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  3. Unglück in der DDR: „Bitterfelder Kesselzerknall“ tötet neun Menschen

Geschichte Bahn-Unglück in der DDR

Der Kessel der Lok überschlug sich und flog fast 40 Meter weit

Es hätten auch 150 Opfer sein können: Im November 1977 führte menschliches Versagen sowie mangelnde Wartung auf dem Bahnhof von Bitterfeld zu einem fatalen „Kesselzerknall“. Der Lokführer hatte sich um eine Sache nicht gekümmert.
Am 27.11.1977 explodierte der Kessel der Dampflokomotive 01 1516 bei der Einfahrt in den Bahnhof Bitterfeld. Der D-Zug 567 war auf dem Weg von Berlin-Schöneweide nach Leipzig. Unglücksursache war ein Wassermangel im Kessel. Es kamen acht Menschen (nach anderen Angaben neun Menschen) ums Leben, 45 wurden verletzt. Am 27.11.1977 explodierte der Kessel der Dampflokomotive 01 1516 bei der Einfahrt in den Bahnhof Bitterfeld. Der D-Zug 567 war auf dem Weg von Berlin-Schöneweide nach Leipzig. Unglücksursache war ein Wassermangel im Kessel. Es kamen acht Menschen (nach anderen Angaben neun Menschen) ums Leben, 45 wurden verletzt.
Von der mehr als hundert Tonnen schweren Lok 01 1516 standen nach der Kesselexplosion nur noch das Fahrwerk und der Tender auf den Gleisen
Quelle: picture alliance / dpa-Zentralbi

Die ganz große Katastrophe blieb aus. Aber es war knapp, sogar sehr knapp. Genau genommen fehlte gerade ein einziger Meter, um aus einem Unglück mit neun Toten und 45 Verletzten ein Inferno zu machen – es hätte leicht einer der schlimmsten Bahnunfälle aller Zeiten in Deutschland werden können.

Hauptbahnhof Bitterfeld, Gleis 3. Am Sonntag, dem 27. November 1977, warteten gegen 16 Uhr etwa 250 Menschen auf die Einfahrt des verspäteten D-Zuges 567 der Deutschen Reichsbahn von Berlin-Ost nach Reichenbach im Vogtland. Als sich die von der Dampflok 01 1516 gezogenen Waggons nähern, dämmerte es schon, denn die Sonne ging hier an diesem Tag um genau 16.07 Uhr unter.

Am 27.11.1977 explodierte der Kessel der Dampflokomotive 01 1516 bei der Einfahrt in den Bahnhof Bitterfeld. Der D-Zug 567 war auf dem Weg von Berlin-Schöneweide nach Leipzig. Unglücksursache war ein Wassermangel im Kessel. Es kamen acht Menschen (nach anderen Angaben neun Menschen) ums Leben, 45 wurden verletzt.
Aufräumen am Gleis 3 des Bitterfelder Bahnhofs
Quelle: picture alliance / dpa-Zentralbi

Plötzlich knallte es extrem laut, und der fast 26 Tonnen schwere Dampfkessel der Lok riss sich los. Der Zylinderblock hielt noch minimal länger als die Nieten zum Chassis am Führerhaus, so dass sich der Kessel nach vorne überschlug und dabei Glut in einen auf dem Nachbargleis einfahrenden Reisezug schleuderte, von dem sofort zwei Wagen in Brand gerieten. Sekundenbruchteile später löste sich der Kessel auch von den beiden Zylindern, flog fast 40 Meter durch die Luft und riss dabei ein etwa ebenso langes Stück des Bahnsteig-Daches weg.

„Wäre der Kessel nur einen Meter seitlich abgekommen und auf den Bahnsteig gefallen, dann hätte es ein Sterben von mindestens 100 bis 150 Toten gegeben“, erinnerte sich Heinz Schnabel, ehemals Oberrat der Reichsbahn und nach dem Unglück als Sachverständiger an der Ermittlung der Ursachen beteiligt.

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Doch auch so war es schlimm genug: Der Lokführer und sein Heizer starben, ferner sieben Menschen auf dem Bahnhof. Es handelte sich um eine Explosion, eine Art Unfall, die Eisenbahner üblicherweise als „Kesselzerknall“ bezeichnen. Der „Kesselzerknall von Bitterfeld“ war das letzte Unglück mit einer Dampflok in Deutschland, bei dem Menschen umkamen.

Bitterfelder Kesselzerknall 1977 ergänzt
Von Hand zeichnete Ende November 1977 ein Grafiker des Axel Springer Verlages die Konturen der zerstörten Lok in das Foto ein
Quelle: Axel Springer SE

Oberrat Schnabel und seine Mitarbeiter konnten die Ursache aufklären – trotz des Todes der Lokomotivbesatzung und der völligen Zerstörung der 01 1516 (übriggeblieben waren nur das Fahrgestell und der Tender) gab es genügend Hinweise. Die Lok aus der 1925 bis 1938 produzierten Baureihe 01 war 1963 im Reichsbahnwerk Meiningen komplett neu aufgebaut worden und leistete seitdem relativ zuverlässig Dienst als Schnellzug-Lokomotive.

Am 27. November 1977 stand sie als „Bockreserve“ (so genannt, weil solche Loks am Prellbock bereitstanden) im Ost-Berliner Bahnhof Lichtenberg – also für den Fall, dass eine andere Lok ausfallen sollte. Genau das war dem Personal des D-Zuges von Plauen nach Berlin passiert: Sie hatten viel zu wenig Wasser aufgenommen, so dass sich im Kessel der vorgespannten Lok 03 2121 auf halber Strecke beide Schmelzpfropfen lösten.

Dieser Schutzmechanismus sollte eine Explosion verhindern, falls der Dampfkessel mangels Wasser die Betriebstemperatur deutlich überschritt – im Eisenbahnerjargon hieß das „trockenheizen“. Der Zug wurde von einer Diesellok nach Berlin-Lichtenberg geschleppt, Lokführer und Heizer des Zuges waren nur knapp einem Kesselzerknall entgangen.

Dampflok 01 0505 mit Personenzug in der der Halle des Hauptbahnhofes Leipzig im Dezember 1979, Thüringen, Deutschland
Die Lok 01 0505 im Leipziger Hauptbahnhof
Quelle: picture alliance

Am Wendebahnhof ihres Zuges erhielten die beiden Männer die Weisung, die bereitstehende „Bockreserve“ 01 1516 vor die Waggons zu spannen und zurückzufahren. Ausdrücklich, so jedenfalls der Untersuchungsbericht, wurden die beiden Reichsbahner darauf hingewiesen, dass sie unbedingt noch die Vorräte im Tender ergänzt müssten.

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Wohl weil sie schon eine größere Verspätung und es eine Verzögerung bei der Wasserübernahme gab, ließen sie nur Kohle aufladen. Trotzdem erhielt die Lokleitung die Mitteilung, die Vorräte seien vollständig ergänzt worden. Offenbar wollte der Lokführer den planmäßigen Halt in Bitterfeld nutzen, um hier Wasser zu übernehmen; eine vorherige Übernahme in Lutherstadt Wittenberg war abgelehnt worden.

Lok war gerade erst im Ausbesserungswerk gewesen

Etwa 20 Kilometer vor Bitterfeld, nach Schnabels Angabe etwa bei Gräfenhainichen, war das Wasser weitgehend verbraucht; nur noch sehr wenig schwappte über den Kesselboden. Trotzdem schippte der Heizer noch immer Kohlen in die Brennkammer, deren Wände weit über ihre reguläre Betriebstemperatur aufheizten. In so einem Fall hätten eigentlich die Schmelzpropfen auslösen müssen und den Druck im Kessel von rund 15 Bar schnell reduzieren sollen – doch durch Ablagerungen waren sie blockiert, obwohl die Lok 01 1516 gerade erst im Reichsbahnausbesserungswerk gewesen war.

Dampflok 01 0525-4 mit dem Eilzug nach Leipzig zwischen Saalfeld und Unterwellenborn im April 1979, Thüringen, DDR, Deutschland, Europa
Eine andere Lok der Baureihe 01 im Einsatz in der DDR 1979
Quelle: picture alliance

Bei der Einfahrt in Bitterfeld bremste der Lokführer. Das wenige Wasser im Kessel schwappte wegen der Verzögerung zunächst nach vorne, dann als Welle wieder zurück – und traf auf die glühend heiße, völlig überhitzte Brennkammer. Eine schlagartige Gasentwicklung war die Folge, also eine Explosion. „Aus einem Kubikmeter Wasser entstehen 1725 Kubikmeter Dampf“, erklärte Heinz Schnabel rückblickend: „Da kann man sich vorstellen, was dort für eine Kraft gewirkt hat.“

Lokführer und Heizer starben, außerdem fünf Menschen auf dem Bahnsteig, an denen die Lok im Moment der Detonation gerade vorbeifuhr – sie wurden wahrscheinlich von 200 Grad heißem Wasserdampf verbrüht. Zwei der Schwerverletzten erlagen bald darauf im Krankenhaus ihren Wunden.

Als Ursachen für das Unglück stellte Heinz Schnabel gleich mehrfaches menschliches Versagen des Lokpersonals fest: Der Lokführer hatte viel zu wenig Wasser an Bord und wusste das offenbar auch, zog daraus aber keine Konsequenz, sondern fuhr weiter. Der Heizer muss auch gemerkt haben, dass die Feuerkammer zu heiß wurde. Hinzu kamen die mangelhafte Wartung der Schmelzpropfen und der Zufall, dass just beim Bremsen in Bitterfeld (und nicht schon vorher auf offener Strecke) das wenige Wasser auf die glühend heiße Brennkammer schwappte.

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Die modernisierten Loks der Baureihe 01 blieben in der DDR noch bis 1982, weitere Modelle sogar bis 1988 im fahrplanmäßigen Einsatz. In dieser Zeit kam es nicht mehr zu größeren Zwischenfällen – der „Bitterfelder Kesselzerknall“ blieb die letzte Kesselexplosion einer Dampflokomotive mit Toten in Deutschland.

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