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Zweiter Weltkrieg Hunger in Stalingrad

„Dies ist mein letztes Lebenszeichen“

Hermann Görings Versprechen, die in Stalingrad Eingeschlossenen aus der Luft zu versorgen, erwies sich als illusorisch. Gekappte Rationen und Seuchen vernichteten im Januar 1943 die 6. Armee.

Manchmal bleibt nur noch Zynismus. „Seit Anfang Dezember macht die Armee ein Hungerexperiment großen Stils“, schrieb im Januar 1943 der Armeearzt Otto Renoldi an das Oberkommando der in Stalingrad eingeschlossenen deutschen 6. Armee: „Die damals festgesetzten, heute noch gültigen Portionssätze enthalten eine Nahrungsmenge, die knapp die Hälfte dessen beträgt, was der arbeitende Erwachsene braucht.“

Zwar seien die Soldaten in der Lage, das eine „begrenzte Zeit lang“ zu ertragen, ohne „ernste Schäden“ davonzutragen. „Beobachtungen aus der letzten Zeit zeigen aber, dass diese Zeitspanne für die Armee nunmehr erreicht ist.“

1943 – Der große Rückzug

Nach der Niederlage von Stalingrad gerät die Wehrmacht an allen Fronten in die Defensive. Die letzte Großoffensive bei Kursk scheitert, die Alliierten landen auf Sizilien, Mussolini wird gestürzt.

Quelle: WELT

Tatsächlich häuften sich seit Weihnachten 1942 unter den in Stalingrad Eingeschlossenen plötzliche Todesfälle ohne Feindeinwirkung. Sicher mehr als hundert Soldaten jeden Tag wachten aus unruhigem Schlaf in ungeheizten Quartieren nicht mehr auf, viele andere kippten einfach während ihrer Wache um und waren tot. Hepatitis, Ruhr und Typhus grassierten. Und Dr. Renoldi und seine Kollegen machten noch einen weiteren Grund für die plötzlichen Todesfälle aus: Fettfleisch aus Konservendosen, mit denen die militärische Führung der Truppe zusätzliche Kalorien zuführen wollte. Soldaten, die es aßen, bekamen eine Art Schock.

Die noch Lebenden hatten längst erkannt, dass ihr Ende bevorstand. Bei eisigen Temperaturen sowie theoretisch 200 Gramm Brot, 15 Gramm Fett und 40 Gramm künstlichem Honig am Tag (und sonst nichts) konnte sich selbst der einfältigste Soldat ausrechnen, dass er nicht mehr lange zu leben hatte.

In immer mehr Feldpostbriefen, abgeschickten und solchen, die im Kessel zurückblieben, mischten sich Mitte Januar 1943 düstere Todesahnungen. Ein junger Vater schrieb an seine Familie zum Beispiel: „Trauert und weint nicht um mich, wenn Ihr dieses mein letztes Lebenszeichen bekommt!“ In anderen Briefen dominierte (verständliches) Selbstmitleid: „Ich muss immer dort sein, wo es am schlechtesten ist, und anderen geht es immer annehmbarer!“

Viele fügten sich aber auch in ihr Schicksal: „Wie es jetzt auch sei, einmal geht die Zeit vorbei“, bemerkte ein Unteroffizier am 14. Januar 1943. Sechs Tage später notierte ein anderer Soldat: „Ich habe keine Angst vor dem, was kommt.“

„Mir schwebt nur noch ein Gedanke vor“

Manche der Eingeschlossenen klammerten sich an Propagandabotschaften – so schrieb ein Gefreiter noch am 17. Januar 1943 an seine Frau: „Liebe Käthe! Der Kampf um die Festung Stalingrad gehört zu den größten Heldentaten, die je von deutschen Soldaten geleistet wurden.“ Vielleicht sollte das aber auch nur Trost für die Lieben in der Heimat sein.

Andere suchten Kraft im Glauben. „Mir schwebt nur noch ein Gedanke vor“, schrieb ein junger Mann namens Erwin an seine Mutter und zitierte dann eine Zeile aus einem evangelischen Kirchenlied: „Was mir mein Gott hat zugedacht, das wird mir auch ins Haus gebracht.“

Vor der Zensur ihrer Feldpost hatten die Soldaten längst keinerlei Angst mehr. Sie war ohnehin immer nur stichprobenartig möglich, fand aber seit Mitte Dezember 1942 offenbar gar nicht mehr statt. Danach häuften sich in den Briefen die normalerweise streng untersagten zutreffenden Ortsangaben. Gewöhnlich durften Soldaten ihren Verwandten nicht mitteilen, wo sie eingesetzt waren – sie deuteten das höchstens an. Doch nun wurde offen berichtet, dass man in Stalingrad eingeschlossen sei. Angesichts des allen Männern im Kessel bevorstehenden Schicksals verlor die Drohung mit militärgerichtlichen Strafen jede abschreckende Wirkung.

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Tag für Tag verlor die 6. Armee, die laut Verpflegungsbericht am 22. Dezember 1942 noch etwa 250.000 Mann gezählt hatte (195.000 deutsche, gut 5000 rumänische und einige kroatische und italienische Soldaten sowie 50.000 russische Hilfswillige), knapp tausend Mann. Viele davon starben zwar an sowjetischen Kugeln oder Granaten. Aber nur, weil Hunger und Kälte sie apathisch gemacht hatten, sie nicht mehr reagieren konnten, wenn Rotarmisten einen der vielen Vorstöße unternahmen, mit denen sie den Kessel immer weiter zusammendrückten.

Ohne ausreichend Munition und Treibstoff hatten die deutschen Verbände dem nichts mehr entgegenzusetzen. Da half es nicht, dass die Armee immerhin noch über 426 leichte und 123 schwere Geschütze verfügte, außerdem über 130 Panzer und Sturmgeschütze: Da es die passenden Granaten entweder gar nicht mehr oder nur noch in viel zu geringer Zahl gab, waren diese Waffen wertlos.

Captured airplane of the german 'blue' division near stalingrad in december 1942. (Photo by: Sovfoto/UIG via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Eine Ju 52 bei Stalingrad. Jedes Flugzeug konnte gerade zwei Tonnen Material transportieren
Quelle: UIG via Getty Images

Die Versorgung aus der Luft, von Luftwaffenchef Hermann Göring vollmundig versprochen, gelang zu keinem Zeitpunkt. 700 Tonnen pro Tag hatte der Reichsmarschall versprochen. Mindestens 500 Tonnen Lebensmittel, Kraftstoff und Munition sowie allgemeine Ausrüstung sollten pro Tag eingeflogen werden. Kurz vor Weihnachten war die höchste Leistung während der gesamten Luftbrücke erreicht worden – mit gerade einmal 290 Tonnen.

Eine dreimotorige Junkers 52 konnte zwei Tonnen täglich transportieren, ein Heinkel-111-Bomber etwas weniger. Um 700 Tonnen zu befördern, hätten also täglich mehr als 350 Maschinen im Kessel landen müssen. Aber nur gut die Hälfte davon stand zur Verfügung. Zum Teil von unerfahrenen Mannschaften geflogen, musste die Luftwaffe hohe Verluste hinnehmen. Bis Ende Januar 1943 gingen fast 500 Maschinen verloren.

An manchen Tagen, zum Beispiel unmittelbar nach Weihnachten 1942 sowie am 2. und am 22. Januar 1943 kam der schlechten Witterung wegen kein Flugzeug durch. Durchschnittlich weniger als hundert Tonnen pro Tag wurden eingeflogen. Auf den beiden Feldflugplätzen Gumrak etwa 14 und Stalingradski zehn Kilometer westlich der Wolga kam es zu chaotischen Szenen.

German prisoners huddle with soldiers from other Axis satellite countries, against the sharp winds of the Russian winter, after the defeat ot the German Army at Stalingrad, February 1943. (Photo by Archive Farms/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Von Hunger und Entbehrungen gezeichnet: deutsche Soldaten Anfang Februar in Staliingrad
Quelle: Getty Images

„Am 17. Januar 1943 flog ich als Kettenführer mit Heinkel He-111 nach Gumrak“, berichtete Leutnant Spannbauer: „Ich lud die Verpflegung aus. Die vorbeikommende Truppe stürzte sich auf die ausgeladenen Brote und Konserven. Ein Versuch, mit der Waffe in der Hand die Soldaten zurückzudrängen, misslang.“ Wer unmittelbar vor dem Verhungern steht, hat keine Angst mehr davor, erschossen zu werden.

Fünf Tage später überrannte die Rote Armee den letzten Feldflugplatz, den die 6. Armee noch gehalten hatte. Nun konnte Verpflegung nur noch an Fallschirmen abgeworfen werden. Mit 3000 Kalorien pro Tag als absolutem Mindestbedarf rechnete Otto Renoldi für jeden einzelnen Soldaten. Das war, angesichts der Außentemperaturen und der Ausrüstung, die alle mit sich herumtragen mussten, sogar noch niedrig angesetzt.

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Mindestens 200 Tonnen Verpflegung hätten allein dafür jeden Tag eingeflogen werden müssen. Tatsächlich kam die Luftbrücke nach Stalingrad auf einen Durchschnitt von gerade einmal der Hälfte – einschließlich Kraftstoff und Munition. Die 6. Armee verhungert mehr, als dass sie militärisch geschlagen wurde.

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