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Geschichte Stella Goldschlag

Das „blonde Gift“, das für die Gestapo Juden jagte

In der Zeit des Nationalsozialismus muss die Jüdin Stella Goldschlag Zwangsarbeit leisten. Im Februar 1943 taucht sie unter, wird jedoch nur wenige Monate später gefasst. Dann schließt sie einen „Pakt mit dem Teufel“.
Leitender Redakteur Geschichte
Die jüdische "Greiferin" Stella Goldschlag Die jüdische "Greiferin" Stella Goldschlag
Stella Goldschlag im Zweiten Weltkrieg und im März 1946 bei ihrem ersten Prozess
Quelle: Archiv Kellerhoff

Der Roman „Stella“ von Takis Würger löste bei seinem Erscheinen 2018 extrem widersprüchliche Reaktionen bei Kritikern aus. Das Spektrum reichte von „einem Ärgernis, eine Beleidigung, ein Vergehen“ bis zu „kurzweilig“.

Ob Würgers Buch nun Literatur ist oder eine Zumutung – spannend ist vor allem die Geschichte, die dahintersteckt. Denn Stella gab es wirklich. Geboren 1922 als Stella Goldschlag, wechselte sie fünfmal durch Heirat ihren Nachnamen. Dies sicherlich auch, weil sie als die berüchtigtste jüdische „Greiferin“ im nationalsozialistischen Berlin galt. Die Gestapo setzte sie ein, um untergetauchte Juden aufzuspüren.

Bei der Jagd nach diesen „U-Booten“ beschränkten sich die NS-Behörden nämlich nicht auf Zufälle. Mit großer Energie arbeiteten Polizisten und Verwaltungsbeamte vielmehr daran, möglichst alle noch nicht deportierten und nicht mit Christen verheirateten und deshalb bis auf Weiteres geschützten „Nichtarier“ aufzuspüren. Fast jeder Hinweis auf untergetauchte (im Jargon der Gestapo: „geflitzte“) Juden führte zu Ermittlungen.

Ungefähr 20 Berliner, die aus vermeintlich rassischen Gründen selbst verfolgt wurden, hatten sich unter massivem Druck bereitgefunden, für die SS auf die Jagd zu gehen – das entlastete die personell knapp besetzte Gestapo der Reichshauptstadt. Die Historikerin Doris Tausendfreund hat in ihrer Doktorarbeit „Erzwungener Verrat“ diese besonders widerliche Facette der Judenverfolgung in Berlin detailliert aufgearbeitet.

„Die Unsichtbaren - Wir wollen leben“

Basierend auf realen Interviews, zeigt das Drama wie Juden versuchen unter dem Nazi-Regime des zweiten Weltkriegs in Berlin unerkannt zu bleiben. Sie kämpfen für ein Leben in Freiheit und haben nur wenig Vertraute.

Quelle: Tobis

Wohl keiner der „Greifer“ war im Sinne der Nazis effektiver als die blonde und auffallend schöne Stella. Sie hatte als Jüdin selbst Zwangsarbeit leisten müssen, war dann nach der „Fabrikaktion“ Ende Februar 1943 untergetaucht, unter anderem mit einer vom jüdischen Meisterfälscher Cioma Schönhaus fabrizierten polizeilichen Anmeldung.

„Pakt mit dem Teufel“

Doch am 2. Juli 1943 hatten Gestapo-Männer Stella festgenommen. Nach tagelangen Verhören und Folterungen ließ sie sich auf einen „Pakt mit dem Teufel“ ein: Fortan jagte sie untergetauchte Juden – im Gegenzug sollten ihre Eltern und sie selbst von der Deportation verschont bleiben.

Mit dem Instinkt, den sie in den Monaten ihres eigenen illegalen Lebens entwickelt hatte, mit ihren Kontakten und ihrem selbstsicheren Auftreten entwickelte sie sich in den folgenden Monaten zur idealen Jägerin. Stellas Verrat sickerte zwar durch, aber nur unter jenen „U-Booten“, die nicht aus Sicherheitsgründen alle Kontakte zu anderen Juden abgebrochen hatten.

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Der untergetauchte Walter Frankenstein zum Beispiel hörte den Namen von seiner Helferin Edith Berlow. Stella galt als „das blonde Gift“ und „der Schrecken vom Kurfürstendamm“. Denn vor allem im ehemals eleganten Westen sowie in Mitte ging sie auf die Jagd nach illegalen Juden.

Aufsehenerregend war eine Enttarnung, die Stella am 16. Dezember 1943 in der Staatsoper gelang. Die untergetauchte Familie Zajdmann hatte sich für diesen Abend Opernkarten organisiert, um einen Abend in Wärme und Sicherheit vor Verfolgung zu verbringen. Doch Stella erkannte den Sohn Moritz Zajdmann und packte ihn am Gürtel. Zwar konnte er sich losreißen, doch Stella schrie: „Festhalten, Jude!“ und stürmte zum nächsten Telefon, um die Gestapo zu informieren. Moritz wurde von einigen Berlinern der Weg versperrt, sein Vater Abraham stellte sich vor die Kollaborateurin und rief: „Wir sind Juden, keine Verbrecher.“

Die bevorzugte „Jagdmethode“ der Stella Goldschlag

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Normalerweise gingen Stella und ihresgleichen aber anders vor. Sie verfügten zwar über amtliche Ausweise mit Foto, die sie berechtigten, „Maßnahmen in Judenangelegenheiten“ vorzunehmen. Doch Erfolg versprechender war es, sich selbst als „Illegale“ zu tarnen.

Eva Ronsfeld arbeitete als „Mischling ersten Grades“ im Sammellager Große Hamburger Straße, von dem aus Deportationen nach Theresienstadt und in die Vernichtungslager im Osten stattfanden. Sie erinnerte sich: „Mit der Stella hatte ich mich quasi angefreundet. Diese Art Freundschaft nutzte ich aus, um von ihr über ihre Spitzeltätigkeit Näheres zu erfahren. Sie hat sich mir gegenüber oftmals damit gebrüstet, diesen oder jenen abgeholt beziehungsweise abgefangen zu haben.“

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Quelle: Reuters

Ihre bevorzugte „Jagdmethode“ war, dass sie illegal lebende Juden ansprach und diesen anbot, für sie Lebensmittel zu beschaffen. Personen, die Stellas Ruf nicht kannten, gingen oft darauf ein und kamen dann am nächsten Tag oder etwas später zu einem verabredeten Treffpunkt. Dort nahmen Gestapo-Beamte sie dann fest.

Allerdings gab es auch „Greifer“, die versteckt lebende Juden warnten. Sogar Stella half manchmal, trotz ihres sonst vielfach belegten Fahndungseifers. Für ihren ehemaligen Kinderarzt Fritz Gottschalk und dessen Ehefrau Margarete war sie „der gute Stern“. Sie warnte beide, sobald ihr bekannt wurde, dass sie abgeholt werden sollten. Auf ein bestimmtes Stichwort hin verließ das Ehepaar die Wohnung und hielt sich verborgen, sodass die Gestapo sie nicht antraf. Auch dem untergetauchten Robert Zeiler gab sie den Tipp, schnell zu verschwinden, damit er nicht bei einer bevorstehenden Razzia verhaftet werden würde.

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Quelle: WELT

Bis etwa zum Jahreswechsel 1944/45 verriet sie untergetauchte Juden, dann verweigerte sie sich. Immer öfter. Ihre Eltern waren im Frühjahr 1944 nach Theresienstadt deportiert und im Herbst 1944 in Auschwitz-Birkenau ermordet worden. Als im März 1945 das Dritte Reich in Auflösung überging, setzte Stella sich hochschwanger nach Brandenburg ab.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt

Im Dezember 1945 stellte sie einen Antrag, als Verfolgte des NS-Regimes anerkannt zu werden, wurde als die berüchtigte „Greiferin“ identifiziert und festgenommen. Vorher verlor sie noch ihren Stolz, die blonde Mähne – ob empörte Überlebende ihr die Haare ausrissen oder ob sie wie Kollaborateurinnen in den Niederlanden und Frankreich geschoren wurde, ist ungewiss.

Im Juni 1946 verurteilte das Sowjetische Militärtribunal Stella Goldschlag wegen ihrer Tätigkeit für die Gestapo zu zehn Jahren Arbeitslager. Sie war unter anderem im ehemaligen KZ, jetzigen Speziallager Sachsenhausen, im Frauengefängnis Hoheneck und im Gefängniskrankenhaus Waldheim inhaftiert. Nach der Entlassung zog sie nach West-Berlin und wurde hier 1956/57 in einem weiteren Prozess wegen Beihilfe zum Mord in einer unbekannten Zahl von Fällen zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Strafe galt allerdings durch die Haft in der SBZ und DDR als verbüßt.

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Sie heiratete noch dreimal und lebte mit ihrem letzten Mann bis Anfang der 80er-Jahre unbehelligt in West-Berlin. Nach dessen Tod zog sie ins idyllische Freiburg im Breisgau. Dort spürte sie ihr ehemaliger Klassenkamerad Peter Weidenreich auf, der wegen seiner Verfolgung als Jude 1937 in die USA geflüchtet war und unter seinem neuen Namen Peter Wyden ein bekannter Journalist wurde. Er führte drei Interviews mit ihr und veröffentlichte über ihr Leben ein Buch, das 1992 erschien, auf Deutsch 1993. Im folgenden Jahr nahm sich Stella Goldschlag durch einen Sprung aus dem Fenster ihrer Wohnung das Leben.

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