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Geschichte Kalter Krieg

Wie westliche Dienste DDR-Flüchtlinge benutzten

Der Historiker Keith R. Allen beleuchtet die mitunter zweifelhaften Methoden, mit denen die CIA oder die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit in der Frühzeit der deutschen Teilung arbeiteten.
1952/53 schwoll der Strom der Flüchtlinge aus der DDR nach West-Berlin stark an - und damit die Möglichkeiten für westliche Geheimdienste, Informationen zu sammeln 1952/53 schwoll der Strom der Flüchtlinge aus der DDR nach West-Berlin stark an - und damit die Möglichkeiten für westliche Geheimdienste, Informationen zu sammeln
1952/53 schwoll der Strom der Flüchtlinge aus der DDR nach West-Berlin stark an - und damit die Möglichkeiten für westliche Geheimdienste, Informationen zu sammeln
Quelle: picture-alliance / akg-images/akg-images

Jemand anderem uneigennützig zu helfen, ist lobenswert. Doch gibt es derlei Altruismus eher selten. Besonders, wenn es um die Sicherheit des Staates geht. Dann steht immer im Vordergrund, was den eigenen Interessen nützt - und was dem Gegner eventuell schaden könnte.

1953 schwoll der Strom der Flüchtlinge aus Ostdeutschland besonders stark an. Von den etwa drei Millionen Menschen, die zwischen 1945 und dem Mauerbau im August 1961 aus der DDR nach Westdeutschland oder West-Berlin wechselten, flohen allein im Jahr der Eröffnung des Zentralen Notaufnahmelagers Marienfelde mehr als 300.000.

Die Behörden in der geteilten Stadt konnten eine so große Zahl von Flüchtlingen nicht selbst überprüfen. Das aber schrieb das Gesetz vor, um festzustellen, wer aus politischen Gründen die DDR verlassen hatte, wer vor allem aus ökonomischen Motiven geflohen war und wer eventuell sogar ein ostdeutscher Spitzel sein könnte.

Das Bundesnotaufnahmegesetz legte nämlich fest, dass nur politische Flüchtlinge in West-Berlin oder Westdeutschland die umfangreiche Unterstützung bekamen, um sich ein neues Leben aufzubauen. Die anderen durften bekamen keine Arbeitserlaubnis und waren auf kleine Fürsorge angewiesen. Das genügte kaum, um ein normales Leben zu führen.

Wertvolle Auskünfte über Flüchtlinge

Der Senat bat zwei nichtstaatliche Organisationen um Hilfe: die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) und den Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ). Beides waren strikt antikommunistischen Vereine – gegründet als Reaktion auf die zunehmende Stalinisierung in der frühen DDR. Dank ihres breiten Netzen an Informanten in Ostdeutschland konnten KgU und UfJ den Behörden wertvolle Auskünfte über das Vorleben und die Tätigkeit der Flüchtlinge bieten.

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Allerdings haben KgU und UfJ in solchen Verfahren sehr oft ihre eigene Interesse verfolgt, wie der Historiker Keith R. Allen in seinem neuen Buch „Befragung, Überprüfung, Kontrolle“ zeigt. Damit brachten sie, so der Gastprofessor an der Berliner Dependance des Dartmouth College, oft DDR-Flüchtlinge in Gefahr.

Die Rolle der KgU in den Überprüfungsverfahren wurde schon seit Beginn der Kooperation in frühen Fünfzigerjahren häufig kritisiert. Der Grund war, dass die ursprünglich ausschließlich mit friedlichen Mittel tätige Gruppe nach einem Wechsel an der Spitze auch Sabotage und andere gewaltsame Aktionen in der DDR unterstützte. Trotzdem hielten die Behörden in West-Berlin die Kooperation mit der KgU für unentbehrlich.

Die Organisation bekam ihr Geld zum größten Teil von amerikanischen Geheimdiensten. Die Kontakte zu den Flüchtlinge instrumentalisierte der Verband laut Allen, um Widerstandsaktionen in Ostdeutschland zu organisieren. So schickte „die KgU-Leitung etliche Flüchtlinge, die in ihre Beratungsbüros kamen, mit nachrichtendienstlichen Aufträgen in die DDR zurück – in vollem Wissen, mit welchen Gefährdungen dies für die Betroffenen verbunden war“.

Ende der Fünfzigerjahre gelang es den Bundesbehörden, trotz der Unterstützung der KgU durch die CIA, die Kampfgruppe aus den Überprüfungsverfahren zu verdrängen. Damit allerdings profitierte am stärksten die andere antikommunistische Organisation, die Flüchtlinge überprüfte: der UfJ, heute noch bekannt als Arbeitgebers des 1952 von der Stasi entführten Walter Linse.

Eine Gründung der CIA

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Bisher gab es gegensätzliche Auffassungen, wie der Untersuchungsausschuss entstand und welche Beziehungen die Organisation zur CIA pflegte. Gestützt auf US-Dokumenten legt Allen schlüssig dar, dass der UfJ-Chef, Horst Erdmann alias „Dr. Theo Friedenau“, ein Agent der CIA war. Der Verband war ihm zufolge anfangs eine reine Erfindung der CIA. „Friedenau“ baute den UfJ allerdings binnen weniger Jahren zu einer aktiven Organisation mit 75 Mitarbeitern aus.

Die tatsächliche Hauptaufgabe des UfJ war nicht das offizielle Ziel, Ostdeutschen juristische Hilfe zu bieten. Der Verband, der jährlich mit 250.000 US-Dollar zu 95 Prozent von der CIA finanziert wurde, diente ab 1953 in Wirklichkeit als getarntes Büro des amerikanischen Geheimdienstes.

Seine wichtigste Aufgabe war, einem internen Bericht der CIA von 1955 zufolge, den Allen ausgiebig zitiert, „die Infiltration der ostdeutschen kommunistischen Partei, des Staatssicherheitsdienstes, der Volkspolizei sowie die Zersetzung der sowjetischen Besatzungsmacht“. Im Sinn dieser Aufgabe leitete der UfJ Flüchtlinge mit relevanten Kenntnissen über die DDR „zur weiteren Befragung und endgültigen Verfügung“ an andere Einrichtungen der CIA weiter.

Der US-Geheimdienst hatte neben KgU und UfJ weitere Informationsquellen. Alle Flüchtlinge, die sich West-Berlin meldeten, wurden nach dem offiziellen Beginn des Aufnahmeverfahrens und der ärztlichen Untersuchung, aber vor allen weiteren Schritten in die „Sichtungsstellen“ der westlichen Geheimdienste geschickt. Rein rechtlich hätten sie diese Verhöre ablehnen können - aber das erfuhren die Betroffenen nicht.

Jugendliche als Spitzel

Wie die KgU sollen die Geheimdienste auch versucht haben, unter Flüchtlinge Spitzeln anzuwerben. Nach Aussagen von Zeugen versuchten Geheimdienstler manchmal sogar, Jugendlichen als Informanten zu gewinnen und sie zurück in die DDR zu schicken.

Mindestens eine Abteilung des britischen Geheimdienstes hatte aber nicht nur die DDR im Visier: Die Scientific and Technical Intelligence Branch (STIB) sammelte auch Informationen von Flüchtlingen, die bereits in der Bundesrepublik gearbeitet hatten. Auf diese Weise versuchte sich die STIB ein genaues Bild der wissenschaftlichen Entwicklung in Westdeutschland zu machen.

Keith R. Allen urteilt treffend, dass die West-Berliner Flüchtlingspolitik nicht nur ein „deutsch-deutsche Kuriosum“ gewesen sei. Denn die KgU und der UfJ sowie die alliierten Geheimdienste sahen „ihre Aktivitäten nicht in erster Linie als Element eines Prüfverfahrens, sondern verfolgten ihre jeweils eigenen politischen Ziele innerhalb der Logik des Kalten Kriegs“.

In einem Teil des Notaufnahmelagers Marienfelde erinnert eine Erinnerungsstätte an die Bedeutung der Institution für DDR-Flüchtlinge - und an die Rolle der Geheimdienste dabei
In einem Teil des Notaufnahmelagers Marienfelde erinnert eine Erinnerungsstätte an die Bedeutung der Institution für DDR-Flüchtlinge - und an die Rolle der Geheimdienste dabei
Quelle: picture alliance / dpa/pg_htf jhe

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