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Geschichte Jumbo-Abschuss

„Ich wusste, der unbekannte Jet ist eine Boeing“

Obwohl er den Jumbo identifiziert hatte, feuerte ein sowjetischer Abfangjäger am 1. September 1983 auf Flug KAL 007. 269 Menschen starben. Noch immer sind nicht alle Fakten geklärt.
Leitender Redakteur Geschichte

Den Grund für seinen Tod erfuhr Flugkapitän Chun Byung-in niemals. Der erfahrene südkoreanische Pilot mit mehr als 10.000 Flugstunden, darunter 6618 auf einer Boeing 747, bekam lediglich mit, dass sein Flug KAL 007 auf einmal in größten Schwierigkeiten steckte.

Es war Donnerstag, der 1. September 1983, 4.26 Uhr Ortszeit, rund elf Kilometer hoch über Ostasien. Chun Byung-in und seine Cockpit-Crew freuten sich, dass sie ihren Langstreckenflug von New York nach Seoul bald mit der Landung beenden würden. Sie waren, einschließlich eines Tankstopps in Anchorage (US-Bundesstaat Alaska) seit mehr als 14 Stunden unterwegs.

Dann gab es um genau 04:26:03 Uhr eine Explosion, und das neun Jahre alte Flugzeug begann unkontrolliert zu steigen. „Was ist passiert?“, fragte Chun Byung-in seinen Kopiloten und befahl wenige Sekunden später: „Nimm Gas weg!“

Eine halbe Minute nach der Explosion, die im Cockpit nur vage zu hören gewesen war, stellte jemand im Cockpit fest: „Ich kann den Steigflug nicht stoppen!“ Eine Sekunde später wandte sich der Kapitän an die Passagiere und Kabinenbesatzung: „Notfall! Wir gehen in den Sinkflug!“

„Das funktioniert nicht“

Co-Pilot Son Dong-hui, der mehr als 9000 Flugstunden hatte, gut ein Drittel davon auf der 747, gelang es nicht, den Autopiloten zur Einleitung des Sinkfluges zu bringen: „Das funktioniert nicht! Das funktioniert nicht!“, zeichnete der Stimmenrekorder im Cockpit seine verzweifelte Stimme auf.

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Auch die manuelle Steuerung funktionierte nicht. Gleichzeitig leuchteten die Warnlampen, die einen Druckabfall in der Kabine zeigten. Für die Crewmitglieder eine extreme Herausforderung: Sie mussten ihre Maschine unter Kontrolle bringen und sich gleichzeitig selbst die Sauerstoffmasken überstreifen.

Erst jetzt, 54 Sekunden nach der rätselhaften Detonation, funkte Chun Byung-in die Bodenkontrolle in Tokio an. Er meldete den Druckabfall und teilte mit, so schnell wie möglich auf 3000 Meter Flughöhe sinken zu wollen. In der Kabine wiederholte jemand mehrfach auf Koreanisch, Japanisch und Englisch die Aufforderung an die Passagiere, Zigaretten auszumachen.

Dann, genau 104 Sekunden nach der Detonation, endete die Stimmaufzeichnung aus dem Cockpit – oder jedenfalls das, was Russlands Präsident Boris Jelzin Ende 1992 an Südkorea aushändigte.

Spezialisten hörten den Funkverkehr mit

So verraten nur die Radaraufzeichnungen, wie Flug KAL 007 endete: Den beiden Piloten gelang es zunächst, ihre Maschine auf 5000 Meter Höhe zu stabilisieren. In diesem Moment dürfte an Bord noch einmal Hoffnung aufgekommen sein zu überleben. Doch nach wenigen Minuten drehte die Boeing in eine Abwärtsspirale ein und verschwand um 4.38 Uhr Ortszeit von den Radarschirmen der nächstgelegenen sowjetischen Bodenstation. 55 Kilometer von der kleinen Insel Moneron stürzte die Maschine ins Japanische Meer.

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Geheim halten konnte die Sowjetunion diesen Absturz nicht, bei dem 269 Menschen ums Leben gekommen waren. Die amtliche Agentur Tass versuchte deshalb zunächst, den Vorgang schönzureden. Ein „unidentifiziertes Flugzeug“ sei im sowjetischen Luftraum von Abfangjägern abgefangen worden, dann aber entkommen. Wenig später sei die Maschine abgestürzt. Es sollte wohl der Eindruck entstehen, die koreanische Besatzung habe durch einen Pilotenfehler ihr eigenes Flugzeug zum Absturz gebracht.

Doch die Sowjets hatten nicht damit gerechnet, dass amerikanische und japanische Spezialisten den Funkverkehr ihrer Luftverteidigung abhörten und mitschnitten. So konnte US-Präsident Ronald Reagan schon nach wenigen Tagen verkünden, was wirklich passiert war.

Mindestens eine sowjetische Luft-Luft-Rakete, abgefeuert von einem Abfangjäger Suchoi Su-15, war in unmittelbarer Nähe der Boeing 747 explodiert. Dabei trug die Passagiermaschine schwere Schäden davon. Wahrscheinlich wurde eine Steuerungsleitung für das Höhenruder beschädigt, sodass der Steigflug begann.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Außerdem dürfte dem nachträglichen Bericht der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation Icao von 1993 zufolge die Struktur des Flugzeugs beschädigt worden sein. Dieser Schaden könnte bei der zeitweiligen Stabilisierung weiter verstärkt worden sein, sodass rund zehn Minuten nach dem Raketentreffer ein fatales Materialversagen auftrat. Nun konnte auch die erfahrene Cockpit-Besatzung von KAL 007 den Absturz nicht mehr verhindern.

Schon fünf Jahre zuvor hatte es einen ähnlichen Vorfall gegeben: Sowjetische Jäger fingen am 20. April 1978 eine südkoreanische Boeing 707 über Murmansk ab und beschossen sie. Zwei Passagiere starben; das schwer beschädigte Flugzeug war seinerzeit dann zur Landung gezwungen worden.

Doch diesmal, angesichts des Todes von 269 Zivilisten einschließlich eines US-Kongressabgeordneten, war die Reaktion viel schärfer. Das lag auch daran, dass just in jenem Herbst 1983 die Debatte über die Nachrüstung der Nato heftig geführt wurde.

In Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten versuchten vom KGB gesteuerte „Friedensgruppen“, die Stationierung von Pershing-Raketen und Cruise-Missiles zu verhindern und so den strategischen Vorteil der UdSSR aufrechtzuerhalten. Dagegen instrumentalisierte Reagan den Abschuss von KAL 007 und die sowjetischen Vertuschungsversuche geschickt. In seiner Ansprache an die Nation vom 5. September 1983 sprach er von einem „Massaker“ und einem „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

„Ich sah zwei Reihen von Fenstern“

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Unbestritten war stets, dass Flug KAL 007 aufgrund einer falschen Einstellung des Autopiloten vom geplanten Kurs abgekommen war. Zweimal durchflog die Maschine dabei kurzfristig gesperrten Luftraum der UdSSR – was ein Abfangen und die Eskortierung auf einen sowjetischen Stützpunkt gerechtfertigt hätte, nicht jedoch den Abschuss.

Zumal der Pilot des eingesetzten Jägers, Major Gennadi Osipowitsch, mehr als ein Jahrzehnt später in Interviews einräumte, die Maschine eindeutig als Zivilflugzeug identifiziert zu haben: „Ich sah zwei Reihen von Fenstern und wusste, das ist eine Boeing.“ Dennoch führte er seinen Befehl aus, die Maschine mit Raketen abzuschießen: „Das bedeutete für mich nichts. Es ist so einfach, aus einer zivilen Maschine eine militärische zu machen.“

Offenbar waren die sowjetischen Kommandeure auf der benachbarten Insel Sachalin der Ansicht, die Kursabweichung von KAL 007 sei bewusst herbeigeführt worden, um mit versteckten Spähgeräten die Stützpunkte der Roten Armee zu überwachen. Tatsächlich setzten die USA seinerseits Aufklärungsflugzeuge ein, die sich aber konsequent außerhalb sowjetischen Luftraums aufhielten. Das Unvermögen, dagegen vorzugehen, dürfte die Entscheidung zum Abschuss von KAL 007 befördert haben.

Das unterscheidet das sowjetische Vorgehen 1983 auch vom tragischen Abschuss eines iranischen Airbus im Persischen Golf 1988 durch ein US-Kriegsschiff. Hier handelte es sich um eine fehlerhafte Identifizierung per Radar, nicht um einen Sichtkontakt. Außerdem hatte es insgesamt zehn Versuche der Kontaktaufnahme gegeben, doch die iranische Besatzung reagierte darauf nicht. 290 Menschen starben.

213 Schuhe und eine Kreditkarte

Von den Opfern des Fluges KAL 007 blieb angeblich nichts außer genau 213 verschiedenen Schuhen. Menschliche Überreste seien nicht geborgen worden, teilten die sowjetischen Behörden mit.

Mehrere Angehörige identifizierten aber Schuhe ihrer toten Verwandten, die sie beim Abflug getragen hatten. Es ist daher wahrscheinlich, dass sehr wohl Leichen oder wenigstens Teile davon geborgen wurden. Außerdem wurden Reste von 13 Körpern am Strand einer nahe gelegenen japanischen Insel angetrieben. Identifiziert werden konnten sie mit der Technik von 1983 nicht.

Bei einem zufällig angeschwemmten Personalausweis und einer Kreditkarte war das nicht nötig: Sie trugen die Namen von zwei weiblichen Passagieren von KAL 007. Das widerlegt die im Internet kursierenden Verschwörungstheorien, denen zufolge Flug KAL 007 erfolgreich gewassert sein könnte und die Überlebenden von den Sowjets gefangen genommen wurden.

Kapitän Chun Byung-in und seine Crew aber blieben spurlos verschwunden. An sie und die anderen Insassen von Flug KAL 007 erinnern Denkmäler in Südkorea und Japan.

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