WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Geschichte
  3. Schlacht von Gallipoli: Als das britische Empire an einem Strand scheiterte

Geschichte Gallipoli 1915

Als das britische Empire an einem Strand scheiterte

Im Frühjahr 1915 versuchte die Entente, mit einer ambitionierten Landung Istanbul zu nehmen. Das Unternehmen und sein Scheitern zeigten die Ausmaße, die der Weltkrieg mittlerweile angenommen hatte.
Freier Autor Geschichte

Im Frühjahr 1915 stieß der Erste Weltkrieg in neue Dimensionen vor. Die erste war die Zeit. Keiner der Beteiligten hatte sich zehn Monate zuvor vorstellen können, dass der Krieg so lange dauern und dabei derartige Ressourcen verschlingen würde. Um ihn überhaupt weiterführen zu können, entwickelten Politiker und Militärs monströse Pläne.

Österreich-Ungarn versuchte es mit einem groß angelegten Winterfeldzug in den Karpaten, der dem Habsburgerreich 800.000 Tote, Verwundete und Vermisste bescherte und es der Fähigkeit beraubte, weiterhin als eigenständige Macht zu agieren. Deutschland experimentierte mit Giftgas, das im April bei Ypern erstmals zum Einsatz kam. Auch intensivierte das Kaiserreich den U-Boot-Krieg, indem auch neutrale Schiffe ohne Warnung angegriffen wurden. Frankreich entwickelte in der Champagne die Taktik der – ergebnislosen – Materialschlacht, die in den kommenden Jahren die Westfront prägen sollte.

Das Osmanische Reich beschloss nach schweren Rückschlägen an der Kaukasusfront die massenhafte Deportation der Armenier, denen Parteinahme für das Zarenreich unterstellt wurde, was schließlich in einem Völkermord endete. Und das britische Empire versuchte, mit der größten amphibischen Operation des Krieges den Durchbruch durch die Dardanellen Richtung Istanbul zu erzwingen.

Die Landung der Entente auf der Halbinsel Gallipoli am 25. April 1915
Die Landung der Entente auf der Halbinsel Gallipoli am 25. April 1915
Quelle: Infografik Die Welt

Am 24. und 25. April verwoben sich die militärischen Experimente zu einem tödlichen Gemisch. Gerade ein Tag lag zwischen dem Deportationserlass der osmanischen Regierung und der britischen Landung auf der Halbinsel Gallipoli, die das Nordufer der Dardanellen bildet. Beide Unternehmen brachen einem neuen Denken Bahn und waren aus der Sicht der Zeitgenossen modern. Aber sie endeten in Katastrophen, die bis dahin kaum vorstellbar gewesen waren.

Lesen Sie auch

Die Kämpfe in der Steilküste Gallipolis zeigten auch, in welchen räumlichen Dimensionen der Krieg geführt wurde. Nach den schweren Rückschlägen, die Russland gegen die deutschen Truppen in Ostpreußen hatte hinnehmen müssen, suchten die Führer der Entente nach Wegen, dem bedrängten Partner beizustehen.

Die österreichischen Offensiven in den Karpaten und das Vordringen der Türken im Kaukasus provozierten zahlreiche Studien und Pläne, von denen sich die Vision des britischen Marineministers Winston Churchill schließlich durchsetzte: Mit einem groß angelegten Landungsunternehmen sollte unweit von Istanbul eine zweite Front im Orient errichtet werden. Auch hoffte man damit, Bulgarien von einem Kriegseintritt an der Seite der Mittelmächte abhalten zu können.

Setzte alles auf eine Karte: Winston Churchill (1874–1965), britischer Marineminister
Setzte alles auf eine Karte: Winston Churchill (1874–1965), britischer Marineminister
Quelle: picture alliance / empics

Obwohl die zaristischen Truppen sowohl in den Karpaten als auch im Kaukasus schließlich die Oberhand behielten, fuhr am 18. März eine britisch-französische Flotte aus 16 Großkampfschiffen in die Dardanellen ein. Statt auf Aufklärung und Zusammenarbeit mit der Army zu setzen, wollte Churchill mit Bravour den Durchbruch erzwingen. Das Unternehmen scheiterte – nicht zuletzt wegen „der amateurhaften Führung der Admiralty“, wie der Historiker Heinz A. Richter in seiner Studie „Der Krieg im Südosten“ 2014 resümiert.

Aber die Vorbereitungen zu einer Landung liefen weiter. Auf der griechischen Insel Limnos wurde eine Armada von Booten und kleinen Schiffen zusammengezogen. Sie sollten eine zusammengewürfelte Truppe zur Einfahrt in die Meerenge transportieren.

Neben britischen Marineinfanteristen und einer französischen Division handelte es sich vor allem um das Australian and New Zealand Army Corps (ANZAC), rund 30.000 Freiwillige, die sich zum Kampf in Europa gemeldet hatten. Während ihrer Ausbildung in Ägypten waren diese Soldaten „für Chaos und Disziplinlosigkeit bekannt, zugleich aber auch für Draufgängertum und hohe Kampfmoral, was während des gesamten Krieges ihr Markenzeichen bleiben sollte“, schreibt der britische Historiker Hew Strachan.

Organisierte die Verteidigung: Liman von Sanders (1855–1929), preußischer General und Kommandeur der 5. osmanischen Armee
Organisierte die Verteidigung: Liman von Sanders (1855–1929), preußischer General und Kommandeur der 5. osmanischen Armee
Quelle: picture alliance / Mary Evans Pi
Anzeige

Der Abwehrerfolg über Churchills Schlachtschiffe hatte nicht nur das Selbstvertrauen der Türken gestärkt. Sondern ihnen und den deutschen Offizieren in der Armee, die wie der Armeekommandeur Otto Liman von Sanders höchste Kommandos bekleideten, war klar, dass eine Landung unmittelbar bevorstand. Umgehend begannen sie damit, mögliche Strände zu befestigen.

Die britische Führung setzte dagegen weiterhin die Türken mit den Eingeborenen in Afrika oder Asien gleich. „Genau genommen handelte es sich um den in der damaligen Zeit üblichen Rassismus“, schreibt Richter. Daher glaubte man, mit 60.000 Mann die Übermacht der Verteidiger, die zudem über die besseren Versorgungswege verfügten, schlagen zu können. In aneinandergebundenen Kähnen wurden die Soldaten zu ihrem Einsatz geschleppt, wo nur einzelne Gruppen mühsam an Land gehen konnten. Um Platz für die nächste Welle zu haben, durften Verwundete nicht abtransportiert werden.

So war es kein Wunder, dass am 25. April fast alles schiefging. Mangelhaftes Kartenmaterial sorgte dafür, dass die Truppen an den falschen Stellen landeten, von denen man nur höchst unklare Vorstellungen hatte. Weil verdeckte türkische Geschützstellungen den geplanten Landeplatz der britischen Marineinfanterie blockierte, versuchten die Briten es an der Spitze von Kap Helles.

Hielt die Türken für kampfunfähige Eingeborene: Ian Standish Monteith Hamilton (1853–1947), Kommandeur der Mediterranean Expeditionary Force
Hielt die Türken für kampfunfähige Eingeborene: Ian Standish Monteith Hamilton (1853–1947), Kommandeur der Mediterranean Expeditionary Force
Quelle: picture alliance / United Archiv

Auch der Strand der ANZAC-Truppen wurde verfehlt. Wo sie schließlich an Land gingen, erstreckte sich nur ein wenige Hundert Meter breiter Strand, hinter dem sich eine zerklüftete und kaum zugängliche Steilküste erhob.

Der Kommandeur der türkischen Division, die diesen Abschnitt deckte, erkannte die Situation und erreichte den Rand der Steilküste vor den Australiern und Neuseeländern. „Das Dröhnen (der Geschütze) war kaum zu ertragen“, beschrieb ein Teilnehmer die chaotische Situation.

Als die britischen Generäle vor Ort den Rückzug forderten, erklärte die Marine ihn wegen der mangelhaften Logistik für unmöglich. Ein weiterer Grund war politischer Natur. Unter dem Eindruck der Landung auf der Gallipoli-Halbinsel unterzeichnete der Dreibundpartner Italien am 26. April in London seinen Wechsel ins Lager der Entente.

Unter großen Verlusten konnten die Briten schließlich ihre Brückenköpfe halten. Ihrem Ausbruch stand der Mangel an Männern und Material und der Kampfgeist der Türken entgegen. So erstarrte auch hier der Krieg in einem Grabensystem.

Anzeige

Für die ANZAC-Soldaten und ihre Nationen wurde das Hochklettern zu einem Angriff und das Zurücktaumeln auf die Ausgangslinie zum prägenden Trauma. Auf türkischer Seite avancierte der General, der ihren Angriff zum Stoppen gebracht hatte, zum Nationalhelden: Mustafa Kemal sollte wenige Jahre später als „Atatürk“ zum Gründer der modernen Türkei werden.

Griff ohne Befehl seines Vorgesetzten an: Mustafa Kemal Atatürk (l.; 1881–1938), Kommandeur der 19. osmanischen Division
Griff ohne Befehl seines Vorgesetzten an: Mustafa Kemal Atatürk (l.; 1881–1938), Kommandeur der 19. osmanischen Division
Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PR

Fast 500.000 britische, australische, neuseeländische und französische sowie mehr als 300.000 türkische und einige Hundert deutsche Soldaten wurden insgesamt auf der Gallipoli-Halbinsel eingesetzt. Die Entente verlor mehr als 150.000 Mann, davon 50.000 Tote, die Türken 200.000, davon fast 60.000 Tote. Was die Kriegführung auf den baumlosen Felsen im Orient bedeutete, zeigt die Schätzung, dass nur 30 Prozent der Toten auf britischer Seite im Kampf gefallen waren, die meisten wurden ein Opfer von Klima und Krankheiten.

Als die Entente das Unternehmen Ende 1915 wegen ausbleibender Erfolge und hoher Risiken schließlich abbrach, hatte der Krieg eine neue Größenordnung erreicht. Im Westen waren verlustreiche Materialschlachten an der Tagesordnung, im Osten beherrschten die Mittelmächte weite Teile Polens und des Baltikums. Serbien war überrannt worden, und Bulgarien und Italien waren in den Krieg eingetreten.

Die Annahmen, dass schwere deutsche Geschütze nun über den durchgängigen Landweg auf Gallipoli in Stellung gebracht werden würden, bewog die Entente-Führung unter anderem zum Rückzug. Ein anderer Grund war die schwere Niederlage eines britischen Expeditionskorps in Mesopotamien. Der Krieg war ein Weltkrieg geworden.

Und ein totaler dazu. Unter den Bedingungen des Dreifrontenkrieges radikalisierten sich die türkischen Maßnahmen gegen die Armenier. Anatolien sollte zum Zentrum des Türkentums ausgebaut werden. Der radikale Nationalismus der Jungtürken verband sich mit dem Geist des Dschihad, den der Sultan in seiner Funktion als Kalif ausgerufen hatte.

Der Heilige Krieg gegen die Christen eskalierte in Massakern undisziplinierter Soldaten und Schlägertrupps. Die Massenvertreibungen, deren Vorbild zunächst der „Bevölkerungsaustausch“ war, wie er nach den Balkankriegen 1912/13 exekutiert wurde, verwandelten sich bald in Todeszüge. Hinzu kam, dass unter den Bedingungen des Krieges die ohnehin marode Infrastruktur des Osmanenreiches vollends zusammenbrach. Die Behörden waren weder Willens noch in der Lage, die auf Märsche getriebenen oder in Lager zusammengepferchten Menschen zu versorgen. Aus Deportation wurde Völkermord.

Dieser Artikel wurde erstmals 2015 veröffentlicht.

Der Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren

Am 24. April 1915 beginnt ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Türkei - die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich. Bundespräsident Joachim Gauck spricht erstmals von Völkermord.

Quelle: N24

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema