Ein Routineflug, nichts Besonderes. Am Sonntagmorgen, dem 3. Juli 1988, von Teheran mit einer Zwischenlandung in Bandar Abbas und dann quer über den Persischen Golf nach Dubai. Der 37-jährige Kapitän Mohsen Rezaian hatte seinen Airbus A-300, Kennzeichen: EP-IBU, fraglos im Griff. Aber kein Pilot kann eine Maschine retten, deren linker Flügel von den Splittern zweier detonierender Flugabwehrraketen zerrissen wird.
Wenige Minuten nach dem Start von Flug Iran-Air 655 in Bandar Abbas erschien nämlich ein Echo auf dem Radarsystem der USS „Vincennes“. Der Lenkwaffen-Kreuzer der US Navy bekämpfte gerade in diesem Moment iranische Schnellboote, die ihn beschossen.
Seit dem Frühjahr 1987 herrschte ein unerklärter Krieg zwischen dem Iran und der US Navy im Persischen Golf. Um den Weltölmarkt unter Druck zu setzen, attackierten Milizen des Mullahstaates Tanker auf dem Weg auf den Indischen Ozean. Um das zu unterbinden, hatte die 5. US-Flotte mehrere Schiffe in diese Kampfzone geschickt. Doch die Iraner legten Minen, griffen mit kleinen, schnellen Booten Zivil- und auch Kriegsschiffe an.
Wie gespannt und gefährlich die Lage im Persischen Golf war, hatte sich im Mai 1987 gezeigt: Ein irakischer Düsenjet vom Typ Mirage hatte mit zwei Anti-Schiffsraketen die US-Fregatte USS „Stark“ angegriffen und getroffen; 37 Seeleute starben, das Schiff wurde schwer beschädigt. Dabei unterstützten die USA den Irak unter dem Diktator Saddam Hussein seinerzeit sogar im Kampf gegen den fundamentalistischen Iran.
Auf der Brücke der USS „Vincennes“ herrschte höchste Anspannung. Denn der Iran verfügte über Anti-Schiffsraketen des chinesischen Typs Seidenraupe, modernisierten Nachbauten des sowjetischen Modells SS-N-2. Diese knapp unterschallschnellen Flugkörper mit mehr als einer halben Tonne Sprengstoff konnten einen Kreuzer wie die USS „Vincennes“ versenken und selbst einen der riesigen US-Flugträger schwer beschädigen.
Kaum war das Signal um 10.47 Uhr Ortszeit registriert, schickte das Freund-Feind-Identifikationssystem der „Vincennes“ eine automatisierte Anfrage an die näher kommende Maschine, deren Transponder antwortete. Doch das System der „Vincennes“ zeigte gleichzeitig einen zivilen wie einen militärischen Kontakt an.
Im selben Moment warnte das automatisierte Kampfsystem des Kreuzes, das hochmoderne und gerade erst seit fünf Jahren Schritt für Schritt eingeführte Aegis, das anfliegende Objekt sei als iranische F-14 „Tomcat“ identifiziert, als schwere Jäger und Jagdbomber aus US-Produktion also, die in den 1970er-Jahren in den damals noch vom Schah regierten Iran exportiert worden waren.
Kapitän William C. Rogers, der Kommandeur der USS „Vincennes“, hatte die Warnungen von US-Geheimdiensten gelesen, die Iraner könnten vor dem amerikanischen Nationalfeiertag am 4. Juli versuchen, einen Schlag gegen die US Navy zu führen. Nun musste er entscheiden. Die Alternative war klar: Entweder es handelte sich tatsächlich um einen Ziviljet und nichts passierte. Oder es war eine „Tomcat“, die sein Schiff angriff – dann würde es schwere Verluste geben, vielleicht würde sogar der Kreuzer sogar versenkt werden.
Um 10.49 Uhr ließ der Kapitän auf der militärischen Notfrequenz für den Persischen Golf eine dringende Warnung verbreiten, doch es gab keine Reaktion. Eine Minute später wurde die Warnung auf den zivilen und den militärischen Frequenzen wiederholt. Doch offenbar hörten Mohsen Rezaian und sein Co-Pilot im Cockpit des iranischen Airbus diese Warnung nicht – sie waren gerade damit beschäftigt, den Sinkflug auf den Flughafen von Dubai einzuleiten.
Das wiederum registrierte das Aegis-System und erkannte darin die typische Flughöhenänderung im Zuge eines Angriffs auf ein Kriegsschiff. Es folgte eine dritte, nun brutal klare Drohung: Wenn sich das unbekannte Flugobjekt nicht sofort identifiziere, werde es abgeschossen. Wieder keine Reaktion. Um 10.54 Uhr gab Kapitän Rogers Feuer frei: Zwei Flugkörper vom Typ Standard Missile-2 schossen in den Himmel.
Die Entfernung betrug acht Seemeilen, die Höhe des Ziels 13.500 Fuß. Die mit Mach 3,5 fliegenden Raketen erreichten ihr Ziel in weniger als einer Minute. Gegen die jeweils 113 Kilogramm Splitter und Sprengstoff im Gefechtskopf dieser Waffen gab es für den Airbus keine Rettung: Alle 290 Menschen an Bord, darunter 66 Kinder, kamen ums Leben.
Noch am selben Tag bestätigte die US-Regierung, dass ein US-Kreuzer im Persischen Golf ein unbekanntes Flugobjekt abgeschossen habe. Wenige Tage später ergab eine erste, eilige Untersuchung, dass Kapitän Rogers korrekt gehandelt habe: Er musste demnach sein Schiff vor einem mutmaßlichen Angriff verteidigen.
Doch schon gut einen Monat später wurde diese erste Einschätzung wieder kassiert: Nun sprach US-Verteidigungsminister Frank Carlucci von einer tragischen Verkettung unglücklicher Umstände. Angesichts der Konfrontation zwischen den USA und dem Iran war zu dieser Zeit mehr wohl nicht möglich. Vizepräsident George H. W. Bush, gerade im Wahlkampf um die Nachfolge von Ronald Reagan, lobte Kapitän Rogers und nahm ihn gegen Kritik in Schutz, ein zu aggressiver Kommandeur zu sein.
Neun Monate später wurde der Privatwagen von Rogers in San Diego (US-Bundesstaat Kalifornien) mit einer Rohrbombe in die Luft gesprengt; seine Frau überlebte den Anschlag unverletzt, er selbst war nicht in der Nähe. Rogers wurde von der „Vincennes“ versetzt und erhielt eine Ehrung für seinen Dienst an Bord des Kreuzers, wobei auf den Abschuss des iranischen Airbus nicht eingegangen wurde. Rogers übernahm noch für zwei Jahre einen gut dotierten, aber unauffälligen Posten als Ausbilder für Landungsoperationen bei der Navy, dann ging er vorzeitig mit 53 Jahren in Pension.
Die Regierung von Präsident Bill Clinton einigte sich 1996 mit dem Iran auf die Zahlung einer Entschädigung: 61,8 Millionen Dollar flossen an die Hinterbliebenen der Opfer, weitere 70 Millionen gingen offenbar an Iran Air für den abgeschossenen Airbus. Ausdrücklich erkannten die USA keine Schuld an.
Seither haben verschiedene Analysen von Journalisten und Militärs ergeben, dass tatsächlich eine Verkettung unglücklicher Umstände zu dem Abschuss geführt hatte: Das Aegis-System war zwar ausgereift, wurde aber von den Navy-Operateuren noch nicht wirklich gut beherrscht – sie verließen sich zu sehr auf die Computer. Kapitän Rogers war offensichtlich überfordert. Hinzu kam der unglückliche Zufall, das der iranische Flugkapitän auf die korrekt ausgesendeten Warnungen nicht reagierte – warum, konnte nicht geklärt werden.
Der Abschuss von Iran Air Flug 655 war, gemessen an der Zahl der Opfer, der zweitschlimmste militärische Eingriff in die Zivilluftfahrt: Beim Abschuss einer Boeing 777 der Malaysia Airlines über der Ostukraine 2014 starben 298 Menschen, beim Angriff sowjetischer Düsenjäger auf einen Jumbo-Jet der Korean Airlines 1983 kamen 269 Menschen ums Leben. Im Gegensatz zu den USA zahlte die Sowjetunion keine Entschädigung an die Hinterblieben, und bis heute bestreitet Russland den längst nachgewiesenen Abschuss der Boeing 777 durch eine russische Rakete.
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