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Geschichte Kalter Krieg

Der Atombunker der Bundesregierung – eine Fehlkonstruktion

Badewanne für den Präsidenten, Dusche für den Kanzler: Ein 17 Kilometer langer Stollen an der Ahr sollte die Bundesregierung vor Atombomben schützen. Ein Projekt mit einem entscheidenden Haken.
Redakteurin Wissen
So geheim war der Regierungsbunker

Eigentlich sollte niemand etwas von dem Bunker wissen. Dort wollte die Regierung auch während eines Atomkriegs noch arbeiten. Doch Walter Schürmann glaubt: Der Feind wusste genau, was vor sich ging.

Quelle: Die Welt

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Die Bäcker erfuhren es als Erste, wenn im beschaulichen Ahrtal wieder mal der Kalte Krieg tobte. Streng geheim sollten die Nato-Manöver sein, die alle zwei Jahre hier in der Eifel stattfanden, und noch geheimer ihr Schauplatz: der „Ausweichsitz der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland“, ein gigantischer, unterirdischer Bunker. Nur wollten die beteiligten Hundertschaften, darunter ranghohe deutsche Politiker, die sich für ein bis zwei Wochen dort einsperren ließen, in dieser Zeit nicht auf frische Brötchen verzichten.

„Horrorphantasien“, so bezeichnete der „Spiegel“ die Übungs-Drehbücher jener Zeit, die aus der Feder spezieller Nato-Arbeitsgruppen stammten – ausgehend von dem immer gleichen Szenario: Der Warschauer Pakt greift den Westen an und kann früher oder später nur durch den Einsatz von Atomwaffen aufgehalten werden. Die letzte dieser Übungen ist schon mehr 25 Jahre her – und wirkt doch heute, wo der Kalte Krieg nach Ukraine-Krise, russischen Drohungen und westlicher Ohnmacht wieder auferstanden scheint, erschreckend aktuell. Da erscheint auch die Frage, ob der sogenannte Regierungsbunker etwa doch noch nicht ausgedient hat, gar nicht mehr so abwegig.

Die Anlage wurde schon zu Adenauers Zeiten mit dem Ziel geplant, das Land bei einem Atombombenabwurf über Bonn regierungs- und verhandlungsfähig zu halten, zumindest für einen Monat. Also ließ man zwischen Bad Neuenahr-Ahrweiler und Dernau in Rheinland-Pfalz ein 17,3 Kilometer langes, zweistöckiges, hermetisch abschließbares Tunnelsystem durch den porösen Schiefer treiben.

Es basierte auf ungenutzten Eisenbahntunneln, die dort bereits zu Zeiten des Ersten Weltkrieges errichtet und nach Kriegsende zwischenzeitlich zur Champignonzucht umgewidmet worden waren. Als jedoch der Eiserne Vorhang herabging und die Bundesregierung für den atomaren Notfall – und auch für die Nato-Übungen – einen geeigneten Platz unweit von Bonn suchte, fiel die Wahl auf ebenjene teilweise schon gesprengten Eisenbahntunnel.

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Die nahe gelegene Bundesschule des Technischen Hilfswerks räumte bei ihren Übungen die Zugänge wieder frei. Und das THW diente in den Jahren von 1960 bis 1972, als die monumentale Führungsanlage unter größtmöglicher Geheimplanung errichtet wurde, als angeblicher Auftraggeber.

Wer den Bunker heute betritt, den befällt nicht nur wegen der zwölf Grad Raumtemperatur ein Frösteln. 203 Meter hat der Heimatverein Alt-Ahrweiler, der Träger der Anlage, als Dokumentationsstätte erhalten. Selbst auf diesem vergleichsweise kurzen Abschnitt lässt sich erahnen, welch beklemmende Atmosphäre hinter den 25 Tonnen schweren Rolltoren aus massivem Stahl geherrscht haben muss.

Blick vom Museumsbereich in die entkernte Bunkerröhre
Mit jedem Schritt innerhalb des ehemaligen Regierungsbunkers durchmisst man den Wert eines Einfamilienhauses
Quelle: Sascha Kelschenbach

In zehn Sekunden rasteten diese auf Knopfdruck ein, ließen sich aber bei Stromausfall auch von Hand schließen – zwei Männer mussten dafür eine halbe Stunde abwechselnd mit aller Kraft kurbeln. Gleich hinter der Schleuse liegen die Dekontaminationsanlagen: lange Duschräume, in denen die Menschen im Falle einer Verstrahlung mit Ameisensäure behandelt worden wären.

Alle Räume und Flure sind knapp bemessen, das Licht ist fahl, es riecht nach altem Linoleum. Ein denkbar ungastlicher Ort – und doch erscheint er fast heimelig, als die die Führerin berichtet, wie es hier unten ausgesehen hätte, wenn nach einem Atomangriff auch die Lüftungsschächte geschlossen worden wären. Bei voller Belegung hätte der vorhandene Sauerstoff noch etwa zehn Stunden gereicht, die Temperatur wäre allerdings auf 47 Grad Celsius gestiegen – und das Licht schon nach vier bis fünf Stunden ausgefallen.

Im normalen Ausnahmezustand konnte der Bunker 30 Tage lang Schutz bieten – und zwar rund 3000 Personen. 936 Schlafräume und 897 Büros waren bezugsfertig eingerichtet, allen voraus für den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, für den Gemeinsamen Ausschuss als Notparlament und diverse Minister, aber natürlich auch für deren Mitarbeiter, militärisches und ziviles Personal. Strom-, Luft- und Wasserversorgung waren gesichert, in den Vorratskammern lagerten Fleischkonserven und Hartkekse. Ein Fernsehstudio nebst Frisierstube sollte gewährleisten, dass der oberste Mann im Staat auch unter Tage noch zum Volk sprechen konnte und dabei gepflegt aussah. Und selbst für einen OP-Saal und eine Zahnarztpraxis war gesorgt – letztere mit einem fußpedalbetriebenen Bohrer, der Besucher heute noch das Schaudern lehrt.

Unter größter Geheimhaltung wurde zwischen 1960 und 1972 ein gigantisches Stollensystem im Ahrtal zum „Ausweichsitz der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland“ ausgebaut.
Bei voller Belegung hätte der vorhandene Sauerstoff noch etwa zehn Stunden gereicht
Quelle: picture alliance / JOKER
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Wie viel dieses Bollwerk gegen den Osten die Steuerzahler insgesamt kostete – also nicht nur seine Errichtung, sondern auch der Unterhalt und schließlich der Rückbau –, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, doch die Summen liegen mit Sicherheit im Milliardenbereich. Allein die bis zu 15 Meter hohen Tarnplanen, unter denen die Anlage errichtet wurde, kosteten zu damaliger Zeit 105.000 Mark. Experten gehen davon aus, dass man mit jedem Schritt innerhalb des Bunkers den Wert eines Einfamilienhauses durchmisst.

Nicht alles ist in der Dokumentationsstätte originalgetreu erhalten. Die Schlafzimmer des Bundespräsidenten und Bundeskanzlers lagen eigentlich in einem hinteren der fünf autonomen Teilabschnitte, die den Bunker untergliederten, und wurden zur Ausstellungszwecken in den vorderen Teil verlagert. Sie befinden sich im ersten Stock, dort, wo die Wölbung des ehemaligen Eisenbahntunnels ein aufrechtes Stehen am Rande des Flurs nicht mehr erlaubt. „Luxus“ wurde für diese Räume so definiert, dass auf den wenigen Quadratmetern nur ein einziges Pritschenbett statt zweier Hochbetten stand und der Bundespräsident sogar eine eigene Wanne hatte – der Kanzler hätte sich mit einer Dusche begnügen müssen.

Allein: Dazu kam es nicht, denn ein Kanzler hauste nie im Bunker – auch bei den Nato-Übungen nicht, die von 1966 an alle zwei Jahre stattfanden. Bei diesen Kriegsspielchen ließ sich die Regierung von ihren Mitarbeitern vertreten, die das Notfall-Szenario durchexerzierten und dann in Bonn Bericht erstatteten.

Kanzlerbett im Präsidentenzimmer des alten Bonner Regierungsbunkers Marienthal im Ahrtal. Der ehemalige Ausweichsitz der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland wurde inzwischen stillgelegt. Von den ehemals über 17 Kilometer langen Bunker-Tunneln sind nur 200 Meter als Museum für die Öffentlichkeit zugänglich. Bad Neuenahr-Ahrweiler, Rheinland-Pfalz, Deutschland, 25.05.2008 | Verwendung weltweit
Hier sollte der Bundeskanzler übernachten
Quelle: picture alliance / JOKER

So gab es stets den sogenannten „Bundeskanzler Üb“, zu Zeiten Helmut Kohls etwa Staatssekretär Waldemar Schreckenberger, der bei den unterirdischen Manövern das Kommando führte – seine imaginären Angriffsbefehle aber tatsächlich vom „Bundeskanzler Echt“ absegnen ließ, so heikel erschienen ihm die irrwitzigen Atom-Szenarien der Nato-Militärs.

Irrwitzig ist der Ausweichsitz auch aus einem ganz anderen Grund: Der Bunker war schon bei seiner Fertigstellung nie sicher. Seine Baupläne wurden nach Atombomben-Standards des Zweiten Weltkrieges berechnet, die jedoch schon zu Baubeginn längst überholt waren.

Die Russen verfügten bereits in den 1960er-Jahren über nukleare Sprengköpfe von der 250-fachen Schlagkraft, gegen die weder die Stahl-Rolltore noch das maximal 110 Meter dicke Schiefergestein etwas hätten ausrichten können. In Bonn wusste man um diese Nutzlosigkeit, führte das Mammutprojekt aus politischen Gründen dennoch weiter – und tröstete sich damit, dass im Angriffsfall ja der Regierungssitz angegriffen würde und der Bunker in rund 25 Kilometer Entfernung womöglich weit genug vom Zentrum der atomaren Verwüstung entfernt sein würde. Im Osten dürfte das für große Heiterkeit gesorgt haben, denn die Stasi hatte bereits zu Baubeginn Spitzel eingeschleust – und war über die Anlage zu allen Zeiten bestens informiert.

Elektromeister Alois Hofmann überwacht in einer der fünf Kommandozentralen des ehemaligen Regierungsbunkers bei Marienthal (Rheinland-Pfalz) die komplizierte Technik (Archivbild vom 20.01.2000). Eines der markantesten Kapitel des Kalten Krieges wird endgültig geschlossen: Der Atombunker der Bundesregierung im schönen Ahrtal auch "Gasthaus zum letzten Stündchen " genannt. dpa/lrs (zu dpa 2653 vom 12.02.2001) |
Bis zuletzt hielten Spezialisten die komplizierte Technik des Bunkers in Gang
Quelle: picture-alliance / dpa/dpaweb

Reaktivierbar wäre der Bunker längst nicht mehr: Der Großteil der Anlage wurde komplett entkernt. Nach dem Fall der Mauer hielt zwar das Stammpersonal – 180 Mitarbeiter aus Technik und Verwaltung – den Ausweichsitz noch rund ein Jahrzehnt in Betrieb, doch ab 2001 hatte der Koloss endgültig ausgedient und wurde mit deutscher Gründlichkeit ausgeräumt und zurückgebaut; selbst die bleihaltige Farbe kratzten die Handwerker von den Wänden ab. Zurück blieb eine kilometerlange, nackte Betonröhre – und eben die paar hundert Meter Museumsanlage, die sich aber weder technisch steuern noch per Rolltor schließen lässt. Vor herkömmlichen Gewittern würde man hier noch Schutz finden, aber sicher nicht vor atomaren.

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Dennoch strömen hier nach wie vor die Hundertschaften hinein – die Faszination am geheimnisumwobenen Bau, um den sich einst Gerüchte eines unterirdischen Luxuskaufhauses oder gar Bordells rankten, bleibt ungebrochen. Der Bunker ist eine Touristenattraktion, auch für Gäste von außerhalb.

Nach dem Atomunfall in Fukushima habe eine japanische Delegation den Bau in Augenschein genommen, erfährt man bei der Pressesprecherin. Besuch aus Russland war auch schon da; eine Gruppe habe sich besonders für die Konstruktionspläne interessiert. Die Herrschaften kamen aus dem russischen Bauministerium.

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