WiWo History Durchbruch Dieser Deutsche ist in Wirklichkeit der Vater des Telefons

Von wegen Graham Bell: Ein Lehrer aus Hessen hat um 1860 herum das Telefon erfunden. Sein Tüftlergeist war groß. Den Siegeszug seiner Spielerei erlebte er nicht mehr.

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Philipp Reis war schon als Schüler wissbegierig. Und blieb es, als er Lehrer wurde. Nach dem Unterricht bastelte er vor sich hin. Nicht ziellos. Sondern erfinderisch. Er baute zum Beispiel ein Modell des menschlichen Ohres, um seinen Schülern dessen Funktionsweise zu veranschaulichen. Und kam dann auf die Idee, einen Apparat zu bauen, der Töne von einem Ort zum anderen übertragen kann. Er nannte ihn Telephon, abgeleitet von den griechischen Begriffen tele (fern) und phonae (Ton, Stimme).



Reis schnitzte Holzohren. Und spannte Schweinehaut oder Hasenblasen über ihre Öffnungen, um das Trommelfell zu imitieren. An die Membran befestigte er Platinplättchen, als Gehörknöchelchen diente ihm ein Platinstift, angeschlossen an einen batteriebetriebenen Stromkreis. Sprach man nun in das Ohr, versetzten Schallwellen die Membran in Schwingung. Dadurch wurden die Kontakte im Stromkreis unterbrochen, wieder verbunden und die Schallsignale in Stromimpulse umgewandelt. Der Strom erreichte eine mit Kupferdraht umwickelte Stricknadel, die durch ein entstehendes Magnetfeld vibrierte und die Impulse in Schallwellen zurückverwandelte. Reis nutzte die Geige eines Kollegen als Resonanzkörper, um die Töne zu verstärken. Und er tüftelte weiter – aus der Geige wurde ein kleiner Kasten, aus dem Holzohr ein Schalltrichter.

„Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“, lautete einer der ersten Sätze, mit denen er seine Erfindung testete: So einen sinnfreien Satz musste man am Ende der Leitung wirklich Wort für Wort gehört haben. Am 26. Oktober 1861 präsentierte der 27-Jährige sein Gerät dem Physikalischen Verein Frankfurt. Zwar wurde dabei eine Melodie aus 100 Meter Entfernung übertragen – und erkannt. Gesprochene Wörter wurden aber nicht immer störungsfrei übermittelt und wiedergegeben. Statt „Die Sonne ist aus Kupfer“ hörte der Empfänger zum Beispiel „Die Sonne ist aus Zucker“.



Auch wenn seine Erfindung eher als Spielerei wahrgenommen wurde, ließ Reis sich nicht entmutigen. Der bescheidene Autodidakt hatte Freude an seinem Hobby und stellte 1863 mit dem Mechaniker J. W. Albert rund 60 Telephongeräte her, die er für wissenschaftliche Experimente in die ganze Welt verkaufte.

Ein Exemplar soll dem US-Amerikaner Graham Bell in die Hände gefallen sein. Er entwickelte es weiter, sodass es in zwei Richtungen funktionierte – und gilt bis heute als Erfinder des Telefons. Bell war fair. Er „hat Reis öffentlich gewürdigt und in seinem Patentantrag sogar ausdrücklich festgestellt, das Telefon nur zu verbessern“, sagt Reis-Biograf Wolfram Weimer in einem Interview mit „NTV“. Anders als in Deutschland habe es zu diesem Zeitpunkt in den USA bereits ein modernes Patentrecht gegeben.

Reis starb 1874, zwei Jahre vor Bells Patentanmeldung. So bekam er nicht mit, wie 1881 die erste Fernsprechvermittlung in Berlin den Betrieb aufnahm und das Telefon die Kommunikation revolutionierte.




Dieser Artikel erscheint in unserer Reihe WiWo History.

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