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Meinung Malta

Mafiamethoden – mitten in der EU

Ressortleiter Investigation und Reportage
Pressefreiheit in Europa immer mehr bedroht

Journalisten sollten überall in der Welt frei und offen berichten können. Die Realität ist aber eine andere: Laut Reporter ohne Grenzen hat sich die Pressefreiheit in Europa verschlechtert. Auch in Deutschland.

Quelle: WELT / Sebastian Struwe

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Zwei Jahre nach dem Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia tun sich im kleinsten EU-Mitgliedsland Abgründe auf. Ein Fall für die Kommission in Brüssel, die sonst so penibel auf Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit besteht.

Vor zwei Jahren wurde Maltas bekannteste Journalistin ermordet: Daphne Caruana Galizia starb am 16. Oktober 2017, als eine Bombe unter dem Fahrersitz ihres Autos explodierte. Dass die Tat auf Galizias Enthüllungen zu Korruption und Vetternwirtschaft im kleinsten Mitgliedstaat der Europäischen Union zurückzuführen sein würde, war seitdem ein offenes Geheimnis.

Die Vermutung lautete: Der oder die Hintermänner des Mordes waren durch Galizias Recherchen unter Druck geraten und hatten sich durch die Tat einer unangenehmen kritischen Stimme entledigt. Die sozialdemokratische Regierung um Premierminister Joseph Muscat trug nach Ansicht von internationalen Beobachtern eine Mitschuld, weil sie die Kampagnen gegen Galizia nicht gestoppt, sondern befeuert hatte.

Nun, da sich die Ereignisse auf Malta überschlagen, wird klar, dass die Realität noch viel düsterer und erschreckender ist als alle Mutmaßungen: Der Auftrag, Galizia zu ermorden, kam offenbar direkt aus dem Amtssitz des Premierministers in der Hauptstadt Valletta.

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Als Drahtzieher beschuldigt wird mit Keith Schembri niemand Geringeres als der Büroleiter und Kabinettschef Muscats, der den Premierminister in der Vergangenheit als „meinen besten Freund“ bezeichnet hatte. Ein Mann, der über Jahre im Fokus von Galizias Berichterstattung stand. Noch in ihrem letzten Blogeintrag – veröffentlicht nur wenige Minuten vor ihrem Tod – hatte Galizia über angebliche korrupte Machenschaften Schembris geschrieben und den Politiker als „Gauner“ bezeichnet.

Wurde am 16. Oktober 2017 ermordet: Die Journalistin Daphne Caruana Galizia starb durch eine Autobombe
Wurde am 16. Oktober 2017 ermordet: Die Journalistin Daphne Caruana Galizia starb durch eine Autobombe
Quelle: REUTERS

Die Festnahme Schembris war der Höhepunkt einer Serie an spektakulären Ereignissen in den vergangenen Tagen, dessen Ausgangspunkt die Festnahme eines Taxifahrers wegen Geldwäsche war. Dieser Mann, Melvin Theuma, wartete beim Verhör durch die Polizei mit einer Überraschung auf: Er könne verraten, wer hinter dem Mord an Daphne Caruana Galizia steckt. Im Gegenzug forderte er Straffreiheit. Premier Muscat ging auf das Angebot ein.

Unternehmer wollte mit seiner Yacht aus Malta flüchten

Kurz darauf versuchte mit Yorgen Fenech einer der reichsten maltesischen Unternehmer mit seiner Yacht aus Malta zu flüchten. Er wurde gestoppt und unter Mordverdacht festgenommen; Taxifahrer Theuma hatte Fenech verraten. Bloß: Fenech, über den Galizia ebenfalls berichtet hatte, will es auch nicht gewesen sein, zumindest nicht allein. Er nannte den Beamten im Verhör Schembri als Drahtzieher des Mordes, einen langjährigen Vertrauten. Der Kabinettschef wurde daraufhin ebenfalls festgenommen, erklärte zuvor noch seinen Rücktritt.

All das klingt wie eine Geschichte aus einem Mafiafilm. Aber es ist Realität – mitten in der Europäischen Union. Und damit nicht genug: Mittlerweile wurde bekannt, dass Schembri seinem Kompagnon Fenech nach dessen Festnahme über einen Arzt eine verzweifelte Nachricht zukommen ließ. Sie lautete: Verrate mich nicht! Fenech tat es trotzdem, und mittlerweile wurde auch der Mediziner inhaftiert.

Maltas Premier Muscat lehnt einen Rücktritt ab

Es dürfte weltweit wenige Staaten geben, in denen sich ein Regierungschef in einer solchen Situation an der Macht halten kann. Auf Malta geht das, Premier Muscat lehnt einen Rücktritt bislang kategorisch ab. Obwohl sein Kumpel und Bürochef einer der Tatverdächtigen ist. Obwohl er selbst über Jahre mit der ermordeten Journalistin im Clinch lag.

Mehr noch: Nicht der komplett abgetauchte Generalstaatsanwalt oder Polizeichef, sondern Muscat höchstpersönlich informiert die Öffentlichkeit seit Tagen über den aktuellen Stand der Mordermittlungen. Er ist auch der Mann, der darüber entscheidet, ob ein Verdächtiger im Gegenzug für Informationen zu den Tätern oder zum Tatablauf begnadigt wird; dabei gehört Joseph Muscat ganz offensichtlich mittlerweile selbst zum Kreis der Verdächtigen und müsste dringend von den Ermittlern befragt werden.

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Stattdessen ruft seine Partei für das Wochenende zu einer Unterstützungskundgebung auf. Muscats gesamte Entourage stand über Jahre im Fokus von Galizias Recherchen. Die Journalistin enthüllte, dass mit Schembri und dem nun ebenfalls zurückgetretenen Energie- und Tourismusminister Konrad Mizzi zwei hochrangige Regierungsbeamte Offshorefirmen gegründet hatten, um Schmiergelder zu kassieren. Sie deckte dubiose Energiedeals mit Aserbaidschan auf. Sie schrieb auf, wie Politiker Kick-back-Zahlungen aus dem Verkauf von Staatsbürgerschaften erhalten sollten.

In Valetta, der Hauptstadt Maltas, fordern Demonstranten den Rücktritt von Premierminister Joseph Muscat
In Valetta, der Hauptstadt Maltas, fordern Demonstranten den Rücktritt von Premierminister Joseph Muscat
Quelle: AP

In einem funktionierenden Rechtsstaat hätten ihre Enthüllungen ernsthafte staatsanwaltliche Ermittlungen, Verurteilungen und politische Konsequenzen nach sich gezogen. Auf Malta passierte diesbezüglich nichts. Was geschah, war, dass Galizia Opfer einer systematischen Hasskampagne wurde, deren Ziel es war, die Journalistin und ihre Arbeit zu diskreditieren. Als klar wurde, dass sich Galizia selbst durch schärfste Attacken nicht einschüchtern ließ und sie immer mehr Dreck aufwühlte, wurde sie ermordet – damit endlich Ruhe einkehrt und die Kriminellen ungehindert ihren Geschäften nachgehen können. Kriminelle, die tatsächlich zur politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes gehören.

Malta ist ein Mafiastaat, das haben die vergangenen Tage gezeigt. Das ist eine Schande für Europa. Es liegt nun an den EU-Institutionen, die die Mängel in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit auf Malta viel zu lange ignoriert haben, etwas zu tun.

Es gibt einen ersten Schritt in die richtige Richtung. In der kommenden Woche reist eine Delegation des Europäischen Parlaments nach Malta, um sich vor Ort über den Stand der Mordermittlungen zu informieren. Im Dezember wird das Parlament in Brüssel zudem über den Fall Galizia debattieren.

Opposition bittet von der Leyen um Unterstützung

Ob das reicht, um die ganze Wahrheit im Fall Galizia zu erfahren und eine tiefgehende Veränderung auf Malta herbeizuführen? Höchstwahrscheinlich nicht. David Casa, ein maltesischer Oppositionspolitiker, schrieb in dieser Woche einen Brief an die neu gewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und bat sie um Unterstützung. Bislang hat sie sich nicht zu der Angelegenheit geäußert.

In ihrer Rede vor der Wahl zur Kommissionspräsidentin sprach von der Leyen von dem Wunsch, einen „Neustart“ in der EU zu vollziehen. Das sollte auch für Malta gelten. Von der Leyen muss eine Botschaft nach Valletta senden, die lautet: Joseph Muscat, treten Sie endlich zurück!

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