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Geschichte „Führer und Verführer“

Was Goebbels an Hitler brauchte – und was umgekehrt

Der Regisseur Joachim A. Lang und der Produzent Michael Souvignier wagen sich an das Verhältnis des NSDAP-Chefs und seines wichtigsten Propagandisten. Ihr Spielfilm bietet viele Anknüpfungspunkte, um vermeintliche Gewissheiten infrage zu stellen.
Leitender Redakteur Geschichte
Führer und Reichskanzler Adolf Hitler, Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels, Tochter Helga Führer und Reichskanzler Adolf Hitler, Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels, Tochter Helga
Adolf Hitler lässt sich von Joseph Goebbels dessen älteste Tochter Helga zeigen
Quelle: picture alliance / arkivi
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Wer an den Redner Adolf Hitler denkt, hat in der Regel einen Schreihals vor Augen. Einen Mann, dessen Stimme sich überschlägt, der wild gestikuliert und kaum einen logischen Satz über die Lippen bringt. Geprägt haben diese verbreitete Sicht unzählige TV-Dokumentationen, die auf immer dieselben Ausschnitte aus historischen Wochenschau-Aufnahmen zurückgreifen.

Doch es handelt sich um ein Zerrbild – und zwar keineswegs aus bösem Willen: Die Filmemacher folgen einfach unbewusst den eigenen Vorurteilen, die wiederum von (älteren) Dokumentationen beeinflusst sind. Beim „Schreihals“ Hitler handelt es sich um einen seit Jahrzehnten fortgeschriebenen Folgefehler.

Der zudem tief greifende Folgen für das Geschichtsverständnis hat. Wie konnten erst tausende Menschen in München, dann Hunderttausende in Bayern, schließlich viele Millionen in ganz Deutschland auf so jemanden wie den schreienden NSDAP-„Führer“ hereinfallen? Die Antwort ist einfach: Weil Hitler in seinen Reden eben keineswegs ständig schrie, sondern im Gegenteil meist genau den Ton traf, der seine Zuhörer ansprach.

Szenenbild aus "Führer und Verführer"
Szenenbild aus „Führer und Verführer“: Goebbels und Hitler sichten einen Propagandafilm
Quelle: Zeitsprung Pictures / SWR

Der durchschlagende Erfolg der NS-Propaganda bis in den Untergang hinein ist eines der letzten großen Rätsel der Zeitgeschichtsforschung. Regisseur Joachim A. Lang und Produzent Michael Souvignier haben sich jetzt in „Führer und Verführer“ eines zentralen Aspekts angenommen: Im Mittelpunkt ihres Spielfilms (an sich ein ungewohntes Genre für historische Aufklärung) steht die Beziehung von Hitler zu seinem Chefpropagandisten Joseph Goebbels – und umgekehrt.

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Die Voraussetzungen dafür sind paradoxerweise gut wie schlecht zugleich. Gut, denn es gibt mit den Goebbels-Tagebücher (die freilich genau das nicht sind: Tagebücher im eigentlichen Sinne) ein kaum überschaubares Quellenkonvolut, das zudem von zwei kompetenten Historikern, Ralf-Georg Reuth und Peter Longerich, in ihren Goebbels-Biografien aus unterschiedlichen Perspektiven bereits erschlossen worden ist. Schlecht, weil von den Akten des Reichspropagandaministeriums nur Fragmente erhalten geblieben sind und es auch von Hitler selbst kaum verlässliche Zeugnisse gibt.

Um sich der Wirklichkeit der NS-Propaganda mit ihren beiden fraglos besten Rednern Hitler und Goebbels zu nähern, bleibt also nur der persönliche Zugang – mit anderen Worten: „Führer und Verführer“. Wie war das Verhältnis der beiden zueinander? War der eine das Geschöpf des anderen? Verdankte Goebbels seine Position im Dritten Reich, in dem er zusammen mit Hermann Göring, SS-Chef Heinrich Himmler, dem Architekten Albert Speer und dem Sekretär Martin Bormann die engste Führung bildete, Hitler – oder war es umgekehrt der „Führer“, dessen Mythos Goebbels geschaffen hatte?

Hitler, Adolf Politiker (NSDAP). Braunau 20.4.1889 – (Selbstmord) Berlin 30.4.1945. Hitler, mit Hundepeitsche, im Gespräch mit Goebbels. Foto, undatiert.
Der „Führer“ und der „Doktor“: Hitler im Gespräch mit Goebbels
Quelle: picture alliance / akg-images

Insgesamt 6783 mit der Hand beschriebene Blätter in 23 Kladden für die Jahre 1923 bis 1941 und 34.906 in großen Typen getippte Seiten fast täglicher Diktate 1941 bis 1945 bilden Goebbels’ (fraglos echte und bis auf die letzten drei Wochen auch weitgehend komplette) Tagebücher. Dieses Material ist die wesentliche Grundlage, um sich Antworten auf diese Fragen zu nähern, sei es in „Führer und Verführer“ oder mit konventionellen geschichtswissenschaftlichen Methoden.

„Goebbels ging es als Autor und Chefpropagandist des Dritten Reiches vor allem darum, einen Spiegel aufzustellen, in dem er sich selbst überlebensgroß sah“, urteilte Peter Longerich in seiner 2010 erschienenen Biografie: „Da ihm inneres Gleichgewicht wie äußere Sicherheit fehlten und er seiner Wirkung auf andere zutiefst misstraute, bedurfte er der ständigen Bestätigung, dass das großartige Bild im Spiegel tatsächlich ihn selbst, Joseph Goebbels, darstellte.“

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Er war ein Narziss von fremden, nämlich von Hitlers Gnaden, um dessen Gunst er seit 1925 warb, der ihn aber manchmal auch vor den Kopf stieß und den er umgekehrt in seinem Sinne zu beeinflussen suchte. Genau diese komplexe wechselseitige Beziehung setzt der Film „Führer und Verführer“ in Kinobilder um.

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Im Gegensatz zur Einschätzung der Zeitgenossen und der ersten Nachkriegsjahrzehnte war der Propagandist Goebbels alles andere als ein Opportunist. Im Gegenteil teilte er die Grundüberzeugungen der Hitlerbewegung, hasste Demokratie, Kapitalismus, Bürgertum – und natürlich alles Jüdische. Sein Ideal war ein „nationaler Sozialismus“, in dem ihm allerdings seiner Meinung nach eine materiell und sozial ausgesprochen herausgehobene Stellung zustand.

Wer sich mit Goebbels beschäftigt, muss den tatsächlichen Charakter seiner fast täglichen Notizen und Diktate verstehen. Der Begriff Tagebücher suggeriert, es handele sich um subjektiv ehrliche Aufzeichnungen. In Wirklichkeit aber verband Goebbels von Beginn an propagandistische Ziele damit – freilich wechselten im Laufe der Jahre die Adressaten.

Bis etwa 1929/30 standen Selbstvergewisserung und Stärkung des eigenen Selbstbewusstseins im Mittelpunkt der Aufzeichnungen. Oft notierte er beispielsweise in der frühen Zeit als Berliner Gauleiter der NSDAP (seit November 1926), wie großartig die eine oder andere seiner öffentlichen Reden aufgenommen worden sei – auch dann, wenn sich aus Artikeln seriöser Zeitungen oder Polizeiberichten das Gegenteil rekonstruieren lässt.

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Als die NSDAP 1929 mit großen Stimmenzuwächsen bei Landtags- oder Kommunalwahlen unter anderem in Sachsen, Preußen und Hessen ihren Aufstieg zur stärksten Partei Deutschlands begann, änderte sich die Stoßrichtung von Goebbels’ Aufzeichnungen zunächst unmerklich, dann immer deutlicher: Sie wurden nun zu Materialsammlungen für künftige Propagandatexte. Wahrscheinlich geschah das im Zusammenhang mit der Umarbeitung seiner Aufzeichnungen von 1926/27 für das Buch „Kampf um Berlin“.

Nach dem Erfolg seines Bandes „Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei“ über die Machtübernahme der NSDAP 1932/33 (erschienen erstmals 1934) hatte Goebbels vor, seine Aufzeichnungen postum publizieren zu lassen. 1936 notiert er: „Ich verkaufe Amann meine Tagebücher. 20 Jahre nach meinem Tode zu veröffentlichen.“ Ausgerechnet mit dem NSDAP-Verlagschef, immerhin einem großen Gegenspieler in der Pressepolitik des Dritten Reiches und Konkurrenten um die Gunst Hitlers, dessen Privatvermögen Amann verwaltete, schloss der Propagandaminister einen äußerst üppig dotierten Vertrag: sofort 250.000 Reichsmark (nach Kaufkraft umgerechnet etwa sechs Millionen Euro) und danach jährlich 100.000 Reichsmark: So eigennützig durfte der „nationale Sozialismus“ schon sein.

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Bis weit ins Jahr 1944 blieben Goebbels‘ tägliche Diktate überwiegend Vorarbeiten zu propagandistischen Zwecken. Erst in den letzten Monaten des Krieges rückt in den häufig mehrere Dutzend Seiten langen Transkripten wieder ein anderer Adressat in den Mittelpunkt: Goebbels selbst, der sich angesichts der verheerenden Lage an allen Fronten selbst Mut zusprach.

Andererseits Hitler. Der „Führer“ beherrschte zwar instinktiv jene Rhetorik, die bei seinen Anhängern ankam; dazu benötigte er Goebbels nicht. Jedoch war er zugleich zumindest emotional abhängig von großen Inszenierungen, die ihm der klein gewachsene „Doktor“ (so seine übliche Anrede nach den Schilderungen zahlreiche Zeitzeugen) bot.

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Als Großbritanniens Premier Neville Chamberlain mit dem Einknicken bei der Münchner Konferenz 1938 Hitlers herbeigesehnten Krieg noch einmal abgewendet hatte und dafür auch noch auf dem Weg zum Flughafen von der deutschen Bevölkerung gefeiert wurde, herrschte dicke Luft in der NS-Führung. Die sich erst auflöste, als das Regime mit den „Zerschlagung der Resttschechei“ im März 1939 der Welt signalisierte, dass man jeden, aber auch wirklich jeden Vertrag brechen würde, wenn es nur den eigenen kurzfristigen Zielen nutzte.

„Führer und Verführer“ bietet viele Anknüpfungspunkte, um vermeintliche Gewissheiten und Vorurteile über das Dritte Reich im Allgemeinen und seine Propaganda im Besonderen infrage zu stellen. Das ist für einen Spielfilm beeindruckend, denn seine Reichweite ist natürlich um ein Vielfaches höher als die von wissenschaftlichen Studien. Relativiert wird dabei nichts: Je genauer man hinschaut, desto düsterer wird das Bild.

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