Die Erlösung beginnt mit einem Blitz. Um genau 2.05 Uhr Ortszeit detonieren mehrere Blendgranaten vor den Cockpitfenster der Lufthansa-Boeing „Landshut“ auf dem Flughafen von Mogadischu. Sieben Minuten später geht im Bundeskanzleramt in Bonn die erlösende Nachricht ein: Polizeibeamte der Spezialeinheit GSG-9 haben alle Passagiere und Crewmitglieder gerettet – bis auf den bereits zuvor ermordeten Kapitän Jürgen Schumann.
Seit den frühen Morgenstunden jenes 18. Oktober 1977 ist die „Landshut“ das Symbol für die erfolgreiche Abwehr terroristischer Attacken durch den Rechtsstaat. Trotzdem liegt sie seit drei Jahren halb demontiert in einem Hangar am Bodensee. Ein unhaltbarer Zustand, sagt Jürgen Vietor, seinerzeit der Co- und auf dem letzten Flug der entführten Maschine von Aden nach Mogadischu dann der einzige Pilot: „Das hat unser ,Bobby‘, wie wir bei der Lufthansa die 737 genannt haben, nicht verdient!“ Dem 78-Jährigen ist „unverständlich“, warum die Politik nicht endlich eine Entscheidung fällt.
Allerdings geht es Vietor ebenso wie Gabriele von Lutzau, die als Stewardess an Bord der entführten Maschine mehr als hundert Stunden schier übermenschliche Ruhe bewahrt hat, nicht um irgendeine Lösung. Die von der Bundesregierung favorisierte Übertragung der „Landshut“ an das Luftwaffen-Museum in Berlin-Gatow lehnt sie ab: „Eine zivile Maschine, die von einem Polizeispezialkommando befreit worden ist, gehört nicht auf einen Militärflughafen.“ Bei der Bundeswehr hält man sich offiziell bedeckt.
Lutzau und Vietor wollen, dass die „Landshut“ das Hauptexponat einer Dokumentation in Berlin wird. „Baut endlich ein Museum für die Opfer des Deutschen Herbstes!“, fordert die heute als bildende Künstlerin erfolgreiche 66-Jährige. Der frühere Pilot ergänzt: „Es wäre an der Zeit, den 1971 bis 1991 von der RAF ermordeten 34 Menschen und dem von palästinensischen Terroristen hingerichteten Flugkapitän Jürgen Schumann würdig zu gedenken.“
Tatsächlich gibt es zwar zahlreiche Museen für die Opfer des NS-Regimes und wenigstens einige für die Opfer der SED-Diktatur. An Menschen, die beim Amoklauf der Baader-Meinhof-Gruppe und ihrer Nachfolger ihr Leben verloren, erinnern zwar einzelne Denkmäler, aber keine Dokumentationen. Der RAF-Terror spielt im Haus der Geschichte in Bonn und im Deutschen Historischen Museum in Berlin nur eine Nebenrolle.
Das soll sich ändern, findet der CDU-Bundestagsabgeordnete Marian Wendt. Als Vorsitzender des Petitionsausschusses unterstützt er Vietor und von Lutzau: „Wir brauchen einen Ort, um an die Opfer des Linksterrorismus zu erinnern. Als Höhepunkt so einer Ausstellung wäre die ,Landshut’ ideal, denn mit ihrer Befreiung hat sich der Rechtsstaat als stark und handlungsfähig erwiesen.“
Einen „hervorragend geeigneten“ Standort gäbe es, sagt der hessische FDP-Bundestagsabgeordnete Till Mansmann, keine fünf Kilometer vom Reichstagsgebäude entfernt und gut per U-Bahn erreichbar: die 80 Jahre alten, leerstehenden Hangars des früheren Berliner Flughafens Tempelhof. „Das Gebäude muss aus Denkmalschutzgründen erhalten werden – diese Kosten hat der Staat ohnehin zu tragen“, argumentiert Mansmann. In einen der Hangars soll bald das Alliiertenmuseum aus dem südwestlichen Ortsteil Dahlem einziehen, in zwei andere ein „Mediencampus“ der Deutschen Film- und Fernsehakademie sowie eine Dependance des Deutschen Technikmuseums.
Bleiben immer noch vier riesige Hangars. Sie will der rot-rot-grüne Berliner Senat als „temporäre Kultur- und Veranstaltungsflächen“ nutzen – für Modemessen, Konzerte und Ähnliches. Warum sollten dafür nicht drei Hangars reichen sowie die riesige Haupthalle? Dann wäre eine Halle frei für das Museum für die Opfer des Deutschen Herbstes. Hinreichend Flächen gibt es im Tempelhof auf jeden Fall – die Hangars sind jeder zwischen 3500 und 6300 Quadratmeter groß; die „Landshut“ braucht weniger als tausend Quadratmeter. Da bliebe selbst bei großzügiger Aufstellung genügend Raum für weitere Exponate und Informationstafeln.
Gabriele von Lutzau erwartet, dass die „Landshut“ in Tempelhof viel Publikum anziehen wird: „Das ist Geschichte zum Anfassen.“ Das Flugzeug als den authentischen Ort der Entführung zu betreten – das sei etwas ganz anderes als darüber zu lesen oder Filme zu sehen. „Außerdem gibt es bisher keinen Ort für alle Opfer des Deutschen Herbstes.“
Tatsächlich waren unter den 34 Toten des RAF-Terrors „nur“ sieben führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft oder Justiz, aber neun Zufallsopfer, elf Polizisten und sieben US-Soldaten: „An bekannte Männer wie Schleyer oder Herrhausen erinnern Stiftungen – wer aber gedenkt der Fahrer, der Polizisten oder der Frau, die zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort stand?“
Sollten die Bundesregierung oder der Berliner Senat tatsächlich den vernünftigen Standort Tempelhof für die „Landshut“ und ein Museum für die Opfer des RAF-Terrors blockieren, so gäbe es immerhin eine Alternative, die immer noch besser ist als das Verstecken in der Flugzeugausstellung Gatow: Fürstenfeldbruck, rund 25 Kilometer nordwestlich von München.
Auf diesem Fliegerhorst, den die Bundeswehr in wenigen Jahren aufgeben wird, fand am späten Abend des 5. September 1972 die erste ganz große Konfrontation von terroristischen Entführern und der Polizei in der Bundesrepublik statt: Acht Palästinenser hatten im Olympischen Dorf israelische Teilnehmer an den Spielen von München in ihre Gewalt gebracht.
Auf dem Vorfeld von Fürstenfeldbruck wollte die bayerische Polizei durch einen Notzugriff die Sportler befreien – doch die schlecht geplante Aktion führte zum Desaster: Alle Geiseln wurden ermordet. Dieses Fiasko war der Auslöser für die Gründung der Spezialeinheit GSG-9, deren „Erfinder“ Ulrich K. Wegner den chaotischen Schusswechsel direkt miterlebte.
In Fürstenfeldbruck wäre genügend Platz für die „Landshut“, schlägt der frühere Bundeswehrpilot Dietrich Störmann vor. Er war zufällig Ohrenzeuge der Schießerei 1972 und kannte auch den 1977 ermordeten Kapitän Schumann. Ohnehin soll nach Abzug der Luftwaffe an diesem Tatort eine Dokumentation des Terroranschlags entstehen.
„Auch die ,Landshut‘ kann man als Tatort bezeichnen; sie ist der unverzichtbare Mittelpunkt für eine Ausstellung über den ,Deutschen Herbst‘“, sagt Störmann: „Beide Tatorte stehen im engen Zusammenhang mit den schlimmsten Angriffen in der Nachkriegszeit auf Deutschland und Israel durch die RAF, unterstützt durch die DDR und palästinensische Terroristen.“
Marian Wendt hält es für „sinnvoll“, das Projekt „von unten“ her anzugehen: „vom Engagement der damaligen Crew-Mitglieder, von den entführten und befreiten Passagieren, von den Männern der GSG-9“. Vielleicht müsste es auch über das reine Gedenken hinausgehen, regt Till Mansmann an: „Es geht immer auch um die Würdigung des andauernden Kampfs gegen inhumane Ideologien.“
Darin ist er sich mit den Initiatoren eines solchen Museums ganz einig: „Der linke und der rechte Rand der Gesellschaft werden immer gewaltbereiter“, beobachtet Gabriele von Lutzau: „Die Gefahr von links wird dabei leider von Politikern kleingeredet, fast schon verharmlost.“ Hier könnte ein Museum rund um die „Landshut“ gegensteuern.
Dieser Text ist aus WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.
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