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Zweiter Weltkrieg Stalingrad 1943

Warum 95 Prozent der Kriegsgefangenen starben

Von den 108.000 Soldaten der deutschen 6. Armee, die im Winter 1943 in Stalingrad kapituliert hatten, kehrten bis 1955 nur etwa 6000 zurück. Wie kam es zu diesen exorbitanten Verlusten?
Warum 95 Prozent der Kriegsgefangenen starben

Der zweite Blitzfeldzug, mit dem Hitler die Sowjetunion erobern wollte, endete in der Schlacht um Stalingrad. Fast 250.000 deutsche und verbündete Soldaten wurden von der Roten Armee eingekesselt.

Quelle: WELT/Christoph Hipp

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Die Erwartungshaltung war eindeutig: „Der Russe macht keine Gefangenen“, meinten viele deutsche Soldaten, die an der Ostfront kämpften. Diese Angst war eine Folge der ständigen rassistischen Propaganda, mit der die meist jungen Männer überschüttet wurden. Aber war vielleicht doch mehr dran?

Richtig ist: Von den mindestens 108.000 bis maximal etwa 130.000 Soldaten der Wehrmacht, die insgesamt während der Schlacht um Stalingrad in sowjetische Händen fielen, kehrten nur 5000 bis 6000 nach Deutschland und ��sterreich zurück, viele erst Mitte der 1950er-Jahre. Die Verlustquote betrug also etwa 95 Prozent – deutlich mehr als in jedem Gefecht.

ARCHIV - Deutsche Soldaten nach ihrer Kapitulation am 2. Februar 1943. 70 Jahre nach der erbarmungslosen Kesselschlacht von Stalingrad soll aus dem Gedenken an das blutigste Gefecht des Zweiten Weltkriegs ein Versöhnungsfest werden. Foto: dpa (zu dpa Themenpaket "Als die Erde Feuer atmete: 70 Jahre Schlacht von Stalingrad" vom 25.01.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Deutsche Soldaten nach ihrer Kapitulation im Nordkessel von Stalingrad am 2. Februar 1943
Quelle: picture alliance / dpa

Bedeutet das, dass die Rote Armee keine deutschen Gefangenen gemacht hat? Rüdiger Overmans, Militärhistoriker und bester Kenner sowohl des Spezialgebietes Verluste im Zweiten Weltkrieg als auch des Gesamtthemas, schreibt: „In kaum abzuschätzendem Ausmaß wurden deutsche Kriegsgefangene von sowjetischen Soldaten erschossen, sei es aus Wut oder Rache, sei es, um die Mühe eines Verwundetentransports zu sparen, sei es, um Verwundeten weitere Leiden zu ersparen, denen ohnehin nicht mehr zu helfen war.“

Darüber hinaus gab es auch Erschießungen von gesunden deutschen Gefangenen, in Einzelfällen ist sogar von niedrigen und mittleren Offizieren der klar kriegsrechtswidrige Befehl dokumentiert, „keine Gefangenen zu machen“. Dennoch, hält Overmans fest, „kann kein Zweifel bestehen, dass die Ermordung von Kriegsgefangenen nicht generelle Politik der UdSSR war“.

Wenn es also keine Mordweisung gegeben hat – wie kam es zu dem exorbitanten Verlust von 95 Prozent der in Stalingrad gefangen genommenen Deutschen? Das ist zumindest erklärungsbedürftig.

German prisoners of war captured during the battle of stalingrad, 1942 or 1943. (Photo by: Sovfoto/UIG via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Zerlumpt und ausgezehrt waren die Männer, die der Kesselschlacht lebend entronnen waren
Quelle: UIG via Getty Images

Sicher ist: Etwa 91.000 Wehrmachtsoldaten wurden in den Tagen nach dem Ende der Kesselschlacht als Kriegsgefangene gezählt. Zwischen 17.000 und 40.000 schafften es also nicht einmal mehr bis zur offiziellen Meldung.

Das hatte mehrere Gründe: Alle deutschen Soldaten waren nach acht Wochen im Kessel ohne hinreichende Versorgung mit Lebensmitteln ausgezehrt. Die ersten Hungertoten hatte es schon vor Weihnachten gegeben, es kam auch zu Fällen von Kannibalismus. Viele Soldaten wurden wohl auch von der irrealen Hoffnung am Leben erhalten, sie könnten noch befreit werden. Als sich das als Irrtum herausstellte, schwand der Überlebenswille.

Natürlich gab es auch einfach Verwundete, die noch in improvisierten Unterständen bis Ende Januar 1943 gelebt hatten, aber nicht mehr die Kraft hatten, in Gefangenschaft zu gehen. Quantifizieren kann das niemand, zumal auch nicht bekannt ist, wann genau wie viele Wehrmachtssoldaten sich ergeben haben – seit dem 22. Januar 1943, dem sowjetischen Durchbruch durch die letzten deutschen Linien, waren ungezählte Männer einfach überrannt worden. Entwaffnet und höchstens oberflächlich bewacht warteten sie die folgenden Tage auf das Ende der Schlacht.

German prisoners of war North-West of Stalingrad. (Photo by Hulton Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Die südwestliche Sowjetunion war im Februar und März 1943 eisig
Quelle: Getty Images

Warum überlebten aber auch von den 91.000 Mann, die tatsächlich in sowjetischem Gewahrsam ankamen, deutlich weniger als zehn Prozent? Die wichtigste Ursache war: Es gab keine vorbereiteten Lager, jedenfalls keine angemessenen. Tatsächlich hatte die Rote Armee wahrscheinlich im Januar 1943 zwei Auffanglager in der Nähe der umkämpften Stadt eingerichtet, Beketowka und Krasno-Armejsk.

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Doch das erste war lediglich ein von Zivilisten geräumtes und eingezäuntes Dorf, das zweite eine Ansammlung von Hallen, teilweise ohne Dächer, immer aber ohne Fenster und Türen. Sanitäre Einrichtungen für Zehntausende Männer gab es faktisch nicht, die Krankenstationen waren marginal eingerichtet, die Gebäude zu beheizen war meist unmöglich.

Mindestens sechs Fälle von Kannibalismus

Die Versorgung in den beiden Lagern war katastrophal. Aus Beketowka sind mindestens sechs weitere Fälle von Kannibalismus dokumentiert, wahrscheinlich war die Dunkelziffer weit höher.

Da auch die sowjetischen Wachsoldaten unterversorgt waren, wurde von den ohnehin unzureichenden Lebensmittellieferungen für die Gefangenen noch viel „abgezweigt“. Es soll in Krasno-Armejsk Militärärzte gegeben haben, die nur gegen Bezahlung behandelten, obwohl das natürlich gegen ihre dienstlichen, ärztlichen und menschlichen Pflichten verstieß: Doch einwandfrei dokumentieren lassen sich solche Berichte nicht.

Marching german prisoners of war towards the volga, january 1943, stalingrad. (Photo by: Sovfoto/UIG via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
In langen Kolonnen ging es in improvisierte Durchgangslager, die für viele zur Endstation wurden
Quelle: UIG via Getty Images

In beiden Lagern waren die Folgen gravierend: Allein in Beketowka starben bis Mitte Juni 1943 mehr als 27.000 Gefangene, deutlich mehr als die Hälfte aller Insassen, nach anderen Angaben sogar bis zu 42.000. Ähnlich war es wohl in Krasno-Armejsk, denn die Gesamttodesrate aller Stalingrad-Gefangenen lag in den ersten vier Monaten bei zwei Dritteln.

Das traf nicht nur einfache Soldaten: Von den 1800 deutschen Truppenoffizieren, die in einem ehemaligen Kloster in Jelabuga in Gefangenschaft saßen, kamen in dieser Zeit sogar fast drei Viertel um.

Anders war es mit den gefangen genommenen 22 deutschen Generälen. Von ihnen starben vier oder fünf (die Angaben schwanken) in sowjetischem Gewahrsam, die übrigen überlebten und kamen zwischen 1948 und 1955 frei.

1943 – Der große Rückzug

Nach der Niederlage von Stalingrad gerät die Wehrmacht an allen Fronten in die Defensive. Die letzte Großoffensive bei Kursk scheitert, die Alliierten landen auf Sizilien, Mussolini wird gestürzt.

Quelle: WELT

Im Frühjahr 1943 begann die sowjetische Verwaltung für Kriegsgefangene, die Deutschen aus Stalingrad aus den Auffanglagern zu verlegen. Sie kamen in spezielle Einrichtungen am Rande des Gulag-Komplexes oft in Sibirien und ähnlich unwirtlichen Gegenden. Nur wenige Männer verblieben in der Nähe von Stalingrad und wurden hier bei Aufräumungsarbeiten eingesetzt.

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Der Transport erfolgte meist in ungeheizten Waggons, Verpflegung gab es nur unregelmäßig. Die Folge war eine weitere Sterbewelle: Von 30.000 verlegten Gefangenen kam nur etwa die Hälfte in den neuen, dauerhaften Lagern an.

Eine merkliche Verbesserung trat erst ein, so Rüdiger Overmans, als ab Sommer 1943 US-Hilfslieferungen die Sowjetunion erreichten und zum Teil auch an deutsche Kriegsgefangene verteilt wurden. Zu diesem Zeitpunkt lebten aber wohl von den 91.000 Mann nur noch etwa 20.000. In der zweiten Jahreshälfte 1943 sollte die Gefangenenverwaltung 50.000 deutsche Soldaten als Arbeitskräfte abstellen – doch tatsächlich kamen nur 5200 arbeitsfähige Männer zusammen.

Eine Szene des Films "Hunde, wollt ihr ewig leben?" vom März 1959, in der die Hauptdarsteller Joachim Hansen (r) und Peter Carsten (l) als Kriegsgefangene auf dem Elendszug aus dem Inferno von Stalingrad in die Lager in Sibirien unterwegs sind. 90.000 Mann mussten so durch den eisigen Winter Russlands in eine dunkle Zukunft ziehen und nur 6000 kehrten nach Jahren in die Heimat zurück. Der Dokumentarfilm über den Untergang der 6. Armee in Stalingrad wird unter der Regie von Frank Wisbar gedreht. Er basiert auf dem gleichnamigen Roman und dem Bericht "Stalingrad bis zur letzten Patrone" sowie den "Gesammelten Briefen aus Stalingrad". Die Hauptrolle des Oberleutnants Wiese hat Joachim Hansen übernommen, den Feldmarschall Paulus spielt Wilhelm Borchert. +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
Die Gefangenen von Stalingrad waren lange ein prägender tragischer Teil des kollektiven deutschen Gedächtnisses – Szene aus dem Film „Hunde, wollt ihr ewig leben?“ von 1959
Quelle: picture-alliance/ dpa

Viele der in Stalingrad in Gewahrsam genommenen deutschen Soldaten behandelte die UdSSR nicht als normale Kriegsgefangene – diese wurden nach der interalliierten Konferenz von Moskau 1947 bis Ende 1948 entlassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die UdSSR bereits knapp 1,1 Millionen deutsche Soldaten entlassen, weitere rund 900.000 saßen noch in verschiedenen Lagern, 1,2 bis 1,3 Millionen waren bereits in sowjetischer Hand verstorben.

Doch die Überlebenden aus Stalingrad wurden vielfach als Kriegsverbrecher kategorisiert und weiter festgehalten, oft verurteilt durch sowjetische Militärgerichte. Das konnte tatsächlich Schuldige treffen, jedoch ebenso auch völlig Unschuldige. So gehörten 1955/56 mehrere Tausend, darunter eine ganze Reihe von Generälen, zu den Männern, deren Heimkehr Bundeskanzler Konrad Adenauer bei seinem Besuch in Moskau 1955 ausgehandelt hatte.

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Quelle: WELT

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