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Geschichte Hochstapler

Der Mann, der Adolf Hitler erpressen wollte

Wer sich mit einem Diktator anlegt, muss ziemlich dreist sein. Kurt G. W. Lüdecke tat es. Der einstige NSDAP-Verbindungsmann in Italien und den USA schickte dem „Führer“ Ende 1938 ein klares Angebot.
Leitender Redakteur Geschichte
Abfotografiert aus Buch - I Knew Hitler The Story Of A Nazi Who Escaped The Blood Purge, foto von Felix Kellerhoff, Verlag Charles Scribner’s Sons, Abfotografiert aus Buch - I Knew Hitler The Story Of A Nazi Who Escaped The Blood Purge, foto von Felix Kellerhoff, Verlag Charles Scribner’s Sons,
Mit diesem Bild illustrierte Kurt Lüdecke sein Buch. Es zeigt Hitler und ihn vermutlich in den 20er-Jahren bei einer Rast während einer der langen Autofahrten des NSDAP-Chefs
Quelle: Kurt Lüdecke/Charles Scribner’s Sons

Im Jiddischen gibt es das schöne Wort „Chuzpe“. Laut Duden bedeutet es so viel wie „Unverfrorenheit“; die Online-Enzyklopädie Wikipedia definiert den Begriff etwas großzügiger als „eine Mischung aus zielgerichteter, intelligenter Unverschämtheit, charmanter Penetranz und unwiderstehlicher Dreistigkeit“.

Genau das beschreibt das Verhalten von Kurt G. W. Lüdecke (1890–1960), einem weitgehend vergessenen frühen Nazi und späteren Hitler-Gegner. An „Chuzpe“ konnte er ohne Zweifel mithalten mit der Kunstfigur „Felix Krull“ aus dem gleichnamigen Roman von Thomas Mann.

Lüdecke war Hochstapler, Charmeur und Erpresser gleichermaßen. Und er legte sich, obwohl zeitweise durchaus gern gesehen im engeren Kreis um den NS-„Führer“, in den 1930er-Jahren mit Adolf Hitler höchstpersönlich an. Noch erstaunlicher vielleicht: Er überlebte.

Akte zu Kurt Lüdecke, der Mann, der Hitler erpressen wollte.
Die deutsche Botschaft in Washington berichtet über den Erpressungsversuch
Quelle: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes; R 100097

Ganz ähnlich wie Manns Erfindung „Felix Krull“ stammte Lüdecke aus einem großbürgerlichen, aber verarmten Elternhaus. Allerdings hatte sich sein Vater, ein Fabrikdirektor, nicht wie im Roman wegen eines Bankrotts das Leben genommen, sondern war schwer erkrankt und früh gestorben, was die Reserven der Familie aufgebraucht hatte. Ab 1907 musste Lüdecke für sich selbst sorgen; teilweise in Deutschland, meist aber in Frankreich, Italien, Nordamerika und Großbritannien.

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Er schlug sich offenbar auf eine nicht nur damals fragwürdige Weise durch. 1911 wurde eine erste Anzeige aktenkundig; Lüdecke pflege, so hieß es in der Beschuldigung, gleichzeitig Beziehungen zu „Halbweltdamen“ wie zu Homosexuellen. Geld verdiene sich der 21-Jährige unter anderem durch sexuelle Dienstleistungen für ältere Männer, also als Stricher. Zu einer Anklage kam es nicht.

Kurz darauf gab es eine weitere Anzeige, in der es hieß, Lüdecke sei „ein arbeitsscheues und verbrecherisches Individuum, das es nur darauf absieht, vornehme Bekanntschaften zu machen, reiche Frauen kennenzulernen und dieselben zu erpressen“. Auch schon während der Beziehungen bekam er Geld, ob als Bezahlung für Liebesdienste oder als Geschenk, ist nicht auseinanderzuhalten.

Im Ersten Weltkrieg wurde Lüdecke wegen einer geringfügigen Behinderung am linken Fuß nur im Bürodienst eingesetzt; 1917 wurde er als dauernd dienstunfähig aus dem Heer entlassen. Trotzdem behauptete er später, als Seeoffizier am Krieg teilgenommen zu haben.

1919 ging der sprachbegabte und gesellschaftlich gewandte Mann nach Südamerika, um in Deutschland nicht mehr erlaubte Flugzeuge zu verkaufen. Zu Abschlüssen kam es nicht; angeblich, weil sein Auftraggeber nicht liefern konnte. Lüdecke erstritt deshalb 1920 eine Entschädigung von 150.000 Mark – damals etwa 40 Jahresgehälter eines durchschnittlichen Arbeiters. Einen Teil davon legte er in der Schweiz in Dollar an.

Seit 1921 in München, trat er in Verbindung zur NSDAP und bot der noch kleinen Hitler-Bewegung seine Dienste im Ausland an. Der Parteichef, der nur österreichisch gefärbtes Deutsch konnte, aber keine andere Sprache, ging auf das Angebot ein: Lüdecke wurde ein erster Berater in außenpolitischen Fragen.

Auf Hitlers Wunsch traf er Mussolini

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Ende Januar 1923 gab es, wegen verschiedener Vorwürfe, eine Hausdurchsuchung in Lüdeckes Wohnung. Dabei sicherte die bayerische Polizei Beweise, dass sich der knapp 33-Jährige intensiv für die Nationalsozialisten eingesetzt hatte. Eher unwahrscheinlich ist aber, dass er tatsächlich eine Vorläuferorganisation der SS auf eigene Kosten mit Uniformen und (illegalen) Waffen ausgerüstet hatte. Das behauptete der notorische Hochstapler elf Jahre später in einem Brief.

Tatsächlich auf Wunsch Hitlers reiste Lüdecke im September 1923 nach Rom, um Kontakt mit Benito Mussolini aufzunehmen. Das fiel deutschen Diplomaten vor Ort auf, die darüber nach Berlin berichteten. Es waren die ersten von zahlreichen Einzelinformationen über das Wirken des Verbindungsmannes. Sie finden sich heute in mehreren Akten im hervorragend organisierten Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes.

Bis nach dem gescheiterten Hitler-Putsch blieb Lüdecke in Rom, dann kam er nach München zurück. Hier nahm er eine Professoren-Gattin namens Martha Behn aus und kassierte sein erstes Urteil: 200 Reichsmark Geldstrafe oder zehn Tage Haft, wegen Unterschlagung von Schmuck. Mit Details hielt sich das Landgericht München in seiner Begründung zurück, aber offenbar bändelte der fesche Mittdreißiger mit der 25 Jahre älteren Dame an und überredete sie, ihm Teile ihres Familienschmucks zu überlassen.

Nach der Verurteilung zog Lüdecke in die USA. Auf der Überfahrt überredete er einen Deutschen, ihm Geld zu leihen, verschwand aber von Bord, ohne es zurückzuzahlen. In verschiedenen Städten der USA knüpfte er Kontakte zu Auslandsdeutschen, präsentierte sich als halboffizieller Vertreter der NSDAP, hielt antisemitische Reden und warb um Spenden. Sobald er weiterzog, hinterließ er meist offene Hotelrechnungen und Unterstützer, die sich um ihr Geld betrogen sahen.

Eva Brauns private Filme vom „Berghof“

Hitlers Geliebte Eva Braun filmte regelmäßig in der riesigen Alpenresidenz „Berghof“, wo sie viel Zeit verbrachte. Die Bilder prägten das Bild des Diktators und wirken bis heute fort.

Quelle: WELT/Dominic Basselli

Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler kehrte Lüdecke, der inzwischen in den USA verrufen war, nach Deutschland zurück – und wurde fast umgehend inhaftiert, auf Weisung von Hermann Göring persönlich. Er kam zwar rasch wieder frei, wurde aber einige Wochen später erneut festgenommen und in ein Konzentrationslager eingewiesen.

Hier gelang ihm die vielleicht ungewöhnlichste Hochstapelei seiner Karriere: Im März 1934 überredete er den KZ-Kommandanten Werner Schäfer, ihm in Begleitung eines Wachmannes Ausgang zu gewähren, um in Berlin Alfred Rosenberg aufzusuchen, den Leiter des Außenpolitisches Amtes der NSDAP, das im Hotel „Adlon“ logierte.

Weil Lüdecke natürlich keinen Termin hatte, wurde er zu Rosenberg nicht vorgelassen. Doch statt die 35 Kilometer nach Oranienburg zurückzufahren, überredete er seinen Begleiter, in Berlin im Hotel zu übernachten und es am nächsten Tag noch einmal zu versuchen. In der Nacht verschwand er und fuhr auf schnellstem Wege nach Frankreich.

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Im Sommer 1934 reiste er wieder in die USA und setzte hier sein unstetes Hochstaplerleben fort – doch mit immer weniger Erfolg, denn sein Name und seine Maschen waren jetzt zu bekannt. Also wechselte er seine Methode – und schrieb ein Buch. In „I Knew Hitler“ berichtete er vielfach zutreffend, zum Teil auch deutlich übertrieben die Geschichte seiner Kontakte mit der NSDAP.

Verkaufsfördernd stellte er sich selbst als Überlebender des vermeintlichen Röhm-Putsches von Ende Juni 1934 dar – der Untertitel seines Buches lautete: „The Story of a Nazi Who Escaped the Blood Purge“. Die Ermordung von bis zu 200 SA-Führern und einigen Regimegegnern kannte man in den USA unter dem Namen „blutige Säuberung“. Dass Lüdecke schon im März 1934 Deutschland verlassen hatte: unwichtig.

Doch die Verkaufserlöse waren wohl doch nicht befriedigend. Also machte Lüdecke Hitler per Brief an die deutsche Botschaft in Washington Silvester 1938 ein Angebot: Der parteieigene Eher-Verlag sollte doch für einen „substanziellen Betrag“ die Rechte an „I Knew Hitler“ für alle anderen Sprachen außer dem Englischen erwerben – und so verhindern, dass das Buch weiterverbreitet werde. Für einen Autoren ein ausgesprochen eigenwilliges Vorgehen, faktisch nichts anderes als eine Erpressung.

Doch anders als einige ältere Damen, denen Lüdecke mit der Veröffentlichung von Details aus ihrem Liebesleben gedroht hatte, gab Hitler nicht nach. Er ließ sich den Fall zwar vortragen, fällte aber keine Entscheidung. Daraufhin entschied Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, die Angelegenheit „dilatorisch“ zu behandeln – also gar nichts zu tun.

Lüdecke beantragte enttäuscht die US-Staatsbürgerschaft, die ihm angesichts seiner antisemitischen Hetzreden, zahlreicher Zeugenaussagen und der Verurteilung in Deutschland allerdings verweigert wurde. Ausgewiesen wurde der inzwischen von Deutschland ausgebürgerte Mann aber auch nicht.

Erst 1948 forderte die US-Einwanderungsbehörde ihn auf, in sein Heimatland zurückzukehren. Lüdecke lebte die letzten zwölf Jahre seines Lebens in Prien am Chiemsee. Wovon, ist nicht bekannt. Auf Deutsch ist sein Kolportagebuch jedenfalls nie erschienen – obwohl die Erpressung nicht gelungen war.

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Das Bild trägt eine mit dunkelblauer Tinte geschriebene Widmung des Diktators. Über den Käufer oder den bisherigen Besitzer des Fotos wollte das Auktionshaus keine Angaben machen.

Quelle: WELT/Kevin Knauer

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