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Geschichte Hunderte Todesopfer

In der DDR waren technische Katastrophen verboten

Ob die Explosion in einem Bahnhof oder ein Flugzeugabsturz mit 156 Toten: Die DDR verschleierte mit aller Macht die Hintergründe, nicht zuletzt, um Moskau nicht zu verärgern.
DDR - Schweres Zugunglück in Langenweddingen DDR - Schweres Zugunglück in Langenweddingen
Die völlig ausgebrannten Waggons auf dem Bahnhof von Langenweddingen (heute Sachsen-Anhalt)
Quelle: pa/dpa/ZB

Langenweddingen in der Magdeburger Börde am 6. Juli 1967. Um 8 Uhr näherte sich ein Personenzug der Deutschen Reichsbahn dem Bahnhof des Ortes. Der Fahrdienstleiter stellte das Signal auf „Fahrt frei“ und begann, die Schranken des Bahnübergangs zu schließen. Da stellte sich heraus, dass sich diese in einem hängenden Telefonkabel verfingen. Ein Bus, der auf den Übergang zufuhr, konnte noch gestoppt werden, ein folgender Tankwagen der VEB Minol aber nicht. Das Notsignal, das ein Zugführer noch abgeben konnte, wurde von der Dampflok des anderen Zuges übertönt. Der erfasste den Tankwagen. Es war eines der schwersten Unglücke in der Geschichte der deutschen Eisenbahnen und das schwerste in der Geschichte der DDR.

250 Menschen saßen in den Doppelstockwagen des Zuges, der von Magdeburg nach Thale im Harz unterwegs war. Der erste Waggon war für 50 Kinder reserviert, die in ein Ferienlager fuhren. 44 von ihnen starben in der 800 Grad heißen Feuerhölle, mit ihnen 33 weitere Menschen. Von den 54 Schwerverletzten überlebten 17 die nächsten Tagen nicht, darunter auch Helfer, die sich bei den Rettungsarbeiten lebensgefährliche Verletzungen zufügten.

So weit die offiziellen Angaben. Bei der freiwilligen Feuerwehr, die mangels Hydranten ihr Wasser aus dem Dorfteich pumpen musste, kursierten bald ganz andere Zahlen. Von bis zu 140 Toten war die Rede, von Schlamperei und Vertuschung. Das hatte gute Gründe. Denn statt auf maximale Transparenz zu setzen, entsandten die DDR-Behörden bald ganz andere Spezialisten: Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Ihr Bericht über die zahlreichen Fehler und Pannen erhielt den Stempelvermerk „Geheim“ und verschwand im Panzerschrank.

ARCHIV - Blick auf Bergungsarbeiten an der Unglücksstelle nach der Bahnkatastrophe in Langenweddingen bei Magdeburg (Archivbild vom 06.07.1967). Beim schwersten DDR-Eisenbahnunglück im Juli 1967 sterben in Langenweddingen (heute Sachsen-Anhalt) 94 Menschen, 44 davon sind Kinder. Foto: Zentralbild (zu dpa "Unglücke in der DDR: Ein Gefühl der Ohnmacht bei Hinterbliebenen" vom 16.08.2016) +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Bergungsarbeiten an der Unglücksstelle in Langenweddingen
Quelle: picture alliance / dpa

Eine öffentliche Debatte über die strukturellen Ursachen unterblieb, denn das hätte ja das System infrage stellen können, sagte der Historiker Henrik Bispinck in einer ZDF-Dokumentation. Dass marode Technik, unzeitgemäße Dienstanweisungen, mangelhafte Aufsicht und systematische Schlamperei maßgeblichen Anteil an der Katastrophe hatten, wurde verschwiegen. Stattdessen wurde die Verantwortung dem Fahrdienstleiter und dem Dienstvorsteher des Bahnhofs aufgebürdet. Beide wurden den trauernden Hinterbliebenen und einer verunsicherten Öffentlichkeit als Schuldige präsentiert und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

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Das DDR-Regime wusch seine Hände in Unschuld. Allerdings zeigte die Neufassung der „Transportordnung für gefährliche Güter“, die sechs Monate später in Kraft trat, dass die Behörden das Ausmaß der eigenen Mitverantwortung an der Katastrophe von Langenweddingen durchaus erkannt hatten.

Das Wrack der Maschine einen Tag nach der Katastrophe. Bei dem größten Flugzeugunglück auf deutschem Boden kamen am 14. August 1972 beim Absturz einer Iljuschin-62 der Interflug bei Königs Wusterhausen (DDR) alle 156 Passagiere und Besatzungsmitglieder ums Leben. Ihnen wurde ein Brand im Heck zum Verhängnis | Verwendung weltweit
Das Wrack der Iljuschin Il-62 bei Königs Wusterhausen. Bei dem schwersten Flugzeugunglück auf deutschem Boden kamen am 14. August 1972 156 Passagiere und Besatzungsmitglieder ums L...eben
Quelle: picture-alliance / dpa

Dass es ihnen dennoch vor allem darum ging, das System von jeglicher Mitschuld reinzuwaschen, zeigt eine andere Tragödie: die Flugzeugkatastrophe von Königs Wusterhausen am 14. August 1972 gewidmet, mit 156 Todesopfern bis heute das folgenschwerste Flugzeugunglück auf deutschem Staatsgebiet.

Die Iljuschin Il-62 der DDR-Fluggesellschaft Interflug war gegen 16.30 Uhr auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld gestartet. Über Cottbus bemerkte die Crew Probleme mit dem Höhenleitwerk und leitete nach Absprache mit der Flugsicherung den Rückflug ein. Beim Landeanflug löste sich auf einmal ein Teil des Hecks mit dem Höhenleitwerk. Die Maschine stürzte ab. Alle 148 Passagiere und die acht Besatzungsmitglieder starben.

Über die Ursachen verloren die DDR-Behörden kein Wort. Gerüchte kursierten, die Maschine sei beim Durchfliegen einer selbst verursachten Treibstoffwolke in Brand geraten.

Die Staatssicherheit wusste es besser. In ihrer geheimen „Verschlusssache“, die erst nach dem Mauerfall öffentlich wurde, listeten ihre Experten gravierende Konstruktionsmängel auf: Eine Heißluftleitung verlief in der Nähe von Elektrokabeln. Auch eine Feuerwarnanlage im Cockpit fehlte.

Eine Iljuschin 62 der sowjetischen Fluggesellschaft Aeroflot auf der Startbahn des Rhein-Main-Flughafens Frankfurt. (undatierte Aufnahme) | Verwendung weltweit
Archivbild einer Iljuschin Il-62. Die Staatssicherheit diagnostizierte in einem Geheimbericht erhebliche Konstruktionsmängel
Quelle: picture-alliance / dpa
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Doch der sowjetische Hersteller wies Veränderungshinweise zurück. Die Sowjets hätten vielmehr vorgeschlagen, die Sache dilatorisch zu behandeln – und Erich Honecker, der erst im Mai 1971 mit Unterstützung Moskaus Walter Ulbricht als Erster Sekretär der SED abgelöst hatte, sei einverstanden gewesen. Es habe sich vermutlich um einen Freundschaftsdienst für die Sowjets gehandelt, urteilt der Historiker Michael Goll.

Dass die Verantwortlichen sich durchaus ihrer Mitschuld bewusst waren, zeigen die Veränderungen an der Konstruktion und in der Wartung, die umgehend an den Iljuschin-Maschinen vorgenommen wurden. Die Betroffenen erfuhren davon nichts. In der Todesanzeige wurde der Besatzung für ihren „wertvollen Beitrag zur Entwicklung unseres sozialistischen Luftverkehrs“ gedankt. DDR-Medien berichteten über den „ergreifenden Trauerakt“. Ein schwarzer Gedenkstein trägt die Namen von 60 Insassen, deren Identität nicht mehr geklärt werden konnte, und deren sterbliche Überreste in Wildau beerdigt wurden.

Denn die Identifizierung erwies sich als kaum zu bewältigende Aufgabe: „Für eine so große Zahl von Leichen und Leichenteilen wie nach dem Flugzeugabsturz bei Königs Wusterhausen fehlten spezielle Transportfahrzeuge, ebenso geeignete Räume für die Lagerung mit Licht, Belüftung, Kühlung und wenigstens minimalen hygienischen Verhältnissen“, gab später Gunter Geserick, Ex-Chef des Gerichtsmedizinischen Instituts der Charité, zu Protokoll.

Hilfsangebote aus dem Westen wurden allerdings mit großer Geste zurückgewiesen. „Wir sind stark, wir schaffen das allein“, habe die DDR-Führung damit signalisieren wollen, sagt Goll. Dass auch mangelnde Arbeitssicherheit, alte Technik und Planerfüllung um jeden Preis zu Unglücken mit viel menschlichem Leid führten, wurde offiziell nicht eingestanden, wie die Dokumentation verdeutlicht. Die Schuld trug nie der Sozialismus.

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mit dpa

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