Wenn von „den Freunden“ die Rede war, dann standen Stasi-Leute innerlich stramm – bis hinauf in die Generalität des DDR-Geheimdienstes. Denn „die Freunde“ wurden die sowjetischen Genossen vom KGB (und vom Militärgeheimdienst der Roten Armee GRU) respektvoll genannt. Also diejenigen, die 1947 den Vorläufer des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gegründet hatten und die Geheimpolizei der SED-Diktatur mehr als vier Jahrzehnte lang fast nach Belieben steuerten.
Jetzt ist der Stasi-Dienstausweis für Wladimir Wladimirowitsch Putin in Aktenbeständen der Dresdner Außenstelle des Stasiunterlagen-Archivs aufgetaucht. Der Ausweis war am 31. Dezember 1985 ausgestellt und bis Ende 1989 immer wieder verlängert worden. Mit dem Dokument konnte Putin Dienststellen der Stasi betreten, ohne kontrolliert oder aufgehalten zu werden, erklärte Konrad Felber, Leiter der Außenstelle.
Zum Beispiel auch, um in Kantinen des MfS essen zu gehen. Der Ausweis bedeute „aber nicht automatisch, dass Putin für die Stasi gearbeitet“ habe, ergänzt Felber, der 1989/90 als Bürgerrechtler selbst aktiv an der Auflösung der DDR-Staatssicherheit beteiligt war und seit 20 Jahren die BStU-Filiale in Dresden leitet.
Im Gegenteil gab es sogar eine förmliche Anweisung, KGB-Offiziere in der DDR mit MfS-Ausweisen auszustatten. Im Artikel V eines am 29. März 1978 von Erich Mielke und dem KGB-Chef Juri Andropow unterschriebenen Protokoll hieß es: „Die Verbindungsoffiziere der Vertretung des KGB beim MfS der DDR (...) werden zur Erfüllung ihrer (...) Aufgaben mit Dienstdokumenten des MfS der DDR ausgerüstet, die es ihnen gestatten, die Diensträumlichkeiten des MfS der DDR zu betreten.“
Der amtierende Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin, der seit 1975 für den KGB arbeitete, war 1985 in die DDR gekommen, offiziell als Mitarbeiter des örtlichen KGB-Verbindungsoffiziers zur Stasi. Das wäre eine untergeordnete Funktion gewesen. Doch schon der Hauptmann, später Major und dann Oberstleutnant des KGB flößte seinen Gesprächspartnern beim DDR-Geheimdienst offenbar tüchtigen Respekt ein.
Bis heute ist nicht klar, worin genau Putins Aufgabe in Dresden bestand. Einige überlieferte Aktenfragmente und zwei dienstliche Auszeichnungen deuten darauf hin, dass er wichtiger war als sein Rang und seine formale Funktion andeuten. Jedenfalls ließ er ein robustes Selbstvertrauen erkennen, auch im Kontakt mit deutlich höherrangigen Stasi-Offizieren.
Das zeigt ein Schreiben von Putin an Generalmajor Horst Böhm, den Chef der Dresdner Stasi, von September 1989. Darin bat er, in einem nicht näher ausgeführten Vorgang „wirksame Unterstützung zu leisten“. So schrieb kein subalterner Agent.
Grundsätzlich gab es in allen 15 sogenannten Bezirken der DDR ein Verbindungsbüro des KGB zur örtlichen Staatssicherheit. Das war an sich in einem so hierarchisch organisierten Herrschaftssystem wie dem Ostblock nicht ungewöhnlich. „Den Freunden“ waren die Stasi-Offiziere hinsichtlich ihrer fachlichen Arbeit unterstellt; der KGB konnte jederzeit eingreifen.
Daneben agierten die sowjetischen Kollegen aber auch aus eigener Macht in der DDR, und zwar meist ohne der Staatssicherheit darüber etwas mitzuteilen oder höchstens einen Hinweis zu geben, man kümmere sich selbst um etwas. Ein Spitzel, der für „die Freunde“ arbeitete, war für das MfS meistens sakrosant.
Aktenbestände in Moskau, die etwas über Putins Aufgaben in der DDR offenbaren würden, dürften längst gesäubert sein – immerhin herrscht der Präsident seit fast 20 Jahren mit beinahe absoluter Macht über Russland. Es gibt Indizien, aber nicht mehr, dass Putin ein eigenes Agentennetz in der DDR geführt haben könnte.
Sicher ist: Putin war Augenzeuge, als Anfang Dezember 1989 DDR-Bürger auch in Dresden die Immobilien der Stasi besetzten — und zumindest das Verbindungsbüro des KGB in der Angelikastraße belagerten – keine 50 Meter entfernt von der Bezirksverwaltung des MfS an der Bautzener Straße. Er war gerade dabei, Geheimakten in den Reißwolf zu schieben, als empörte Dresdner Einlass verlangten. Nach seinen eigenen Aussagen griff Oberstleutnant Wladimir Putin, gerade 37 Jahre und noch deutlich schmächtiger als heute, zu einer List, zur typisch sowjetischen Taktik der „Maskirowka“. Also einem Ablenkungsmanöver.
Er sei nur der Dolmetscher, log Putin – zu diesem Zeitpunkt war er in Wirklichkeit sicher mindestens stellvertretender Abteilungsleiter. Die Demonstranten beruhigten sich und zogen nach kurzer Zeit wieder ab. Das war nicht die letzte, aber sicher eine ganz wesentliche Erfahrung, die er in seinen Jahren in der DDR machte.
Sein jetzt aufgetauchter Stasi-Ausweis ruft in Erinnerung, dass Putin eben nicht einfach ein Repräsentant der Vormacht der Sowjetunion war, sondern ein harter und selbstverständlich völlig skrupelloser Geheimdienstoffizier, der auf der KGB-Hochschule in Moskau eine entsprechende Ausbildung absolviert hatte. „Ein Freund“, den seine Kollegen beim MfS fürchteten. Einer, der es sich erlauben konnte, locker die wenigen Meter von seinem Büro hinüber in die Stasi-Bezirksverwaltung zu gehen, um dort jemanden zu treffen oder eben auch schlicht essen zu gehen.
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