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  4. Widerstand gegen NS-Propaganda: Kampf gegen Hass-Show 1942 in Berlin

Zweiter Weltkrieg Widerstand gegen NS-Propaganda

So bekämpften Hitler-Gegner die Hass-Show im Berliner Lustgarten

Die Propaganda-Ausstellung „Das Sowjet-Paradies“ sollte die antisowjetische Einstellung des Goebbels-Apparates greifbar machen. Im Mai 1942 gab es unabhängig voneinander zwei Widerstandsaktionen dagegen. Eine davon hatte mörderische Folgen.
Leitender Redakteur Geschichte
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Ein Blick in die Hetz-Ausstellung "Das Sowjet-Paradies". Dort legte der als Jude verfolgte Berliner Herbert Baum am 18. Mai 1942 Brandsätze
Quelle: Public Domain
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Feindbilder pflegen – das gehört gerade im Krieg zu den wesentlichen Aufgaben der Propaganda in jeder Diktatur. Im Frühjahr 1942 dauerte der Krieg gegen die Sowjetunion bereits mehr als ein Dreivierteljahr, ohne den verheißenen schnellen Sieg gebracht zu haben. Dafür stiegen die Verluste an toten und verwundeten Deutschen in ungeahnte Höhen. Also plante das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda eine gewaltige Aktion, um bei möglichst vielen Deutschen den Hass auf die „Untermenschen“ in Stalins Reich weiter zu verstärken.

Im Lustgarten, dem weitläufigen Platz zwischen Berliner Stadtschloss und Altem Museum auf der Museumsinsel, wurde eine Zeltstadt aufgestellt. Darin wurde auf der gewaltigen Fläche von 9000 Quadratmetern die Schau „Das Sowjet-Paradies“ gezeigt. Sie war als Wanderausstellung konzipiert, die in verschiedenen Städten gezeigt werden sollte, dafür die Zelte.

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Broschüre zur Wanderausstellung "Das Sowjet-Paradies" (1942)
Quelle: Public Domain

Vermeintlich originalgetreu waren Unterkünfte von „Untermenschen“ nachgebaut worden. Ein ganzes „Stadtviertel“ aus Kulissen wurde aufgestellt, einschließlich eines Kaufmannsladens, einer Arztpraxis und einer Fabrik, bestückt mit echten, beim Vormarsch erbeuteten Einrichtungsgegenständen, die äußerst ärmlich daherkamen. Eine aufwendige Installation stellte das 1939 fertiggestellte neue Opernhaus von Minsk einer „Wohnhöhle“ für gewöhnliche Sowjetbürger gegenüber.

In einem anderen Teil der Zeltstadt hingen überformatige Fotos von Kriegsgefangenen der Roten Armee von den Stangen, die das Stoffdach hielten. Sie waren so ausgewählt, dass dem Betrachter die von der Goebbels-Propaganda behauptete „rassische Minderwertigkeit“ der Slawen ins Auge sprang.

Plakate und Installationen in einem weiteren Raum sollten den „Drang der Roten Armee nach Westen“ illustrieren. Nach Mitteleuropa also, wogegen sich die Wehrmacht stemme. Ein klassisches Motiv für jede Diktatur, die ein Nachbarland überfällt: Man behauptet einfach, man verteidige auf fremdem Boden das eigene Land.

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Die Installation "Marterzellen der GPU" bildete zum Teil die Realität ab – ließ aber aus, dass Gestapo und Lager-SS weitgehend identische Foltermethoden nutzten
Quelle: Public Domain

In einem nachgebauten Kellergewölbe wurden die Foltermethoden der „jüdisch-bolschewistischen Geheimpolizei“ gezeigt. Texttafeln erläutern, auf die Angst vor diesen „Marterzellen“ sei zurückzuführen, dass die Soldaten der Roten Armee so ausdauernd gegen die Wehrmacht kämpften. Ob sich die Gestalter der Ausstellung vorher bei der SS informiert hatten, die ebenso grausame Folterzellen in allen größeren und vielen kleineren KZs betrieben, ist nicht überliefert.

Nicht fehlen durfte natürlich der Antisemitismus als Kernstück der NS-Ideologie. Gezeigt wurden „groteske Karikaturen von Juden, die wichtige Positionen in der ganzen Welt innehatten“. Manche Ausstellungsbesucher sollen „zu Tode erschrocken“ gewesen seien, andere habe das konzentrierte Propagandagift nicht weiter tangiert, hielt ein schwedischer Besucher seinen Eindruck fest.

Ein viertelstündiger „Dokumentarfilm“ verdichtete die Hetze noch einmal. Im Kommentar hieß es unter anderem: „Wo früher blühende Dörfer standen, herrscht heute das graue Elend der Kolchose. Hier lebt der russische Bauer als Arbeitssklave auf dem Boden, der ihm einst gehörte. Das Vieh verkommt in verfallenen Ställen. Das sind die verhängnisvollen Ergebnisse einer über zwanzigjährigen Blutherrschaft der jüdisch-bolschewistischen Terrorclique.“ Die Ausstellung geriet zu einem spektakulären Publikumserfolg: Innerhalb von nur sechs Wochen kamen 1,2 Millionen Berliner – meist gruppenweise organisiert von NS-Verbänden. Das Gedränge in den Zelten war gewaltig.

Inszenierung aus der Propagandaausstellung "Das Sowjetparadies" 1942 und einer der Klebezettel, den dort die Wioderstanbdsgruppe Rote Kapelle verteilte
Inszenierung aus der Propagandaausstellung "Das Sowjet-Paradies" 1942 und einer der Klebezettel, den die Widerstandsgruppe Rote Kapelle verteilte
Quelle: Public Domain

Jedoch löste die Schau auch Widerstandsaktionen in Berlin aus. Adam und Greta Kuckhoff, die beide zur später als „Rote Kapelle“ bekannten NS-Gegner-Gruppe um Harro Schulze-Boysen gehörten, besuchten „Das Sowjet-Paradies“ bald nach der Eröffnung mehrere Stunden lang. Beide waren angewidert von ihrer Primitivität und noch mehr von der zustimmenden Reaktion vieler Besucher.

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Ähnlich ging es anderen Mitgliedern dieser Gruppe. Sie überlegten, wie sie ein öffentliches Zeichen setzen könnten. Schulze-Boysen schlug vor, Zettel an Hauswände zu kleben, doch einige seiner Freunde waren dagegen – darunter Adam Kuckhoff, dem das Risiko unverhältnismäßig erschien. Doch die jüngeren Gruppenmitglieder setzen sich für die Aktion ein. Sie beschafften einen Satz Gummilettern, setzten aus den Buchstaben eine vierzeilige Botschaft zusammen und stempelten sie auf Hunderte kleiner Zettel: Ständige Ausstellung / DAS NAZI-PARADIES / Krieg – Hunger – Lüge – Gestapo / Wie lange noch?

Am 17. Mai 1942, einem Sonntag, begann die Aktion. Gegen 23 Uhr gingen insgesamt 18 Nazigegner paarweise los, um an verschiedenen viel frequentierten Stellen der Stadt ihre Zettel an Hauswände, Bäume und Litfaßsäulen zu kleben – am liebsten auf die zahlreichen Werbeplakate für die Propaganda-Ausstellung. Oft taten die Pärchen so, als würden sie an der Wand lehnen, um sich zu küssen, doch in Wirklichkeit war das nur die unauffälligste Methode, die Zettel verdeckt anzukleben.

Die totale Verdunkelung der Straßen zum Schutz vor Fliegerangriffen schützte sie zudem, dennoch stand Harro Schulze-Boysen bei manchen der Paare in Uniform und mit Dienstwaffe Schmiere. Nach wenigen Stunden waren Hunderte Zettel verteilt und wurden am folgenden Morgen von zahlreichen Berlinern gesehen. Konkrete Folgen hatte das zwar nicht – immerhin jedoch wurde auch keiner der NS-Gegner verhaftet.

Während die Klebeaktion noch lief, bereitete eine andere Widerstandsgruppe eine radikalere Aktion gegen die Ausstellung vor. Der junge Berliner Herbert Baum und mehrere seiner Freunde hatten, nachdem sie unauffällig ihre Judensterne abgelegt hatten, die Ausstellung besucht und waren genau wie die Kuckhoffs empört. Sie wollten etwas dagegen tun. Zuerst hatte Baum vor, in der Ausstellung Flugblätter „auftauchen“ zu lassen, doch schon bald erschien ihm das zu wenig. Er sagte seinen Freunden, dass „es am besten wäre, wenn wir die Ausstellung anzünden“.

Nicht alle waren seiner Meinung; manche fürchteten, dass diese Aktion scharfe Repressionen zur Folge haben würde. Dennoch entschieden sich elf junge Leute für einen Anschlag, darunter sieben, die als Juden ausgegrenzt waren. Zwei von ihnen bereiteten einfache Brandbomben vor, und am 18. Mai 1942 gingen Baum sowie ein halbes Dutzend Bekannte in die Ausstellung. Sie legten mehrere Bomben ab und konnten ungesehen entkommen.

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Jedoch löschte die Feuerwehr die kleinen Brandherde schnell. Zwar mussten die etwa 2000 abendlichen Besucher die Zeltstadt verlassen, aber viele von ihnen bekamen gar nicht mit, dass es einen Anschlag gegeben hatte. Nach dem ersten Bericht der Gestapo hatten gegen 20 Uhr mehrere Täter die Brandsätze gelegt. Zwei Flaschen mit Schwefelkohlenphosphor explodierten in einer nachgebauten Bauernhütte, dabei wurden elf Besucher leicht verletzt, die aber alle „ohne ärztliche Hilfe“ den Tatort verlassen konnten.

ADN-ZB-Link-10-2-82-hü-Berlin: Grabstelle von Herbert Baum auf dem Jüdischen Friedhof im Stadtbezirk Weißensee. Mehr als 9 Jahre leitete er eine antifaschistische Widerstandsgruppe und wurde am 11. Juni 1942 von den Nazis ermordet.
Grabstelle von Herbert Baum auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee
Quelle: Bundesarchiv Bild 183-1982-0210-310

Am späten Abend desselben Montags diktierte Joseph Goebbels seinem Sekretär: „Mir wird spät abends mitgeteilt, dass bei der Anti-Sowjet-Ausstellung in Berlin ein Brand, wahrscheinlich auf Sabotage zurückzuführen, ausgebrochen sei. Er kann gerade noch rechtzeitig gelöscht werden.“ Die Schäden wurden noch in derselben Nacht beseitigt, am nächsten Tag öffnete die Ausstellung wieder, Berlins Zeitungen berichteten mit keinem Wort über den Anschlag.

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Nach seinem Misslingen verhaftete die Gestapo binnen weniger Tagen die meisten Mitglieder der Gruppe um Baum und eines weiteren Freundeskreises junger Berliner Kommunisten. Insgesamt 28 der 54 Verhafteten wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Außerdem ließ Heinrich Himmler 250 weitere Berliner Juden erschießen, die rein gar nichts mit dem Anschlag zu tun hatten. Herbert Baum beging, vermutlich nach schweren Folterungen, am 10. Juni 1942 im Untersuchungsgefängnis Moabit Selbstmord.

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