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Meinung Europawahl

Kein Wunder, dass sich die Bürger von der EU abwenden

„Moralisch und wirtschaftlich der Abstieg für Deutschland“, wettert Merz gegen die AfD

Die Europawahl steht vor der Tür. In Deutschland stehen die Parteien im Endspurt des Wahlkampfs. Die Befürchtung vor einem Rechtsruck ist weiter groß. „Wir werden sie bis zur letzten Minute politisch bekämpfen“, so CDU-Vorsitzender Friedrich Merz.

Quelle: WELT TV

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Die Defizite der europäischen Demokratie zeigen sich im Großen wie im Kleinen. Anstatt die Probleme anzugehen, wurstelt die EU ohne Elan weiter wie bisher. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen tut ihr Übriges. Eine niedrige Wahlbeteiligung ist da nur folgerichtig.
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Für den globalen Rekord bei demokratischen Wahlen ist Europa längst nicht mehr groß genug. Erst letzte Woche hat Indien nach einem Wahlmarathon vorgeführt, wie eine wahlberechtigte Bevölkerung von knapp einer Milliarde Menschen geregelt an die Urnen geht. Dagegen sind die Wahlen zum Europäischen Parlament, die am Donnerstag in den Niederlanden begannen und sich bis zum Sonntag hinziehen, eine Nummer kleiner; die EU schickt „nur“ circa 350 Millionen Wahlberechtigte an den Start.

Doch wichtiger als ein Weltrekord ist die Frage, wie demokratisch die EU denn eigentlich ist. In jedem Fall steht die Komplexität des Staatenbundes von 27 Mitgliedern dem System der parlamentarischen und repräsentativen Demokratie im Wege. Allzu groß sind die nationalen Unterschiede. So groß, dass selbst Abgeordnete und Funktionäre der EU nicht vollständig überzeugt sind von der Transparenz des eigenen Regierens.

Andernfalls hätte es in den vergangenen Jahren keinen Versuch einer Wahlrechtsreform gegeben. Bezeichnenderweise ist das Ansinnen an nationalen Widersprüchen gescheitert. Deswegen können europäische Bürger auch 2024 keine Kandidaten anderer europäischer Länder per Zweitstimme wählen, sondern bleiben an nationale Listen gebunden. Andere gravierende Unterschiede bleiben ebenfalls bestehen.

So gibt es in einigen Ländern Sperrklauseln für Parteien, die von 5 Prozent wie etwa in Tschechien und Polen bis hinunter zu 1,8 Prozent in Zypern reichen. Dagegen hat das Verfassungsgericht in Karlsruhe eine deutsche 5-Prozent-Hürde gekippt, sodass hierzulande auch die fidelen Anarchisten von „Die Partei“ recht bequem ins Europaparlament einziehen können, während in großen Ländern wie Italien oder Frankreich Millionen Stimmen für Kleinparteien unter den Tisch fallen.

Auch beim Wahlalter sind nicht alle Europäer gleich. In Deutschland sind erstmals auch 16-Jährige zu den Urnen zugelassen – ein Privileg, welches sie nur mit ihren Generationsgenossen in Malta, Belgien und Österreich teilen. Beim passiven Wahlrecht ist das Kuddelmuddel noch größer. Italiener können erst ab 25 Jahren gewählt werden, deutsche Kandidaten bereits mit 18.

Nicht einmal auf einen Wahltag – gedacht als einheitlicher europäischer Feiertag der Demokratie – konnten sich die EU-Mitgliedsstaaten einigen. Den dafür vorgesehen 9. Mai haben nur Luxemburg und das Kosovo zum arbeitsfreien Europatag erklärt, wobei das Kosovo lustigerweise noch nicht einmal zum Club gehört. Die Blockade bei den Wahlen zeigt aber nicht nur bei solchen Details, worin die von Experten seit Jahrzehnten beklagte „demokratische Lücke“ im europäischen Gebäude besteht.

Die demokratische Lücke der EU

Noch entscheidender ist das komplizierte Zusammenspiel zwischen Nationalstaaten und EU, welches die historische und aktuelle Realität widerspiegelt: Die Europäische Union ist eben, anders als der Name vermuten lässt, keineswegs ein einheitlicher Bundesstaat, sondern eine Art Staatenbund. Letzterer wird folgerichtig maßgeblich aus den Hauptstädten der Mitgliedsländer gesteuert und nicht vorrangig in der Doppelzentrale Brüssel-Straßburg.

Bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren konnte man diese demokratische Lücke deutlich beobachten. Die Europäische Volkspartei – Zusammenschluss christlich-konservativer Bewegungen innerhalb der EU – stellte mit dem Deutschen Manfred Weber zwar einen Spitzenkandidaten auf. Doch nach seinem relativen Erfolg an den Urnen zauberten Emmanuel Macron und Angela Merkel eine Kandidatin als Kommissionspräsidentin aus dem Hut, die auf keinem Wahlzettel gestanden hatte.

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Ursula von der Leyen übernahm durch die nationale Hintertür das hohe Amt; Weber musste brav ins zweite Glied zurücktreten. Dass sie mit dieser Hauruck-Personale die pompös inszenierten Europawahlen diskreditierten, interessierte die Mächtigen in Paris und Berlin gemeinsam mit ihren Kollegen weniger als ihr austarierter Kompromiss, bei dem in einer supergroßen Koalition von Liberalen-Konservativen und Sozialdemokraten auch mit grüner Zustimmung die Personalien im Hinterzimmer ausgekungelt werden.

Am Ende werden auch diesmal nur die Prozentanteile im riesigen EU-Parlament zusammengerechnet, danach die Posten in der Kommission verteilt, und am Ende kann das Parlament dieses Kabinett nurmehr im Ganzen ablehnen, genau wie den Haushalt. Demokratiegeschichtlich gleicht die sehr beschränkte Macht des Straßburger Parlaments damit eher der des Deutschen Reichstags unter Kaiser Wilhelm.

Eine auch nur indirekte Wahl der Exekutive ist nicht vorgesehen, wie es aus Gründen nationaler Eitelkeit auch keine übernationalen Kandidatenlisten gibt. Deshalb kann man sagen: Die EU ist ein Zusammenschluss von Demokratien, die sich zwar auf den Ebenen von Außenhandel und Justiz, Verkehr und Landwirtschaft auf gemeinsame Normen einigen, aber bislang jeden weiteren Versuch abblocken, die Macht über diese Kompromisse aus den Händen der nationalen Akteure abzugeben.

Daraus resultiert dann das sogenannte „Blame Game“, bei dem Ministerpräsidenten oder Parteivorsitzende sich der europäischen Erfolge vor den Kameras ihrer nationalen Fernsehanstalten rühmen – und unbeliebte Maßnahmen oder Misserfolge der anonymen EU in die Schuhe schieben können.

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Da können die oft genug idealistischen Kandidaten und Vorzeige-Europäer aller Couleur noch so oft mit Recht betonen, dass die wichtigsten Entscheidungen nicht mehr im Berliner Bundestag, sondern in der Kompromissfabrik zu Brüssel fallen – wenn sich die Akteure selbst so wenig an der Macht des Parlaments (und damit der Wahlbürger) orientieren, dann dürfen sie sich nicht wundern, wenn sich die Wahlbeteiligung bei 40 bis 50 Prozent eingependelt hat.

In einigen Ländern geht nicht einmal jeder Dritte zur Wahl, der oder die das Recht dazu hätte. Eine Mehrheit scheint sich für den Ausgang nicht zu interessieren und spiegelt damit durchaus den Zynismus der Strippenzieher in den nationalen Hauptstädten, die nicht gewillt sind, aus der EU eine parlamentarische Demokratie zu machen.

Wursteln ohne Elan und Vision

Ursula von der Leyen ist eine meisterlich lernfähige – manche sagen opportunistische – Politikerin. Sie hat in den letzten fünf Jahren gelernt, wie die Rhizome der Macht zwischen Brüssel und den Hauptstädten verlaufen. Für ihre angestrebte Wiederwahl benötigt sie diesen Urnengang ebenso wenig wie vor fünf Jahren. Darum wohl ließ sie sich im Wahlkampf kaum blicken und erschien nicht einmal zur Debatte der Spitzenkandidaten im ZDF.

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Stattdessen musste sie sich bei den erstarkenden Rechtsparteien wie der lange verfemten Regierungschefin Italiens, Giorgia Meloni, beliebt machen. Sie musste angesichts der Bauernproteste Rückschritte beim einstigen Schicksalsprojekt „Green Deal“ hinnehmen, dessen Symbolfigur, der Sozialist Frans Timmermans, Brüssel längst resigniert den Rücken gekehrt hat.

Nach massiven Protesten hat die EU-Kommission ihr Herz für die Bauern wiederentdeckt. Auch eine harte Asylpolitik ist ausgerechnet mit der Merkel-Schülerin Ursula von der Leyen inzwischen zu haben – nicht, weil sich die Machtverhältnisse im Parlament grundlegend geändert haben, sondern weil im Europäischen Rat immer mehr Hardliner wie Meloni oder der Niederländer Geert Wilders aus den nationalen Parlamenten Druck machen.

Auch dass Polens auf dem Papier liberale Regierung unter Donald Tusk nun entschied, an der weißrussischen Grenze für 2,5 Milliarden Euro einen gewaltigen Grenzzaun mit Luftüberwachung gegen illegale Migranten hochzuziehen und längst wie Finnland Asylanten nach Osten zurückschickt, findet keinen Widerspruch in Brüssel.

Nachdem die Briten 2016 der EU wie einem sinkenden Schiff den Rücken gekehrt haben, hofften viele überzeugte Europäer auf Reformen und sagten den Briten einen Wirtschaftskollaps voraus. Doch die geschrumpfte EU hat keinen Cent eingespart und keinen Posten aufgegeben. Man wurstelt ohne Elan und ohne Vision, dafür aber finanziell bestens gepolstert, weiter wie bisher, was sich beim Scheitern auch nur der kleinsten Wahlrechtsreform deutlich zeigt.

Die Wahlberechtigten quittieren diesen Stillstand, indem eine Mehrheit gar nicht erst zu den Urnen geht oder lustvoll europakritische Parteien stärkt. Die Spesenrechnung für diese Reise nach vorgestern kann die verzagte und wenig demokratische EU getrost mit den nationalen Regierungen teilen.

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