatman“ gearbeitet, aber auch einige Zeit im „Lakeside“ in Hamburg. Im „OMA“ interpretiert er jetzt traditionelle Gerichte neu, beispielsweise eine Presa (ein klassischer Cut vom Nacken) vom iberischen Schwein mit Rippenreis.
Besonders hervorzuheben ist die Küche von João Oliveira aus dem „Vista“ in Portimão. Am Tag zuvor hatte der Sternekoch in einem neu gegründeten Amphoren-Weingut – auch ein Indiz für den kulinarischen Wandel in der Region – seine Version der traditionellen „Cataplana“ vorgeführt, einer Art Wokpfanne aus Kupfer mit verschließbarem Deckel, die nach dem Prinzip einer Tajine funktioniert und in der der gleichnamige Fischeintopf gegart wird.
Nach der Preisverleihung kocht er dann eine kleine Auswahl seiner stärksten Gerichte, darunter ein in Fett ausgebackenes Milchbrötchen, das er mit einem köstlichen Tatar aus gesalzenem Sepia sowie mit dessen Leber, Rogen, Paprika und Koriander füllt und mit einem marmorierten Carpaccio vom Sepiabauch und etwas Kaviar belegt. Oder ein aromatisches Ragout vom portugiesischen Hummer mit verschiedenen Muscheln und Austern: Mit einer grünen Soße aus Queller und Algen sorgt Oliveira für eine herbe Note, die perfekt zu den süßlichen Meeresfrüchten passt.
Angesichts solcher Vielfalt und Raffinesse dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Portugal sein erstes Drei-Sterne-Lokal bekommt. Vielleicht sollte man es dem „Guide Michelin“ auch zugutehalten, lieber vorsichtig zu agieren und Luft nach oben zu lassen, statt auf Sensationsmeldungen zu setzen.
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