Die letzte automatische Meldung von Flug 870 kam genau um 20.59 Uhr. Zwei Minuten später an diesem 27. Juni 1980, einem Freitagabend, verschwand das Echo der DC-9 der privaten Inlandsfluggesellschaft Itavia auf dem Weg von Bologna nach Palermo von den Radarschirmen.
Sofort begannen Rettungsmaßnahmen. Hubschrauber, Schiffe der italienischen Marine und Küstenwache sowie zivile Frachter suchten die Meeresoberfläche rund 80 Kilometer nördlich der Insel Ustica ab. Dort hatte sich die 14 Jahre alte zweistrahlige Maschine in 25.000 Fuß (7,6 Kilometer) Höhe befunden, als das Radarsignal verschwunden war.
Doch bei rauer See und Dunkelheit fanden die Helfer zunächst nichts. Erst am folgenden Morgen – es gab längst keine Hoffnung mehr, die 81 Insassen, zwei Piloten, zwei Flugbegleiterinnen und 77 Passagiere, darunter elf Kinder und zwei Säuglinge, noch lebend zu finden – wurden die ersten Leichen und Trümmerteile im Wasser treibend gefunden. Und zwar so weit voneinander entfernt, dass klar war: Die DC-9 musste in großer Höhe auseinandergerissen worden sein (das wurde Jahre später durch den endlich geborgenen Flugschreiber bestätigt). Nur: wodurch?
Insgesamt wurden lediglich die sterblichen Überreste von 38 Insassen gefunden. Mindestens fünf von ihnen, das ergaben gerichtsmedizinische Untersuchungen, waren von Metallsplittern getroffen worden. Das deutete auf eine Explosion als Absturzursache hin. Aber was für eine Art von Detonation?
Hatten Terroristen einen Sprengsatz an Bord platziert? Möglicherweise in der hinteren Toilette des Jets? Denn hier war die Explosionswirkung am größten gewesen – das Heck war ebenso vom restlichen Rumpf abgerissen worden wie die beiden kompakten, bei der DC-9 nicht unter den Tragflächen, sondern zwischen den Flügeln und dem hoch aufragenden Höhenruder montierten Triebwerke.
Auf einen Anschlag deutete ein Bekenneranruf hin, der noch am Abend des Absturzes einging. Doch die Ermittlungen zeigten rasch, dass es sich um einen schlechten Scherz gehandelt hatte. Also doch kein Terroranschlag? Denn allgemein üblich war, dass sich politisch motivierte Gewalttäter zu ihren Verbrechen bekannten.
War also am Heck der DC-9 der Sprengkopf einer Rakete explodiert? Nur: Wer hatte sie dann abgeschossen? Und warum? In eine Höhe von mehr als sieben Kilometern dringen nur Waffensysteme vor, die hochkomplex sind und entweder von militärischen Bodenstationen oder modernen Düsenjägern abgeschossen werden – kleine, von der Schulter aus abgefeuerte Waffen wie die sowjetische Strela oder die amerikanische Redeye konnten das 1980 nicht und auch ihre heutigen Nachfolgemodelle können es nicht.
Da möglicherweise professionelles Militär an der Katastrophe von Flug 870 beteiligt gewesen war, wucherten bald Verschwörungstheorien: War die DC-9 in einen Luftkampf zwischen libyschen und Nato-Jägern geraten? Ging es darum, den Diktator Muammar al-Gaddafi zu töten, der gleichzeitig in einer Tupolew Tu-134 auf dem Weg zu einem Staatsbesuch in Polen war? Gar durch einen abtrünnigen Piloten der libyschen Luftwaffe? Wurde die DC-9 mit der konstruktiv ähnlichen sowjetischen Maschine verwechselt? Oder hatten doch italienische oder sogar US-Jets die tödliche Rakete abgefeuert, weil sie von einer Verletzung des Nato-Luftraumes ausgingen?
Die Untersuchungen ergaben kein klares Ergebnis. 1994 bilanzierten internationale Experten, dass die Explosion sich an Bord der Maschine, und zwar nahe der hinteren Toilette, ereignet habe – also doch ein Bombenanschlag. Andererseits stellte der zuständige italienische Ermittlungsrichter in seinem Bericht fünf Jahre später fest: „Der Absturz der DC-9 erfolgte nach einer militärischen Abfangaktion, die DC-9 wurde abgeschossen.“
Ideales Futter für Verschwörungstheoretiker war, dass zwischen 1980 und 1995 insgesamt elf Angehörige der italienischen Luftwaffe und ein Kommunalpolitiker starben, die irgendwie mit den Vorgängen am 27. Juni 1980 zu tun gehabt hatten; sei es als Radaroperateure, als Piloten oder als vorgesetzte Offiziere. Zwei von ihnen kamen bei der Kunstflug-Katastrophe vom Ramstein 1988 um. Aber: Wenn sie tatsächlich Mitwisser einer Verschwörung gewesen sein sollten – warum wurden sie erst Jahre später umgebracht?
Zum 30. Jahrestag des Absturzes 2010 sagte Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano: „Es gibt Spuren einer Verschwörung, im Fall von Ustica vielleicht auch eine internationale Intrige, die wir in Erinnerung rufen müssen.“ Allerdings konnte er diese angeblichen Spuren nicht konkretisieren. So bleibt auch weitere zehn Jahre später offen, warum Flug Itavia 870 am 27. Juni 1980 gegen 21 Uhr abstürzte.
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Dieser Artikel wurde erstmals im Juni 2020 veröffentlicht.