Das Opfer ahnte sein bevorstehendes Ende: „Falls ich sterbe durch die Kugel eines Wahnsinnigen, kann ich mit einem Lächeln sterben“, sagte Mahatma Gandhi tröstend zu Vertrauten. Nur zwei Tage später, am 30. Januar 1948, war es so weit: Drei Kugeln trafen den spirituellen Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, der als personifizierter Pazifismus das Britische Weltreich zum Einlenken gebracht hatte.
Der Attentäter war Inder wie Gandhi selbst, Hindu wie er. Gerade deshalb wollten Nathuram Godse und seine Mitverschwörer ihn bestrafen. Weil er als Hindu Millionen andere Hindus ins Unglück gestürzt habe und weil er gegenüber den Anhängern der anderen großen Religion auf dem indischen Subkontinent, den Muslimen, zu tolerant sei.
In der Tat predigte Gandhi, der eigentlich Mohandas Karamchand hieß und am 2. Oktober 1869 als letztes von vier Kindern des Premierministers des Fürstenstaats Porbandar auf der Halbinsel Gujarat geboren worden war, Toleranz und Gewaltlosigkeit. Er hatte als Mitglied der indischen Oberschicht in London Jura studiert und anschließend eine Karriere als Rechtsanwalt begonnen, erst in seiner Heimat, dann in Südafrika. Doch schon hier wurde er zum politischen Aktivisten, zunächst für die Rechte der indischen Minderheit in der britischen Kolonie Südafrika.
1914 kehrte er nach Indien zurück und begann seinen friedlichen Einsatz für die Unabhängigkeit Indiens. In den folgenden gut drei Jahrzehnten setzte er seine Ziele vielfach durch – immer wieder auch mit dem Mittel des rituellen Fastens. Gandhi wollte trotz seiner tiefen religiösen Überzeugung ein einiges, säkulares Indien – und nicht zwei Staaten, ein hinduistisches Indien und ein muslimisches Pakistan. Doch genau dazu kam es 1947.
Es folgten Vertreibungen in beide Richtungen; insgesamt etwa 20 Millionen Menschen mussten ihre Heimat verlassen. Und es gab Ausschreitungen gegen Minderheiten bis hin zu Massenmorden; die Schätzungen über die Opferzahl schwanken zwischen 200.000 und einer Million. Erst Mitte Januar 1948 konnte Gandhi mit fünf Tagen öffentlichen Hungerns das Ende antimuslimischer Ausschreitungen in Indien erzwingen.
Doch damit machte er sich eine Gruppe besonders radikaler Hindu-Nationalisten zu Todfeinden, allen voran Nathuram Godse (1910–1949), einem Mitglied der radikalen „Gesamtindischen Hindu-Großversammlung“. Gandhi sei, sagte er in seinem Prozess, ein „gewalttätiger Pazifist“ gewesen, der im Namen von Wahrheit und Gewaltlosigkeit unaussprechlichen Schaden über Indien gebracht habe.
„Die gesammelten Provokationen von 32 Jahren, die in seinem letzten Fasten zugunsten der Muslime gipfelten, brachten mich schließlich zur Überzeugung, dass Gandhis Existenz so schnell wie möglich beendet werden musste“, rechtfertigte sich Godse vor Gericht. Dennoch bekam er die Höchststrafe und wurde am 15. November 1949 hingerichtet.
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Gandhi selbst wäre mit diesem Urteil wohl nicht einverstanden gewesen – das sagten jedenfalls zwei seiner Söhne. Denn er war stets ein strikter Gegner der Todesstrafe. Durch das Attentat jedenfalls wurde der Prophet der Gewaltlosigkeit endgültig unsterblich. Bis heute gilt der 30. Januar in Indien als einer der höchsten Gedenktage des Jahres, und rund um die Welt wird Gandhi für seinen friedlichen Kampf bewundert.
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Dieser Artikel wurde erstmals im Januar 2021 veröffentlicht.