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Geschichte Erster Weltkrieg

In Papua-Neuguinea gibt der letzte deutsche Soldat auf

Mitte Dezember 1918 geht Hermann Detzner, Hauptmann in Neuguinea, in Kriegsgefangenschaft. Vier Jahre habe er Widerstand geleistet, schreibt er in seinen Memoiren. Das ist nicht die ganze Wahrheit.
Native troops being trained by German reservists in New Guinea during World War I Date: 1914 (Mary Evans Picture Library) | Nur für redaktionelle Verwendung., Keine Weitergabe an Wiederverkäufer. Native troops being trained by German reservists in New Guinea during World War I Date: 1914 (Mary Evans Picture Library) | Nur für redaktionelle Verwendung., Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Deutsche Freiwillige und ihre einheimischen Hilfswilligen in Papua-Neuguinea 1914
Quelle: picture-alliance / Mary Evans/Robert Hunt Collectio

Die kaiserlichen Soldaten, die am 10. Dezember 1918 in Berlin durch das Brandenburger Tor ziehen, werden wie Sieger gefeiert. Auf einer mit Tannenzweigen geschmückten Tribüne steht der Vorsitzende des Rates der Volksbeauftragten, Friedrich Ebert, ruft den Feldgrauen zu: „Kein Feind hat Euch überwunden. Erst als die Übermacht der Gegner an Menschen und Material immer drückender wurde, haben wir den Kampf aufgegeben.“ Und schwenkt seinen Hut.

„Es war ein scheinbar fröhliches Bild. Hurrageschrei und Tücherschwenken“, erinnert sich der Unternehmer und Kunsthistoriker Oskar Münsterberg später an diesen warmen, regnerischen Tag und die Parade der Kriegsheimkehrer. „Aber grauer Nebel lagerte doch wie ein Schatten über der Stimmung.“

Denn das Deutsche Reich hat nicht einfach aufgegeben. Es ist nach mehr als vier Jahren Krieg ausgebrannt, überwunden, besiegt. Am 11. November unterzeichnen die Deutschen den erbetenen Waffenstillstand, zwei Wochen später legt in Ostafrika auch General Paul von Lettow-Vorbeck mit den letzten Soldaten der Schutztruppe die Waffen nieder.

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Hermann Detzner, Kolonialkrieger
Hauptmann Hermann Detzner, Kolonialkrieger
Quelle: Wikimedia / Public Domain

Aber an einem Ort der Erde ist Deutschland zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz besiegt: in Papua-Neuguinea. Dort, dem damaligen Deutsch-Neuguinea, geht der Hauptmann Hermann Detzner erst Mitte Dezember 1918 in Gefangenschaft. Er ist der allerletzte deutsche Soldat im Ersten Weltkrieg, der die Waffen streckt.

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Detzner ist ein kleiner, drahtiger Mann, Berufsoffizier, geboren in Speyer. Kurpfälzer schickt die Kolonialverwaltung damals gerne in die Tropen – sie halten das schwülheiße Klima angeblich besser aus als Männer aus Ostpreußen oder Kurhessen. Einige Jahre schiebt Detzner in Kamerun Dienst, Anfang 1914 wird er nach Deutsch-Neuguinea versetzt und landet in Rabaul auf der Insel Neupommern im Bismarck-Archipel, dem damaligen Sitz des deutschen Gouverneurs. Am 13. Dezember 1918 ist Detzner auf einem australischen Schiff wieder auf dem Weg nach Rabaul. Es wird seine letzte Fahrt als deutscher Offizier in dem nordpazifischen Schutzgebiet des Reiches sein.

Erst wenige Tage zuvor hat Detzner im Landesinneren, dem Kaiser-Wilhelmsland, davon erfahren, dass der Krieg vorbei ist – und verloren. Was der Hauptmann kaum glauben kann. Hat es in den letzten Meldungen, die mit monatelanger Verspätung nach Deutsch-Neuguinea durchgesickert sind, nicht geheißen, Russland sei besiegt? Hat das Jahr 1918 nicht mit großen Siegen in Frankreich begonnen?

Im Dezember dringen schließlich Boten der Alliierten zu ihm durch, die ihn auffordern, aus dem Dschungel an die Küste zu kommen. „Ich wünsche, Sie heute Nachmittag in Finschhafen zu sehen“, schreibt der australische Captain M. J. Dillane. Detzner kommt und findet „einen wohlbeleibten, ständig schwitzenden Offizier mit Hauptmannsabzeichen“ vor, wie er in seinem 1921 erschienenen Buch „Vier Jahre unter Kannibalen“ schreibt: „Formelle Begrüßung!“

Der britische Oberbefehlshaber will den deutschen Hauptmann in Rabaul treffen, dem ehemaligen Simpsonhafen. Man schifft sich in Finschhafen ein, fährt in Richtung Süden an Hänisch-Hafen und Preußen-Reede vorbei. Detzner steht an Deck und blickt auf die Küste und das aufsteigende Hinterland, die Deiznerhöhe und den Sattelberg. „Da erhob sich Captain Dillane von seinem Sitz, riss seine dicke Gestalt zusammen und sprach zu mir: ,Ich bitte Sie, sich als kriegsgefangenen Offizier zu betrachten‘“, schreibt Detzner. „Dann ließ er sich wieder schwerfällig auf seinen Sitz fallen.“

Kannibalen in Papua Neuguinea, Buch, "Vier Jahre unter Kannibalen" von Hermann Detzner Geschichte von Sven Felix Kellerhoff
Krieger der Papua bevorzugen als Waffe Pfeil und Bogen
Quelle: .

Das Einzige was der Deutsche dazu gesagt haben will, ist der Satz: „Ihr Benehmen ist eines Gentlemans unwürdig.“ Detzner ist von seiner Gefangennahme überrascht, tut zumindest so. Aber was hat er erwartet? Dass sich seine Gegner mit ihm nur zum Tee treffen wollen? Jedenfalls ist mit dieser Szene vor der Küste Neuguineas der Erste Weltkrieg endgültig vorbei. Tage vorher hatten die Australier noch mit einer Blockade des Schutzgebiets und Repressalien gegen die deutschen Pflanzer gedroht, sollte der widerspenstige Hauptmann nicht endlich aus dem Busch kommen und sich ergeben.

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Das und das Datum der Gefangennahme sind gesichert. Ob sich die Szene so abgespielt hat und Detzners Schilderung seines jahrelangen Widerstands gegen die Briten und Australier im Nordosten Guineas der Wahrheit entspricht, bleibt dagegen zweifelhaft. Das Buch „Vier Jahre unter Kannibalen“ ist einerseits ein wahres Füllhorn an Erkenntnissen – aber andererseits ein Fantasieroman. Erstaunlich gut sind die Beschreibung von Natur und Menschen im Nordosten der Insel Neuguineas. Detzners ethnologische, botanische und zoologische Studien sind die ersten, die jemals über diesen Teil der Erde schriftlich festgehalten werden.

Die Abenteuer des Hauptmanns Detzner entpuppen sich jedoch als vielfach erfunden oder stark übertrieben, wie deutsche Missionare nach Kriegsende glaubhaft versichern. Der „letzte Aufrechte“, der Kämpfer bis fünf nach zwölf, der in den 20er-Jahren ungeheuer populär in Deutschland wird, hat nicht in erster Linie mit der alliierten Übermacht gerungen. Wer sein Buch aufmerksam und mit Muse liest, erkennt: Detzner hat vier Jahre lang in den Hochlandwäldern von Kaiser-Wilhelmsland vor allem ums eigene Überleben gekämpft. Was ohne die Errungenschaften der westlichen Zivilisation, ohne Medikamente und technische Hilfsmittel und auf einer Insel, die zwar reich an vielen Bodenschätzen, aber arm an Salz ist, an sich schon eine erstaunliche Leistung ist.

Kannibalen in Papua Neuguinea, Buch, "Vier Jahre unter Kannibalen" von Hermann Detzner Geschichte von Sven Felix Kellerhoff
Der Buchumschlag von Hermann Detzners "Vier Jahre unter Kannibalen"
Quelle: .

Das Deutsch Reich hatte sich 1885 auch im nördlichen Pazifik noch schnell einen Platz an der Sonne gesichert. Für die Briten war klar, dass der Ostteil Neuguineas selbstverständlich Teil ihrer Interessenssphäre ist. Die Verwaltung in Australien war bereits dabei, von dem riesigen Gebiet östlich Niederländisch-Guineas Besitz zu ergreifen, aber die Regierung in London bremste. Man war dort gerade mit der Annektion Ägyptens beschäftigt. Und wer würde schon Interesse an Neuguinea haben, glaubte der damalige Kolonialminister des Empires, Edward Stanley, Earl of Derby?

Die Deutschen hatten es, weil schon Pflanzer aus dem Reich dort aktiv waren. Sie nutzten den günstigen Augenblick, hissten die Reichsfahne und handelten den einheimischen Stämmen sogenannte Schutzverträge ab. London akzeptierte schließlich zähneknirschend die deutsche Inbesitznahme. Und binnen kurzer Zeit rafften die Deutschen im Nordpazifik ein nach Fläche gigantisches Kolonialreich zusammen. Neben Teilen Neuguineas, dem Kaiser-Wilhelmsland, gehörten Neupommern dazu, der Bismarck-Archipel, die nördlichen Salomon-Inseln, die Karolinen die nördlichen Marianen, Palau, Nauru, die Marshallinseln und viele mehr.

Es dauerte Wochen, per Schiff von einem Ende dieses Schutzgebietes zum anderen zu fahren. Aber der überwiegende Teil dieses Kolonialreiches bestand aus – Wasser. Und auf den meisten der vielen Inseln ließ sich bis 1914 nie ein Deutscher blicken, oder die Verwaltung reichte von ein paar Orten an der Küste höchstens wenige Kilometer ins Innere. Bei der einzigen kompletten Volkszählung 1912 wurden 478.843 Indigene ermittelt – und 772 deutsche Einwohner.

Ein solches Territorium war im Kriegsfall nicht zu verteidigen. Die „Armee“ vor Ort bestand aus 16 Europäern und 597 Indigenen sowie 61 wehrfähigen deutschen Zivilisten. Als die Australier Mitte August 1914 mit einer mächtigen Schlachtflotte und einem Heer südlich von Rabaul landeten, kam es zum einzigen, knapp vierstündigen Gefecht. Die meisten Deutschen waren da schon zermürbt und krank. „Sie zitterten vor Angst, weinten oder stahlen sich davon“, stellte der Reserveleutnant Emil Kempf missbilligend fest.

Kannibalen in Papua Neuguinea, Buch, "Vier Jahre unter Kannibalen" von Hermann Detzner Geschichte von Sven Felix Kellerhoff
Detzner sieht die Einheimischen mit den Augen eines europäischen Rassisten – die Original-Bildunterschrift lautet: "Papua-Weiber, Verpflegung heranschaffend"
Quelle: .

Hermann Detzner bekommt von alldem nichts mit, er erfährt vom Krieg überhaupt erst im November 1914, als er von einer Erkundungstour im Inneren Neuguineas zurückkehrt. Er eilt an die Küste, doch dort sitzen entweder schon die Australier, oder die europäischen Siedlungen sind nicht mehr nutzbar.

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Detzner entscheidet sich „Widerstand in den Bergen“ zu leisten, wie er schreibt. Tatsächlich wird es ein Widerstand gegen die Naturgewalten. Vier Jahre zieht er durch das Land. Auf der Suche nach Nahrung und Schutz vor Regen und Hitze. Er beschreibt endlose Fußmärsche, undurchdringliche Wälder und Stämme in den Hochtälern, die noch nie Menschen anderer Völker zu Gesicht bekommen haben, geschweige denn einen Europäer. Die Australier machen sich nicht die Mühe, den deutschen Hauptmann und seine paar Getreuen zu verfolgen.

Hermann Detzner ist der erste Weiße, der diesen Teil Guineas erkundet. Er berichtet von Kriegern in Grasröcken und mit Pfeil und Bogen, dem ständigen Mangel an Salz, Festmählern mit Menschenfleisch, scheuen und feindlichen Stämmen und gastfreundlichen Menschen. Und immer wieder findet er Dörfer, die mit der Reichsflagge geschmückt sind – behauptet er zumindest.

Royal Australian Flotilla HMAS Farramata secured to the bank, 400 miles up the Sepik River in New Guinea during World War I Date: 1914 (Mary Evans Picture Library) | Nur für redaktionelle Verwendung., Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Ein australisches Flußkriegsschiff in Neuguinea 1914
Quelle: picture-alliance / Mary Evans/Robert Hunt Collectio

Detzner berichtet mit viel Pathos und dem Überlegenheitsgefühl der Deutschen, aber auch mit Leidenschaft, fast schon Zuneigung über dieses schroffe, für Europäer lebensfeindliche Land und seine Menschen. Manchmal läse es sich wie Karl May, wenn Detzners Prosa denn nur etwas flüssiger und die Handlung dichter erzählt wäre.

Was Fiktion und was wahr ist, wird sich nie eindeutig klären lassen. Dreimal bricht Hermann Detzner angeblich zu großen Märschen auf und versucht mit einer Handvoll Papuas nach Niederländisch-Neuguinea, also auf neutrales Territorium zu entkommen. Dreimal scheitert er – an den endlosen Entfernungen, an Hitze und sogar Schnee, an Hunger und Krankheit.

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Anfang Dezember 1918 ist der Schutztruppenoffizier schließlich mürbe. Hermann Detzner feiert ein letztes Fest mit den Papua. „Im blendend weißen Hängekleid, mit der schwarz-weiß-roten Schärpe angetan, durchschritt ein Mädchen vom Stamm der Kate den Festplatz und trat vor uns Europäer hin. In deutscher Sprache trug sie ein Gedicht vor“, schreibt Detzner über seinen Abschied. Dann übergibt das Mädchen einen „Grasbeutel voller Silberlinge“, für ein Kriegerdenkmal in Deutschland.

Was mit dem Geld passiert, schreibt Hermann Detzner nicht. Aber 1932 muss er gestehen, dass große Teile der Geschichte seines Buches übertrieben oder sogar frei erfunden sind. Er fällt bei seinem bislang begeisterten Publikum in Ungnade. Nicht einmal die Nazis wollen sich mehr mit ihm schmücken. Für eine Rückkehr in die einstigen Kolonien interessieren sie sich noch weniger. Obwohl der Kolonialkrieger Detzner, der 1970 im Alter von 88 Jahren in Heidelberg verstirbt, am Ende seines Buches den Papua doch versprochen hat: „Wir kommen wieder.“

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