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  3. Kalter Krieg: Warum die USA eine Stadt im ewigen Eis bauten

Geschichte Sputnik-Schock

Im arktischen Eis planten die USA eine Atomraketen-Basis

Aufgeschreckt durch die sowjetischen Sputnik-Trägerraketen, begannen die USA 1958, in Nordgrönland die Nuklearanlage „Camp Century“ in das Eis zu bohren. Eine ZDF-Doku folgt den Spuren des Geheim-Unternehmens.
Camp Century im Bau Camp Century im Bau
Einer der überdeckten Gräben von Camp Century
Quelle: US Army / Public Domain

Der Kaplan war gleichzeitig verantwortlich für den Atomreaktor. 1960 war das aber noch kein Ausdruck der Sorge vor den Risiken der Kernkraft, sondern purer Zufall. Der Captain der US Army, der im Camp Century die Aufsicht über die Energieversorgung hatte, diente einfach nebenbei als Militärgeistlicher.

Energie in jeder Form, ob nun göttlich oder atomar, war für die Männer in der geheimen Basis überlebensnotwendig. Denn sie lag um die zehn Meter tief im ewigen Eis Grönlands.

Camp Century im Bau
Einer der überdeckten Gräben von Camp Century
Quelle: US Army / Public Domain

Genau genommen: noch einmal mehr als 200 Kilometer weiter nördlich als die Thule Air Force Base. Hier war es häufig 30 Grad Celsius unter null – eine viel lebensfeindlichere natürlichere Umgebung kann man sich kaum denken, sieht man einmal von einem aktiven Vulkan ab.

Wie aber kamen die Amerikaner ins Camp Century, und was wollten sie hier? Darüber hat Peter Bardehle für ZDF Info die hochspannende Dokumentation „Stadt unter dem Eis – Kalter Krieg auf Grönland“ gedreht.

Camp Century im Bau
Ab 1958 wurde der Bau der US-Basis Camp Century in Nordgrönland vorangetrieben
Quelle: US Army / Public Domain

Bardehle konnte außer dem bereits seit Längerem freigegebenen technischen Bericht von Elmer F. Clark von 1965 auf die für Öffentlichkeitsarbeit der US Army gedrehten Farbaufnahmen zurückgreifen – und auf die Erinnerungen von Sören Gregersen. Der damals 18-jährige dänische Pfadfinder durfte den Winter 1960/61 in Camp Century verbringen, in fast dauernder Dunkelheit.

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Wer nachts auf die Toilette wollte, erinnert er sich vor der ZDF-Kamera, musste sich dick einpacken. Denn außerhalb der speziell entwickelten Wohnbarracken für die Tunnel war es buchstäblich eisig.

Camp Century im Bau
Die Tunnel von Camp Century wurden tief ins arktische Eis hineingetrieben
Quelle: US Army / Public Domain

Warum aber errichteten die Amerikaner mit enormem Aufwand die aus 30 Gebäuden in 21 Eistunneln von insgesamt rund drei Kilometer Länge bestehende Anlage? Sicher nicht, um dem damals allgegenwärtigen Begriff „Kalter Krieg“ einen Sinn zu geben.

Die strategische Ausgangslage handelt Bardehle vielleicht etwas zu knapp ab. Ende der 50er-Jahre verfügten sowohl die USA wie die UdSSR über genügend Kernwaffen, um den jeweils anderen atomar einzuäschern. Das Problem war allerdings, diese Bomben potenziell ins Ziel zu bringen.

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Die „Raketenlücke“ des Westens gegenüber dem Osten war gerade in diesen Jahren kurz nach dem Start des ersten künstlichen Erdtrabanten, des sowjetischen Satelliten „Sputnik“, eine oft beschworene Gefahr. Offenbar, so glaubten es zumindest die amerikanische Öffentlichkeit und die Politik, wahrscheinlich aber auch die Geheimdienste, hatte die UdSSR die USA in der Raketenentwicklung abgehängt. Denn zu dieser Zeit erreichten US-Raketen noch keine interkontinentale Reichweite wie der „Sputnik“-Träger.

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Zwar verfügten die USA über viele strategische Bomber, vor allem die Boeing-Modelle B-47 und die ganz neue B-52 (die bis heute in Betrieb ist), aber ihre ballistischen Raketen wie die Redstone oder die neuere Jupiter erreichten nur mittlere Reichweiten. Deshalb wurden sie in den Nato-Staaten Italien und Türkei stationiert – von hier aus konnten sie die UdSSR erreichen.

Plan von Camp Century
Der Plan der US-Versuchsanlage Camp Century in Nordgrönland
Quelle: Wikimedia / Public Domain

Während gleichzeitig die neuen Langstreckenraketen Atlas und Titan sowie Minuteman entwickelt wurden, suchten die US Army und die US Navy nach neue Möglichkeiten, ihre Atomraketen näher an den potenziellen Zielen in der Sowjetunion und möglichst getarnt zu stationieren. Denn zerstören kann man auch mit Atomwaffen nur, was man kennt.

Während die amerikanische Marine auf Flugkörper mittlerer Reichweite setzte, die auf U-Booten relativ nahe ans potenzielle Ziel gebracht werden sollten, wollte die US Army unter den Gletschern Grönlands, etwa auf halbem Weg zwischen Washington D.C. und Moskau, ein System von Tunneln graben lassen, das mit einem Schienennetz und zahlreichen Abschussrampen gegen einen denkbaren Entwaffnungsschlag der UdSSR gewappnet sein sollte.

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Um die dafür notwendigen Techniken zu erproben, begann 1958 das Projekt Camp Century. Von Thule aus fuhren schwere Schneeraupen nach Norden. Mit zwei Meilen pro Stunde zogen die riesigen Maschinen das benötigte Material zum Ziel.

Spezialmaschinen aus der Schweiz frästen Gräben in den Gletscher, die mit Metallelementen geschlossen und mit meterdickem Schnee überdeckt wurden. In die so entstandenen Tunnel bauten Pioniere auf Holzfundamenten speziell entwickelte „Fertighäuser“.

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Die Energieversorgung sollte ein modularer Atomreaktor sicherstellen. Doch nach dessen Inbetriebnahme waren die Strahlungswerte zu hoch. Die Fachleute im Camp Century unter Leitung des Militärkaplans nahmen es gelassen – und bauten einfach zusätzliche Bleiplatten um den Reaktor. Der dänische Gast Sören Gregersen sah es ebenfalls locker: Er ist bis heute überzeugt, dass ihm keine Gefahr drohte

Als der Winter 1960/61 vorüber war, hatte sich das Projekt Camp Century eigentlich schon erledigt. Denn am 15. November 1960 war mit dem U-Boot „USS George Washington“ die erste Unterwasserraketenbasis auf Abschreckungspatrouille gegangen; vier weitere folgten bis März 1961.

Über 50 Jahre nach Schließung von Camp Century brachte eine Expedition im Juli 2017 ein internationales Team von Glaziologen an die Stelle, wo die unterirdische Siedlung einst lag. Sie sollen die Qualität des Polarkreises bestimmen und auf Gefahren durch Rückstände der alten Militärsiedlung untersuchen.
Wo einst das Camp Century zehn Meter unter der Oberfläche lag, türmen sich heute Schnee und Eis auf
Quelle: ZDF und Horst Machguth
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Mit jeweils 16 Polaris-Raketen, die aus der Barentssee, der Nordsee, dem östlichen Mittelmeer oder dem Westpazifik abgefeuert werden konnten, erfüllten diese Boote das Ziel der geplanten Raketenstellungen unter dem Eis Grönlands weitaus besser und flexibler. Damit war das Ende von Camp Century absehbar. Die Kubakrise und die anschließende Neuausrichtung der US-Strategie erledigten den Rest.

Bis 1966 benutzte die Army die Tunnelanlage in Grönland noch für verschiedene Zwecke, dann wurde Camp Century verlassen. Den Reaktor nahm die US Army mit, doch mehrere Tausend Tonnen andere Abfälle blieben zurück.

Gegen Ende des 21. Jahrhunderts könnten das frühere Camp und sein Abfall mit dem Schmelzen des eben nicht ewigen Eises ins Meer rutschen. Zwar ergaben ein Expedition des Schweizer Gletscherforscher Horst Machguth, dass es keine erhöhte Radioaktivität gibt.

Zwei Wochen lang lebte die Forschergruppe in der Polarwüste von Nordgrönland. Im Hintergrund das Lager der Expedition 2017. Im Umkreis von 150 km suchten die Forscher mit einem Bodenradar nach den Resten von Camp Century und den problematischen Müll-Lagern.
Das Lager der Forschungsgruppe um Horst Machguth 2017
Quelle: ZDF und Horst Machguth

Insofern ist der Tonfall der entsprechenden Passagen in Bardehles Film sicher allzu dramatisch – der Kalte Krieg hat an Hunderten Stellen auf der Welt gefährlichere Reste hinterlassen als ausgerechnet unter dem Eis Grönlands. An der interessanten Recherche über dieses weitgehend unbekannte Kapitel des Ost-West-Konfliktes ändert das jedoch nichts.

„Stadt unter dem Eis – Kalter Krieg auf Grönland“, 20.15 Uhr, 31. März, ZDF Info; Wiederholung 6. April, 1.15 Uhr, und 7. April, 7. Uhr

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