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  4. Linksterrorismus: Meinhof „machte einen hilflosen Eindruck“

Deutscher Herbst Rote Armee Fraktion 1970

Auf die Stasi machte Urike Meinhof einen „mittelmäßigen Eindruck“

Am 17. August 1970 fuhr die gesuchte Terroristin Ulrike Meinhof nach Ost-Berlin. Sie suchte bei der SED Hilfe für den „Widerstand“ im Westen – und blitzte ab. Obwohl Stasi-Chef Erich Mielke das Gegenteil wollte.
Leitender Redakteur Geschichte
Fahndung der Stasi nach Ulrike Meinhof 1970 Fahndung der Stasi nach Ulrike Meinhof 1970
Das Fahndungsformular der Stasi für Ulrike Meinhof 1970
Quelle: BStU

Für die Grenzer war es Routine – auf den ersten Blick. Am Mittag des 17. August 1970, stand eine Frau Mitte dreißig vor dem Schalter „Einreise in die DDR“ im Ost-Berliner Grenzbahnhof Friedrichstraße. Sie legte einen französischen, auf den Namen Michèle Ray ausgestellten Pass vor.

Allerdings führte die angebliche Französin im SED-Staat unerlaubte Lektüre mit sich, nämlich die aktuelle Nummer des Magazins „Der Spiegel“ und eine Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Also wurde sie zunächst nicht durchgelassen, sondern genauer überprüft.

Ein Stasi-Mann notierte, die Frau mache „einen mittelmäßigen Eindruck“, spreche aber „gut deutsch“. Ob sie ihre angebliche Muttersprache beherrschte, überprüfte der Geheimdienstler nicht – dabei war derlei bei verdächtig gut deutsch sprechenden Ausländern eigentlich vorgesehen, und sei es nur durch eine hingeworfene, auswendig gelernte Floskel.

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Diesen Vermerk fertigte Erich Rau nach Meinhofs Besuch im FDJ-Zentralrat an
Quelle: BStU

Über ihre Behandlung zeigte sich die angebliche „Michèle Ray“, wie es im Stasi-Vermerk heißt, „etwas erbost“. So etwas reichte normalerweise schon aus, um die Einreise zu versagen. Nicht jedoch in diesem Fall. Die beiden verbotenen West-Blätter wurden eingezogen, dann durfte die angebliche Französin die DDR betreten.

Tatsächlich war der vorgelegte Pass nicht für sie ausgestellt worden. Die Frau Mitte dreißig war nicht die französische Journalistin Michèle Ray, sondern die deutsche Linksextremistin Ulrike Meinhof. Seit dem 14. Mai 1970 war sie untergetaucht, nach der gewaltsamen Befreiung des Kleinkriminellen und Anarchisten Andreas Baader, die sie durch die angebliche gemeinsame Arbeit an einem fingierten Buchprojekt des Wagenbach-Verlages ermöglicht hatte.

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Meinhof wollte Hilfe für den "Widerstand im Westen"
Quelle: BStU

Inzwischen war sie von der mehrwöchigen Ausbildung in einem palästinensischem Terror-Lager in Jordanien nach Berlin zurück gekommen. Die Stasi hatte ihren falschen Pass und den ihrer Begleiter, darunter neben Baader auch Horst Mahler und Gudrun Ensslin, wohlwollend ignoriert – obwohl die ostdeutsche Geheimpolizei natürlich wusste, dass nach Meinhof in West-Berlin mit Hochdruck gefahndet wurde.

Weit hatte die vermeintliche Michèle Ray es in Ost-Berlin nicht: Vom Ausgang für „Einreisende in die DDR“ an der Georgenstraße musste Meinhof gerade einmal 500 Meter weit gehen. Denn ihr Ziel war das Gebäude des Zentralrates der SED-Organisation Freien Deutsche Jugend (FDJ) am Boulevard Unter den Linden.

An der Pforte dort verlangte sie, einen „hochrangigen Genossen“ zu sprechen, möglichst Günther Jahn, den FDJ-Chef. Als der Wachmann sie nach ihrem Namen fragte, wich sie aus. Sie komme aus West-Berlin, und es gehe um eine dringende vertrauliche Angelegenheit.

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Die letzte Seite von Erich Raus Vermerk
Quelle: BStU

Dann betrieb die Frau Name-dropping: Wenn man sie nicht vorlasse, werde sie zu Albert Norden oder Werner Lamberz gehen. Zu einem Mitglied oder zu einem Kandidaten des SED-Politbüros also, der höchsten Machtinstanz in der DDR. Meinhof kannte beide tatsächlich aus der Zeit, als sie noch für die linksradikale Hamburger Illustrierte „Konkret“ tätig gewesen war, die wesentlich von der DDR finanziert worden war.

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Die Männer an der Pforte des FDJ-Zentralrates wurden nervös. Sie telefonierten hektisch und boten der Besucherin schließlich an, sie könne mit dem Sekretär des Zentralrates der FDJ Erich Rau sprechen. In dessen Zuständigkeit fielen Kontakte mit West-Berliner Linksradikalen.

Angekommen in seinem Büro, stellte sich die Besucherin vor: „Guten Tag, mein Name ist Ulrike Meinhof.“ Sie wolle „mit Genossen, mit denen man eine politische Diskussion führen kann, in Verbindung“ gebracht werden. Es gehe ihr um einen „Meinungsaustausch über die Organisierung des Widerstandes“ in West-Berlin. Keinesfalls, betonte Meinhof sicherheitshalber, wolle sie die FDJ durch „illegale Geschichten im Ausland belasten“.

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Hinweis der Stasi: Rau wurde "abgeschöpft"
Quelle: BStU

Erich Rau blieb vorsichtig. „Widerstand in West-Berlin“ zu organisieren könne nicht die Sache der DDR sein, antwortete der FDJ-Funktionär. Es sei unklug gewesen, zum Zentralrat zu kommen, denn die FDJ könne „kein Partner“ für sie sein.

Die Vorsicht war berechtigt. Immerhin standen die politischen Signale seit dem Regierungswechsel in Bonn im Herbst 1969 auf Entspannung zwischen Ost und West. Rau notierte, seinem Eindruck nach habe Meinhof „einen Ausweg aus ihrer prekären Lage“ gesucht: „Sie machte einen hilflosen Eindruck.“

Schließlich schlug Rau vor, er werde seine „Genossen informieren“. Meinhof möge doch am folgenden Tag wieder vorbei kommen. „Sie erklärte dann, dass sie am 18. August 1970 gegen 10.30 Uhr wieder vorsprechen wolle“, hielt Rau in einer Aktennotiz fest, die in die Stasi-Akten wanderte. Nach 20 Minuten beendete der FDJ-Mann das Gespräch.

circa 1972: Two photographs of Ulrike Meinhof (1934 - 1976), co-leader of the terrorist Baader-Meinhof group and the most wanted woman in West Germany before her arrest in June 1972. (Photo by Keystone/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Ulrike Meinhof auf zwei Fotos von 1969 und 1970/71
Quelle: Getty Images

Doch als Ulrike Meinhof anderntags wieder nach Ost-Berlin einreisen wollte, wurde ihr das verweigert – weil ihre Papiere ohne Zweifel falsch waren. „Die M. wurde daraufhin auf Weisung des Leiters Passkontrolle sofort in Einreisesperre gestellt“, heißt es im entsprechenden Stasi-Papier: „Der Fahndungsauftrag enthielt den Text ,Die genannte Person ist auf Weisung des Genossen Minister in Einreisesperre zu stellen’.“

Nur zwei Tage später, am 20. August 1970, widerrief Stasi-Chef Erich Mielke diese Sperre und wies die Passkontrolleure stattdessen an: „Der M. ist beim Erscheinen an der Grenzübergangsstelle die Einreise zu gestatten“, selbst wenn sie „einen französischen oder anderen ausländischen Pass“ vorweise.

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Doch es war zu spät: Nach der doppelten Zurückweisung durch den FDJ-Funktionär Rau und die Stasi-Leute am Bahnhof Berlin-Friedrichstraße wollte Ulrike Meinhof die „Organisierung des Widerstandes“ fortan ohne die Hilfe der DDR vorantreiben.

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