Kaum ein Präsident der Vereinigten Staaten wägte seine Worte genauer, keiner hatte vermutlich stärkere Nerven als Harry S. Truman: Ihn brachte nicht einmal ein misslungenes Attentat vor seinem Fenster aus der Ruhe. Warum also löste der 33. US-Präsident am Vormittag des 30. November 1950 mit seinen Antworten auf die Fragen zweier Journalisten „höchste internationale Spannungen“ aus, wie WELT damals berichtete?
Es war bereits die 246. Pressekonferenz seiner Amtszeit. Hauptsächlich ging es um die Lage in Korea. Seit vier Wochen kämpfen dort nicht mehr nur US-Truppen im Auftrag der Vereinten Nationen gegen die Angreifer aus dem kommunistisch beherrschten Nordkorea. Seit Anfang November 1950 fluteten aus der gleichfalls kommunistischen Volksrepublik China Woche für Woche Hunderttausende Männer den Kriegsschauplatz und drängten mit ihrer schieren Zahl die Verbände unter dem Kommando von US-General Douglas MacArthur zurück.
Darüber sprach Truman einige Minuten, bevor er die Fragerunde eröffnete. Elf Journalisten stellten Fragen, manche grundsätzlich, manche eher zu Details; erst der zwölfte akkreditierte Reporter kam zum Kern der Sache. Laut dem offiziellen Protokoll schloss er direkt an die vorangehende Bemerkung des Präsidenten: „Wir werden alle notwendigen Schritte unternehmen, um der militärischen Situation gerecht zu werden, so wie wir es immer getan haben.“
Chronik einer über 60-jährigen Feindschaft
Korea ist ein geteiltes Land. Unter den konkurrierenden Besatzungsmächten Sowjetunion und USA kam es 1950 zum Krieg. Trotz Waffenstillstand ab 1953 hält der Konflikt zwischen Nord und Süd bis heute an.
Quelle: N24/ Katharina Kuhnert
Die Frage war kurz und knapp: „Schließt das die Atombombe ein?“ Wie aus der Pistole geschossen antwortete Truman: „Das schließt jede Waffe ein, die wir haben.“
Natürlich wollte der Journalist das genauer wissen: „Mr. President, Sie sagten: ,Jede Waffe, die wir haben.‘ Bedeutet das, dass der Einsatz der Atombombe aktiv in Betracht gezogen wird?“ Truman erläuterte: „Es wurde und wird immer aktiv über ihren Einsatz nachgedacht.“ Er fügte aber gleich hinzu: „Ich möchte nicht, dass die Atombombe benutzt wird. Es handelt sich um eine schreckliche Waffe, und sie sollte nicht gegen unschuldige Männer, Frauen und Kinder eingesetzt werden.“
Damit war das Thema aber nicht erledigt, denn der übernächste Reporter auf der Frageliste griff es wieder auf: „Mr. President, habe ich Sie richtig verstanden, dass der Einsatz der Atombombe aktuell zur Diskussion steht?“ Trumans Antwort lautete kurz und knapp: „Hat er immer. Sie ist eine unserer Waffen.“
Auf die abermalige Nachfrage „Bedeutet dies den Einsatz gegen militärische Ziele oder zivile?“ antwortete der Präsident: „Dies ist eine Sache, die das Militär zu entscheiden haben wird. Ich mische mich in solche Dinge nicht ein.“ Der Journalist ließ nicht locker und fragte weiter, ob Atomwaffen nur nach einer Genehmigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingesetzt würden. Truman verneinte das; die Entscheidung liege beim Befehlshaber vor Ort.
Mit der öffentlichen Reaktion auf diese Pressekonferenz hatte der stets so kontrollierte US-Präsident augenscheinlich nicht gerechnet. In der britischen Labour Party, der Regierungspartei des wichtigsten US-Verbündeten, drohte eine Revolte: Mehr als 100 Abgeordnete schrieben Premierminister Clement Attlee einen offenen Brief und forderten, im Fall eines Einsatzes der Atombombe die britischen Truppen aus Korea zurückzuziehen.
Diese Kampfflugzeuge prägten den Koreakrieg
In dem Krieg, der 1950 bis 1953 zwischen dem kommunistischen Norden und dem prowestlichen Süden Koreas tobte, kam eine Mischung aus hochmodernen und veralteten Waffen zum Einsatz – auf beiden Seiten. Dies waren die Kampfjets, die aufeinander trafen.
Quelle: WELT
Eilends kündigten der französische Premierminister René Pleven und sein Außenminister Robert Schuman an, zu Konsultationen nach London zu kommen, bevor Attlee zu einer ebenfalls ganz kurzfristig angesetzten Reise nach Washington aufbrach. Von Neu-Delhi aus schaltete sich Indiens Ministerpräsident Jawaharlal Nehru ein, in New York empfing UN-Generalsekretär Trygve Halvdan Lie einen Vertreter Chinas.
Angesichts dieser binnen Kurzem absehbaren heftigen Reaktionen gab Trumans Stab nur wenige Stunden nach der Pressekonferenz eine Erklärung heraus, in der es hieß: „Der Präsident möchte sicherstellen, dass seine Antworten auf Fragen auf seiner heutigen Pressekonferenz zur Verwendung der Atombombe nicht falsch interpretiert werden.“
Dann folgte die ausführliche Darlegung von Trumans schneller Antwort und des ersten Satzes seiner folgenden Antwort. Oder handelte es sich um eine nachträgliche Interpretation? „Natürlich wurde dieses Thema seit Ausbruch der Feindseligkeiten in Korea in Betracht gezogen, genau wie der Einsatz aller verfügbaren Waffen, sofern unsere Streitkräfte im Kampf sind. Die Verfügbarkeit einer Waffe führt immer zu Fragen, ob sie auch eingesetzt werden soll.“
Der nächste Satz der Erklärung stellte Trumans Bemerkung in den Zusammenhang: „Es soll jedoch betont werden, dass laut Gesetz nur der Präsident den Einsatz der Atombombe genehmigen kann und gegenwärtig keine solche Genehmigung vorliegt. Sofern eine solche Genehmigung erteilt werden sollte, wäre der militärische Befehlshaber vor Ort für die Entscheidung über das Ziel der Kernwaffe verantwortlich.“ Fast etwas ungehalten klang dann der Abschluss des Kommuniqués: „Zusammengefasst stellen die Antworten auf die Fragen auf der heutigen Pressekonferenz keine Änderung dieser Situation dar.“
Was also war passiert? Lag eine Überreaktion der Weltöffentlichkeit vor, weil der US-Präsident nichts anderes getan hatte, als die ohnehin bekannte Haltung der US-Regierung zu bekräftigen? Hatte er im Gegenteil ein Signal senden wollen, nach Peking, aber natürlich auch nach Moskau? Oder waren ihm einfach die Pferde durchgegangen?
Im 1956 erschienen zweiten Band seiner Memoiren bemerkte Truman spitz, trotz seiner eindeutigen Worte und der anschließenden Klarstellung des Stabes hätten die Nachrichten weiter berichtet, „ich hätte mit dem Einsatz der Atombombe in Korea gedroht“. Doch Attlee konnte er nicht ausweichen: „Er und ich saßen allein, und er fragte mich, ob meine Äußerung auf der jüngsten Pressekonferenz als ein Hinweis gedacht gewesen sei, dass wir vielleicht aktiver über die Verwendung der Atombombe nachdächten? Ich versicherte ihm, dass nichts dergleichen beabsichtigt war.“
In der gemeinsamen amerikanisch-britischen Erklärung zum Ende des Besuchs allerdings fügte Truman dann eine Bemerkung ein, die man tatsächlich als Drohung verstehen konnte – wenn nicht ohnehin das bereits am 30. November 1950 beabsichtigt gewesen sein sollte: „Der Präsident erklärt, es sei seine Hoffnung, dass die Weltlage niemals den Einsatz der Atombombe erfordern werde.“ So weit, so bekannt. Doch dann folgte ein weiterer Satz: „Der Präsident sagte dem Premierminister zu, ihn zu informieren, falls sich Entwicklungen ergeben sollten, die diese Lage ändern.“ Zumindest jetzt hatte sich der eiskalte Pokerspieler Truman wieder völlig unter Kontrolle.
Nur viereinhalb Monate später, am 11. April 1951, setzte der Präsident seinen wichtigsten aktiven Militär ab, den Oberbefehlshaber in Korea: Douglas MacArthur – weil der Fünf-Sterne-General den Einsatz von Atombomben verlangt habe. Doch MacArthur bestritt das entschieden. Und tatsächlich gibt es kein Dokument von 1951, in dem er eine solche Forderung erhoben hätte. Aber das ist eine andere Geschichte.
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