Über Geschmack soll man bekanntlich nicht streiten. Vermutlich war es auch kein ästhetisches Bekenntnis, das Konrad Adenauer bewegte, ausgerechnet das ausladende neogotische Tintenfass aus dem Kölner Ratssilber auf den Tisch in der Aula der Pädagogischen Akademie in Bonn stellen zu lassen.
Genau hier, an diesem Tisch, fand am 23. Mai 1949 der formale Gründungsakt der Bundesrepublik Deutschland statt: Adenauer als Präsident der verfassungsgebenden Versammlung, seine Stellvertreter und Schriftführer sowie die übrigen Mitglieder, ferner die Vertreter der Länder unterzeichneten die Urschrift des Grundgesetzes. 88 Unterschriften waren es am Ende.
Begonnen hatte der Festakt um 16 Uhr mit der Fantasie in c-Moll von Johann Sebastian Bach. In seiner Ansprache sagte Adenauer: „Heute, am 23. Mai, beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte unseres Volkes. Heute wird nach Unterzeichnung und Verkündung des Grundgesetzes die Bundesrepublik Deutschland in die Geschichte eintreten.“
Dann bat er die Mitglieder des Parlamentarischen Rates um ihre Unterschriften; WELT berichtete: „Im Kreuzfeuer der Kameras der Bildberichterstatter unterzeichnete als Erster der 73-jährige Adenauer, der einen einfachen schwarzen Anzug mit grauem Binder trug.“ Und auf praktisch jedem Foto waren die beiden glänzenden Engel des Tintenfasses zu sehen – auch wenn es gar nicht notwendig war, denn für die Unterschriften lagen Füllfederhalter der Marke Soennecken bereit.
Vermutlich ging es dem früheren Kölner Oberbürgermeister Adenauer (im Amt 1917 bis 1933) darum, in der Gründungszeremonie der neuen Republik ein selbstbewusstes Statement zu setzen – nach dem Kölner Motto „Da simmer dabei, dat is prima!“ Das jedenfalls vermutet Rita Wagner, die langjährige Leiterin der Grafikabteilung am Kölner Stadtmuseum, zu dessen Bestand das Prunkstück zählt, das an die Dauerausstellung im Bonner Haus der Geschichte ausgeliehen ist. Die Bundesrepublik des Jahres 1949 war eine rheinische Republik und sollte es nach Adenauers Willen sein.
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Quelle: N24 Doku
Das historische Ratssilber der Reichsstadt Köln musste 1795 auf Anweisung der französischen Besatzung eingeschmolzen werden. Knapp ein Jahrhundert später wurde Ersatz angefertigt, vorwiegend als Stiftung wohlhabender Kölner Familien. Das Tintenfass allerdings finanzierte die Stadt Köln im Jahr 1899 selbst. Eine Kunstkommission hatte beschlossen, wie es aussehen sollte – man wünschte ein vaterstädtisches und gleichzeitig gotisches Motiv.
Die beiden knienden Engel waren dem Figurenschmuck über dem Hofportal der ehemaligen Kölner Ratskapelle nachempfunden, die 1899 noch stand, aber im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört wurde. Sicher wusste Konrad Adenauer auch das, hatte er doch sein Büro 16 Jahre lang im gegenüber gelegenen historischen Rathaus gehabt.
Die Auswahl eben dieses Tintenfasses als Tischschmuck bei der Unterzeichnung des Grundgesetzes könnte also auch ein bewusstes Anknüpfen an die Tradition der jahrhundertelang höchst selbstbewussten, inzwischen in ihrem historischen Zentrum weitestgehend zerstörten Reichsstadt gewesen sein. Oder eine Mahnung an das verheerende Bombardement im Mai 1942.
Zwei Abgeordnete des Parlamentarischen Rates verweigerten am 23. Mai 1949 ihre Paraphe unter dem Grundgesetz. Als der Kommunist Heinz Renner an der Reihe war, erklärte er: „Ich unterschreibe nicht die Spaltung Deutschlands.“ Sein Genosse Max Reimann antwortete auf die Aufforderung nur mit dem Ruf: „Nein!“ Beide flüchteten später übrigens in die DDR, wo sie sich von der SED hofieren ließen.
Deutscher Bundestag und Haus der Geschichte bitten alle, die persönliche Erinnerungsstücke zum Parlamentarismus in Deutschland besitzen, diese zu fotografieren und ihre eigene Geschichte dazu zu erzählen. Details finden sich im Aufruf: Ihr Parlament. Ihre Erinnerungen.